6840154-1975_39_05.jpg
Digital In Arbeit

Mißerfolg ist nicht mehr Weltuntergang

Werbung
Werbung
Werbung

Auf Plakatwänden und Ständern spielt sich eine wahre Eskalation der Leerformeln ab. Wir werden mit positiven Phrasen überschwemmt wie noch nie. Die Aggression ist aus dem Straßenbild verschwunden. Längst decken die Gesichter der Protagonisten, teils verantwortungsbewußt in die Kameralinse, teils staatsmännisch in die Ferne blickend, die Mitterer-Zitate von SPÖ-Seite und die drei „SPÖ-Skandale“ (oder waren es gar vier?) der ÖVP zu. Touristen, die weder fernsehen noch Zeitungen lesen, müssen glatt annehmen, der Wahlkampf habe sich in Österreich auf eine Lizitation von Streicheleinheiten für den Wähler reduziert.

Die riesengroßen Angstmacher, die Rentenklaus und Kapitalisten-Vampire der einen und die zu Tyrannp-sauriern aufgeblasenen roten Katzen der anderen sind nach einem langen und schmerzhaften Degenerationsprozeß im Jahre 1970 endgültig ausgestorben. Damals konnte man sich, je nach Temperament, angesichts der Plakatwände wenigstens noch ein ganz klein wenig unterhalten oder ärgern. Da wurde der Führer der damaligen Liste 1 als „echter Österreicher“ noch mit dem Zusatz „Wer FPÖ wählt, nützt Kreisky“ verkauft, graue Schemen repräsentierten eine „Zukunft voller Fragezeichen“ — vorbei. Die Großparteien, die einst mit scharfer Munition aufeinander schössen, zielen heute aus überaus benachbarten Schießständen mit batzweichen Wörtern auf das Herz des Wählers.

Auf der einen Seite ist die Bilanz einer Legislaturperiode zur stillen Voraussetzung „weiterer guter Jahre“ geschrumpft — daß man die nur versprechen kann, wenn die vergangenen vier Jahre gut waren, erscheint klar. Auch der Slogan „Sicherheit und eine gute Zukunft“ verrät einen an der Produktwerbung geschärften Texterverstand, hat die Genialität einer kompromißlosen Aussage: A guats Auto und a guate Partei, was braucht der Österreicher noch mehr?

Da neben so schönen Dingen, wie Sicherheit, guter Zukunft, ebensolchen weiteren Jahren und so weiter, ein Wort wie Zusammenarbeit wie selbstverständlich seinen Platz findet, mutet auch die Forderung „Zusammenarbeit für Österreich“, mit der Taus gegen den Gegner einer Großen Koalition vom Leder zieht, mehr wie Bekräftigung denn als Konfrontationsparole an. Miteinander, nicht gegeneinander, wie es die ÖVP in großen Lettern fordert? Auf den Plakatwänden sieht es so aus, als wäre diese Forderung längst verwirklicht. „Taus machts besser?“ Glückliches Land, in dem es eh alle gut machen.

Im großen Showdown der wilden Männer, die einander mit verbalen Wattebäuschen bewerfen, war von seiten der Großparteien bislang in der Endphase auf den Plakatwänden nur eine einzige Formulierung zu registrieren, die den Gegner auf die Hörner nahm, und die verriet, genial ins Positive gedreht, die Klaue eines Formulierungslöwen: „Nach wie vor

Kreisky, wer sonst?“ (So arbeitet man unterschwellig!)

Aber das auf den Plakatwänden dargebotene Bild zweier Männer, die einander so höflich den Vortritt lassen, daß man Angst bekommt, sie könnten nebeneinander in den Türen des Parlaments steckenbleiben (übrigens ein auf Grund der Wahlarithmetik durchaus möglicher Ausgang der Nationalratswahl), trügt.

