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Manche halten sich noch für unentbehrlich

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Nach Schüsseis Bestellung zum Obmann dominieren die Treueschwüre in der ÖVP. Aber irgendwann droht auch ihm der Marterpfahl.

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Nach Schüsseis Bestellung zum Obmann dominieren die Treueschwüre in der ÖVP. Aber irgendwann droht auch ihm der Marterpfahl.

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Wieder einmal endete ein Parteitag der ÖVP mit dem Schöpfen neuer Zuversicht. Mit abermaligen Schwüren, daß man die unschönen Dinge, die sich in seinem Vorfeld abgespielt hatten, nie mehr zulassen wolle. Der neue Parteiobmann erwies sich als attraktiv in seinem selbstbewußten Auftreten und konnte die Delegierten mit großer Zustimmung für sich gewinnen. Manche von ihnen werden sich freilich darauf besonnen haben, daß auch die vorangegangenen Kongresse, bei denen man eine neue Führung gewählt hatte, ähnlich optimistisch verlaufen waren, daß aber am Ende immer wieder der Marterpfahl der Partei aufgerichtet wurde, an dem die Hoffnung des letzten Parteitages endete. Droht Wolfgang Schüssel das gleiche Los? Man müßte solches eigentlich befürchten.

Gibt es also jenes unausweichliche Schicksal des Niederganges für die einst stolze Volkspartei, das sie mit anderen früher großen politischen Kräften teilen muß? Manches weist darauf hin und es war eigentlich beklemmend zu beobachten, wie sehr man sich - natürlich durch das Jubiläum des halben Jahrhunderts begründet - am Parteitag in Nostalgie erging, anstatt hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken. Aus den großen Verdiensten der Vergangenheit wurde für die ÖVP bleibende Unent-behrlichkeit reklamiert.

Womit wir aber schnurgerade beim eigentlichen Problem der Parteien) angelangt sind. An diese Un-entbehrlicnkeit glaubt nämlich außer den Funktionären heute niemand mehr. Wirklich gebraucht wird man in der Politik nur dann, wenn man überragende Sachkompetenz nachweist. Die ständige Beschäftigung mit sich selbst wirkt

hingegen geradezu peinlich und das meiste, was vor und um den Parteitag der ÖVP geschah, kann man kaum anders als mit der Beschau des eigenen Nabels vergleichen. Wer soll die Partei und wie führen, wo ist sie „positioniert”, mit wem kann oder soll sie koalieren, damit sie weiter Macht und Einfluß ausüben kann -das waren die Fragen, um die es ging. An die Probleme der Menschen, für die politische Parteien ja eigentlich da sein sollen, hat offenbar niemand gedacht. Und so vergrößert sich ständig die Kluft, die sich zwischen Bürgern und Politikern gebildet hat und die ein Fluch zu sein scheint, der auf allen Institutionen des öffentlichen Lebens lastet. Bot doch zur gleichen Zeit auch die Kirche jenes bedrückende Bild der Beschäftigung mit sich selbst, ihren Amtsträgern und eigenen Spielregeln, anstatt mit dem Dienst an den Menschen. Betrachtet man dies alles, fühlt man sich gedrängt, das aus dem Marxismus stammende Vokabel von der „Entfremdung” zu verwenden, um all diese bedauerlichen Vorgänge zu beschreiben.

Sollte dem einen oder anderen dieses Bild zu negativ gezeichnet erscheinen, genügt zur Begründung des Gesagten nur eine Annahme, die wir uns vor Augen führen wollen. Stellen wir uns den Parteitag der ÖVP so vor, daß anläßlich seiner Vorbereitung mehrere Themen zur Auswahl gestellt worden wären, die derzeit im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung stehen. Als erstes die Frage, wie man der hoffnungslosen Arbeitslosigkeit älterer Menschen, die ihren Posten verloren haben, begegnen soll. Als zweites, wie man unsere bäuerlichen Betriebe die EU heil überleben lassen kann. Als drittes Thema die Sorge um die Verarmung von kinderreichen Familien, die nur einen Ernährer mit einem bescheidenen Einkommen haben. Letztlich vielleicht die Frage, wieweit sich unser öffentlicher Bundfunk noch in die Niederungen einer werbegeilen Kommerzanstalt begeben darf. Vielleicht wären auch die dramatischen Auflösungserscheinungen des bisherigen arbeitsrechtlichen Schutzes wert, von der Partei gründlichst diskutiert zu werden. Nehmen wir weiters an, man hätte zwei oder drei dieser Lebensfragen unserer heutigen Bepublik leidenschaftlich beraten, anstelle zum x-ten Mal sich den (sicher zutiefst berührenden) Ausspruch Leopold Figls von Weihnachten 1945 vorspielen zu lassen. Welche Anteilnahme, welches Interesse, welche Zustimmung wäre zu erwarten gewesen! Man soll ja nicht glauben, komplizierte Sachfragen könnten weder in einem großen Kreis beraten, noch dann den Medien schmackhaft gemacht werden. Es ist dies alles nur eine Frage guter Vorbereitung und Aufarbeitung. Sachprogramme mit Lösungsvorschlägen sind allemal noch leichter zu „verkaufen” als die Adaptierung des Grundsatzprogrammes, das ja ohnedies weitgehend außer Streit steht.

