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Es war nicht nur Bruno K.

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Vier Tage vor der Wahl noch verkündete ein ÖVP-Inserat mit Balkenlettern: „Die Österreicher wissen sehr genau, was sie wollen.“ Jetzt muß die Volkspartei auch mit dieser Sentenz noch fertig werden.

, Was aber wollen die Österreicher wirklich: Noch vier Jahre Konzeptlo-sigkeit in der Budget- und Energiepolitik, Verfilzung von Partei- und Privatgeschäften, bläßliche Ministerfiguren rund um ein Kaiserstandbild? Hat wirklich einzig und allein Bruno Kreisky alles zugedeckt, was an dieser Regierung kritik- und fragwürdig gewesen ist?

Viel zugedeckt hat er sicher. Daß er seine Partei zum größten Triumph in der Wahlgeschichte Österreichs führen und den Christdemokraten die bitterste Schlappe seit ihrer Abwahl als Wiener Mehrheitspartei vor 68 Jahren zufügen konnte, soll nicht durch Wenn und Aber verkleinert werden.

Trotzdem bleiben, auch wenn schon in der Wahlnacht wortgewaltige Alleswisser das Resultat nach allen Ecken und Enden erklären konnten, offene Fragen zurück. Daß Kreisky alle jene wiederwählten, die ihn 1975 schon haben wollten - bitte. Was aber konnte Zehntausende Zusatzwähler für ihn mobilisieren, nachdem er 1978 Panne um Panne erduldet und verschuldet hatte?

Für ein paar Mandate muß man die Erklärung wohl auch noch im Irrationalen suchen. Manche Leute haben sich ein Denkmal errichtet, das sie mit jeder Beschädigung doppelt und dreifach anbeten - weil nicht sein darf, daß sie sich geirrt haben. Einige der peinlichen Speichelleckereien prominenter „Geschichten“-Erzähler gehören wohl hierher.

Womit die Einzigartigkeit der politischen Leistung Kreiskys nicht geschmälert, aber doch in eine irdische Proportion gerückt werden soll. Als er in der Wahlnacht seinen Rivalen gönnerhaft Konsensbereitschaft im Parlament anbot, gelobte er gewissermaßen, die parlamentarische Demokratie nicht abzuschaffen: Hat nicht Verfassungsvater Kelsen solches Konsensbemühen als selbstverständliche Regel und Mehrheitsvoten im äußersten Nichteinigungsfall als Ausnahme deklariert?

Kreisky hat Maßhalten im Triumph verheißen. Respekt vor der guten Absicht. Einige seiner Genossen werden es ihm nicht leichtmachen. Die beispiellose Entgleisung im Wahlkampf rund um Vorarlbergs Arbeiterkammerpräsident Jäger läßt nichts Gutes ahnen - die Operation mit dem verlogenen Feindbild (Götz = böser Nazi, Peter = guter Nazi) auch nicht.

Nach dem Debakel der Christlichsozialen in der Stichwahl des 20. Juni 1911 bejubelte die damalige „Arbeiter-Zeitung“ namens der Sozialdemokratie die „völlige Niederstrek-kung ihrer geschichtlichen Gegner“. Ohne Scham schrieb sie: „Zerrissen, zerstampft, ausgerottet sind die Christlichsozialen.“

Das war, wie man heute weiß, ein gewaltiger Irrtum. Der Verlauf der Geschichte mag der Sozialdemokratie eine Lehre und der heutigen Volkspartei ein Trost sein. Viel mehr als das kann man der ö VP als solchen im Moment freilich nicht anbieten.

Gewiß: Das Abendland wird nicht untergehen und Kreisky nicht ewig die politische Szene beherrschen. Aber sich jetzt an die Hoffnung zu klammern, daß 1983 der Pendelrückschlag automatisch kommen wird, wäre allzu leichtfertig. Wer sich 13 Jahre an Kreisky gewöhnt, hat sich auch mit seiner Partei angefreundet.

Selbsttätig wird die Abkehr nicht erfolgen.

Was also muß die Volkspartei tun? Zuerst einmal sich eingestehen, daß es ihr im Wahlkampf 1979 überhaupt nicht gelungen ist, die Alternative plakativ zu artikulieren. Da helfen keine 16 Alternativprogramme, wenn man nicht einmal zwei, drei Grundaussagen ins Massenbewußtsein pflanzen konnte.

Ein Wahlkampf kann keine Grundströmungen umkehren. Insofern hatte die ÖVP mit Windmühlen zu kämpfen. Und so nebenbei hat dieses Wahlergebnis auch wieder einmal gezeigt, wie sehr die „Macht der Presse“ von Laien überschätzt wird. Hätte die Wählermehrheit ähnlich wie die

Mehrheit der parteiungebundenen Journalisten die Regierung Kreisky beurteilt, wäre kein solches Ergebnis herausgekommen.

Dennoch bleibt der verpatzte ÖVP-Wahlkampf eine Tatsache. Die SPÖ hatte eine Positivaussage („Kreisky - Österreich braucht ihn“) und eine Gruselparole („Die Alternative lautet Taus/Götz“). Auch die Volkspartei hätte eine Positivaussage („So würden wir regieren“) und eine Warnparole („Nicht alle Macht für eine Partei“) griffig offerieren müssen. Sie tat es gelegentlich, nebenbei, halbherzig. So schien es jedenfalls sehr vielen.