Im modernen Wahlkampf, zumindest wie er in Österreich geführt wird, werden die harten Bandagen nicht auf den Plakatwänden getragen. Der Wahlkampf, soweit er wirklich einer ist, spielt sich in den Zeitungen und im Fernsehen ab — und hier ist er wirklich einer. Während Kreisky auf den Plakatwänden staatsmännisch in die Ferne blickt, erledigen andere die gröbere Arbeit. Vor allem in den Belangsendungen der SPÖ, deren Aggressivität zum Teil recht ausgeprägt ist.

Dabei fand gegenüber dem Wahlkampf des Jahres 1970, als die ÖVP ihre Regierungsmehrheit zu verteidigen hatte, ein interessanter Rollentausch statt. Heute wie damals nämlich spielt die Regierungspartei den aggressiven Part, während der Oppositionspartei durch den Zwang zum konstruktiven Image größere Zurückhaltung auferlegt ist. Erstmals hat nun die SPÖ nach voller Legislaturperiode eine Mehrheit zu verteidigen — und, wie seinerzeit die ÖVP, macht sie nun die Erfahrung, daß es in dieser Situation offensichtlich sehr schwer fällt, sich ruhig auf das Geleistete zu berufen und den Rest dem Wähler zu überlassen. Verglichen mit dem propagandistischen Overkill früherer Jahrzehnte war es bisher ein ruhiger Wahlkampf. Daß aber an der Beobachtung größerer Aggressivität beim Titelverteidiger doch etwas sein muß, erhellt aus der überproportionalen Bedeutung, die von der SPÖ gegnerischen Koalitionsvorschlägen zugemessen wurde — Koalitionsvorschlägen, über die Bundeskanzler Kreisky ja auch mit dem Hinweis auf das Fell eines noch nicht erlegten Bären hätte hinweggehen können.

Auch die Indiskretion im Zusammenhang mit dem offiziell den Parteien zugeleiteten „Vorschuß“ auf den Rechnungshofbericht wurde, gelinde gesagt, hochgespielt: Es erscheint doch etwas naiv, einer Partei, an der Regierung oder in der Opposition, die Geheimhaltung brisanter Unterlagen, über die sie rechtens verfügt und die den Wahlkampf entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen können, zumuten zu wollen. (Hier war freilich der Gegenangriff auch die beste Verteidigung.)

Ein Ausländer ohne Deutschkenntnisse freilich hätte den ganzen Vorwahlmonat in Wien verbringen können, ohne dessen gewahr zu werden, daß in diesem Land ein Wahlkampf geführt wurde, der die Bezeichnung Kampf verdiente. Was er sah, war Werbung — Produktwerbung ohne besonderen Pfiff. Sie uferte teilweise in einen verschwenderisch geführten Verschleißkrieg aus. Auch wenrt es aber künftig gelingen sollte, dieses vor allem beim umworbenen Wechselwähler doch nur Unmut erzeugende Zum-Fenster-Hinauswerfen von Geld durch ein entsprechendes Abkommen (siehe FURCHE Nr. 38/ 1975, S. 1) einzudämmen, wird, wenn der nächste Nationalratskampf nicht, im Zeichen einer von der Weltwirtschaftslage ausgelösten Polarisierung steht, die Outdoor-Werbung vor allem die positive Funktion, die Funktion der Sympathie-Werbung haben. Auseinandersetzung und Information finden auch nicht in den in alle Haushalte flatternden Glanzdrucksachen, sondern in Presse, Hörfunk und Fernsehen statt.

Über die Gesetze, die hier herrschen, gibt gerade zum rechten Zeitpunkt eine von Peter Faber erarbeitete Publikation über „Die Nationalratswahlen 1970 in den Wiener Tageszeitungen — eine inhaltsanalytische Untersuchung“ (in der Schriftenreihe des Instituts für Publizistik der Universität Wien unter der Herausgeberschaft von Professor Kurt Paupie) interessante Aufschlüsse. Die Beschränkung auf die Tageszeitungen hat denselben Grund wie die Vorliebe der Parteien, härtere Bandagen vorzugsweise im Fernsehen anzulegen: Fernsehen hat die größere Reichweite, aber was hier gesagt wird, vergeht mit dem Tage, wird oft nur zum Teil archiviert.