Abgesehen von all dem hätte es der Partei unendlich gut getan, Delegierte nach Wien anreisen zu lassen, die voll guter, auch kontroversieller Ideen zu den beispielhaft angeführten Sachthemen stecken, anstatt von einer würdelosen Streiterei sogenannter Spitzenfunktionäre (sit venia verbo) angefressen zu sein. Als die Volkspartei noch in der Opposition war, gelang ihr das öffentliche Aufarbeiten von Sachkonzepten recht gut und war wohl auch das Erfolgsrezept des Stärkerwerdens in dieser Zeit. Um so mehr müßte eine Partei, die regiert, alle Kraft dafür aufwenden, dem Gestalten der Gegenwart und Zukunft gerade bei den Hochämtern der Parteiliturgie Baum zu geben, nicht aber dem anödenden Streit um Ämter. Die sind allemal - worauf man sich endlich besinnen sollte! - kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck der Arbeit für die Wähler.

Vielleicht hat die ÖVP jetzt die letzte Chance, ihre Vorgangsweise zu ändern. Damit ist nicht gemeint, daß sie sich nur einen besseren Stil bei der Diskussion von Personalfragen zulegen sollte, sondern eine totale Änderung des politischen Bewußtseins und Vorgehens in der angeführten Bichtung wäre nötig. Diese Forderung muß sich aber auch an die Medien richten, die ein gerüttelt Maß von Schuld an der bisherigen , Fehlentwicklung haben. Natürlich ist es einfacher und amüsanter, den sogenannten Sager des einen Parteifreundes über den anderen breitzutreten, als einen Obmannkandidaten zu fragen, wie er sich die nächste Steuerreform vorstellt oder was er Pendlern, die im Stau stecken, für Lösungen anzubieten hat. Demokratie ist bekanntlich jene Form des Zusammenlebens, die am wenigsten bequem ist. Wenn die Volkspartei auch weiterhin nichts anderes im Sinn hat, als gebannt auf die Popularitätswerte ihres neuen Obmanns in den nächsten Umfragen zu starren, wird sie weiterhin wie ein Arzt wirken, der beobachtet, ob sich der neue Krankenpfleger günstig auf die Fieberkurve des Patienten auswirkt. Wie ein Mediziner also, der es unterläßt, gemäß seiner Kunst und Pflicht zu handeln, also sorgfältigen Befund zu erheben und dann gekonnte Therapie anzuwenden. Aber dieses richtige Vorgehen könnte ja nun geschehen.

Der neue Parteiobmann sollte ruhig eine Zeit lang unbeachtet lassen, was Demoskopen und Journalisten von ihm halten, wenn er sich nur endlich darauf konzentrierte, den empfundenen Problemen der Menschen konsequent nachzugehen und mit den Wählern in einen Dialog darüber einzutreten, welche Lösungen verfolgt werden sollen. Eine solche Vorgangsweise erfordert in erster Linie Phantasie, in zweiter Sachverstand und Überzeugungsfähigkeit. Wolfgang Schüssel wäre das zuzutrauen. Er könnte sich das Verdienst erwerben, das Steuer herumgerissen und seine Partei wieder auf den Kurs sorgfältiger Sacharbeit und deren politische Interpretation gebracht zu haben. Dies würde nicht nur ihm und seiner Gesinnungsgemeinschaft gut tun, sondern unserem ganzen demokratischen System. Gelingt ihm das aber nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch ihn das Schicksal seiner Vorgänger gnadenlos einholt.

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