Natürlich ist es schwer, massenwirksam mit Budgetzahlen zu operieren. Aber daß es überhaupt nicht gelingen könnte, die Skandalalternative „Lieber ein paar Milliarden Schulden mehr als ein paar tausend Arbeitslose mehr“ auf ihren Demagogiekern zu reduzieren, ist einfach nicht wahr. Die ÖVP hat es genauso wenig versucht wie eine überzeugende Antwort auf die berechtigte Frage, wie eine Regierung Taus Pendlerpauschale und Müttergeld einführen, Steuern senken und gleichzeitig das Budgetdefizit abbauen würde.

Statt dessen Blumen und der Ranger-Stumpfsinn. Das ergab einfach keine Motivation. Und hätte der ÖVP-Generalsekretär zweieinhalb Wochen vor der Wahl wirklich recht gehabt mit seiner Behauptung, noch sei eine Million Wähler unentschlossen, dann müßte dieses Argument nun mit voller Wucht auf die Wahlkampfstrategen zurückfallen: Warum entschied sich diese Million dann gegen die Volkspartei?

Als die ÖVP noch den Bundeskanzler stellte, reichten für ihre Führung ein Bundesparteiobmann und ein Generalsekretär aus. In der Oppositionszeit kam ein Bundesgeschäftsführer dazu, der jetzt auch noch ein Parlamentsmandat erhielt. Wird man daraufhin einen geschäftsführenden Geschäftsführer installieren?

Hier muß man wohl mitleidlose Selbstkritik erwarten. Das ist viel entscheidender als ein neuer Ruf nach einem Obmannwechsel. Als Josef Klaus nach der Wahlschlappe 1970 mannhaft den Hut nahm, war dies ritterlich gedacht, aber eine Katastrophe für die Partei: Sein Nachfolger Withalm war verheizt, noch ehe der nächste Wahlgang nahte. Dabei hätte ein Hermann Withalm der Vaterfigur Kreisky vielleicht mehr Paroli bieten können als irgend ein anderer.

Deshalb täte die Volkspartei gut daran, eine Personalentscheidung jetzt gründlich zu überlegen. Selbst die geplante Vorziehung des Bundesparteitags ist fragwürdig. Warum läßt man die alte Führung nicht in Ruhe ei umfassendes neues Konzept ausarbeiten? Warum wartet man nicht noch ein bißchen, um vielleicht zu erleben, wie die SPÖ die Nachfolge-Weichen stellt?

Daß Josef Taus im Analysieren und Konzipieren besser als im Agitieren ist, weiß man. Warum sollte man ihn jetzt nicht analysieren und konzipieren lassen?

Daß Erhard Busek maßgeschneidert für Wien ist, weiß man auch. Nichts wäre verhängnisvoller, als ihn einem ungewissen Schicksal auf Bundesebene auszuliefern, statt ihm und seinen energiegeladenen Mitarbeitern die Chance intensiver Wien-Bearbeitung zu belassen. Die Gratz-Partei in Wien ist schwächer als die Kreisky-Partei. Hier ist der Hebel richtig angesetzt. Busek muß Wien-Hebel bleiben. Und Mock ist vorläufig im Parlament unentbehrlich.

Zur notwendigen Besinnung im nichtsozialistischen Lager gehört aber auch der Stimmen- und Mandatserfolg der FPÖ. Daß Alexander Götz den ererbten Parteirest halten konnte, ist sein Verdienst. Der Zuwachs aber kam vermutlich von einer Seite, deren Fragwürdigkeit ihm nicht unbekannt sein dürfte: von sogenannten Bürgerlichen, die vor ' Kreisky und Androsch buckeln, aber einen Politiker suchen, der für sie bellt und beißt. Der Taus roch diesen Leuten obendrein noch stark nach Weihrauch. Sie selber riechen nach politischer Naivität.

Naiv sein aber ist jetzt ein Luxusartikel geworden. Die Opposition wird ihn sich weniger denn je wohl leisten können. Die Regierung freilich auch nicht: weder in der Budgetpolitik, wo endlich ein Konzept vorgelegt werden muß, noch in der Arbeitsmarktpolitik, die nach später Bilanzwahrheit verlangt, noch etwa in der konfusen Energiepolitik.

Von der künftigen Regierungserklärung sind neue Akzente zu fordern: flankierende Maßnahmen zur Fristenlösung, im Bildungswesen allgemein, im Schulbereich, in der (vor allem auch wirtschaftlichen) Landesverteidigung, in der rechtlichen Fundierung der (elektronischen wie gedruckten) Massenmedien, vor allem auch in der Sozialversicherung.

Alle diese Bereiche berühren zutiefst auch Fragen der persönlichen und sozialen Ethik, des Menschen-und Gesellschaftsbildes. Mit Recht wurde gerade von kritischen Zeitgenossen, jungen vorweg, das Fehlen jeglicher geistiger Grundsatzargumentation beklagt.

Für weltanschaulich engagierte Österreicher ergibt sich aus dem Wahlergebnis vom 6. Mai die Notwendigkeit zu stärkerer Auseinandersetzung. Jürgen Weber hat den verhängnisvollen „politischen Idyllismus“ beschrieben, für den die ÖVP mit ihren Tulpenplakaten nun so viel Anschauungsmaterial geliefert hat. Das Leben ist keine Idylle. Der Konflikt als Motor gesellschaftlicher Entwicklung ist nicht ein unvermeidliches Übel, sondern eine Notwendigkeit. Nicht auf Konfliktvermeidung kommt es an, sondern auf die niveauvolle, gewaltfreie, faire, demokratische Austragung geistiger Konflikte.

Dafür noch mehr Platz als bisher einzuräumen, ist eine Konsequenz aus dem Wahltag, um die die FURCHE sich bemühen will.

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