In den Zeitungen von 1970 und in

Fabers Interpretation findet sich eine Fülle von Indizien für den großen Rollentausch: „Speziell die Heterostereotypen der SPÖ wiesen noch die Korruption, die Unzufriedenheit und die Enttäuschung auf. Die Autostereotypen der ÖVP basierten in erster Linie auf der Zufriedenheit, dem Vertrauen und der Seriosität.“ Vier Jahre später wird die SPÖ von der ÖVP genauso gesehen, wie damals die ÖVP von der SPÖ gesehen wurde, sieht die SPÖ sich selbst so, wie die ÖVP damals sich selber sah. Nur scheint sie halt noch etwas stärker von sich selbst überzeugt.

Mißtrauen, Angst, Unsicherheit und und Desillusionierung registriert

Faber als die wichtigsten Merkmale in den Heterostereotypen, den „Feindbildern“, beider Parteien von damals. Nachdem jede der beiden Großparteien vier Jahre lang allein regiert hat, scheinen nun zumindest Mißtrauen und Angst voreinander geschwunden. Zum erstenmal hat Österreich einen zumindest in dem Sinne entkrampften Wahlkampf erlebt, daß keine der beiden Großparteien, expressis verbis oder unausgesprochen, im Schritt zur Macht der anderen Partei den ersten

Schritt abseits vom Weg der Demokratie wittert. Im Hintergrund dieses Wahlkampfes steht sehr stark spürbar bei beiden Parteien das Bewußtsein, daß ein Mißerfolg nicht den Weltuntergang bedeutet. Wer diesmal nicht siegt, kommt mit Sicherheit ein andermal dran. Die unzweifelhaft vorhandene Spannung in diesem Wahlkampf ist gleichwohl nicht rein sportplatzhaft. Sie bezieht ihre Dimension nicht zuletzt, und ebenfalls wie 1970, aus dem Wissen, daß ein durchschlagender Erfolg der Opposition mit großer Wahrscheinlichkeit den Rückzug des amtierenden Bundeskanzlers ins Privatleben nach sich ziehen würde. Denn auch Klaus war ja der Großen Koalition , zutiefst abhold.

Und was Faber für 1970 registriert, gilt, wenig abgeschwächt, auch bezüglich der Persönlichkeitswertungen heute umgekehrt: Stand damals Kreisky im Oppositionslager (und nicht nur dort) ganz groß im Scheinwerferlicht, während der Rest der SPÖ-Politiker — Faber zufolge — deutlich abfiel, gilt solches, vielleicht etwas abgeschwächt gegenüber dem Kreisky des Jahres 1970, für Taus. Sicher verfügt die ÖVP über eine Reihe ministrabler Persönlichkeiten. Aber im Bewußtsein des Wählers sind sie wenig präsent.

Auch für die Medienarbeit lassen sich aus der Faberschen Untersuchung interessante Schlüsse ziehen, wenn man das mitgegebene Datenmaterial richtig interpretiert. Die finstere Verschwörung der unabhängigen Journalisten, die heute so viele Leute in der SPÖ wittern, scheint eher darauf zurückzuführen zu sein, daß die Opposition im Wahlkampf den Medien eher mit dem dienen kann, was sie brauchen: Nachrichten und Stoff für „Glossen“, sprich für die Kolumnisten. Denn jene unabhängigen Zeitungen, deren Unabhängigkeit heute viele Leute in der SPÖ in Zweifel ziehen, waren schon 1970 in eher konservativer Herausgeberhand. Aber damals hatte eben die SPÖ als Oppositionspartei die besseren Voraussetzungen in der Medienarbeit.

Einst glaubte man, im Wahlkampf sei eher die jeweilige Regierungspartei im Vorteil. Eine Ansicht, die man heute zumindest sehr stark einschränken muß. Was ein Glück für die Demokratie ist — welche Partei auch immer gerade regiert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung