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Die (wahrscheinlich) letzte Chance
ÖVP-Bundesparteitag am 28. und 29. Juni in der Wiener Hofburg. Nicht das erste Mal geht es um Obmannwechsel und Parteireform. Aber diesmal geht es um die (wahrscheinlich) letzte Chance der Volkspartei. Nach langen Wochen der Selbstzer-fleischung...
ÖVP-Bundesparteitag am 28. und 29. Juni in der Wiener Hofburg. Nicht das erste Mal geht es um Obmannwechsel und Parteireform. Aber diesmal geht es um die (wahrscheinlich) letzte Chance der Volkspartei. Nach langen Wochen der Selbstzer-fleischung...
Was sich im Vorfeld dieses ÖVP-Parteita-ges getan hat, war grauslich. Selbst die treuesten Anhänger rauften sich die Haare. Nicht einmal der Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen, und die Tatsache, daß es zwei Kandidaten für den Parteiobmann gibt, als demokratisch durchaus normal darzustellen, konnte gelingen. Zu garstig war die Art, wie es dazu kam.
Natürlich ist es in einer Demokratie kein Unglück, wenn zwei Kandidaten sich um eine Funktion bewerben. Nur sollten dann nicht Bittgänge zu allen möglichen Leuten nötig sein, bis nach vielen Absagen endlich einer sich bereit erklärt, in den sauren Apfel zu beißen, und dann ein zweiter gesucht wird, weil der eine nicht genehm oder zu sehr einer Gruppe verhaftet ist.
Und dann der interne Vorwahlkampf: Die Abwertung des einen und anderen; die außer Kontrolle geratene Negativpropaganda trotz Aufforderung, nur Positivwerbung zu betreiben; die peinliche Suche nach Teamkandidaten; die mediale Begleitmusik, die, schwarzweiß zeichnend, je nach Position im einen Lager nur Falken, im anderen nur Tauben ortete.
Der Parteitag wird am Samstag abend Vergangenheit sein. Ob die Partei überlebt, entscheiden die Tage und Wochen danach. Wenn nicht sofort nach dem Parteitag die Weichen in Richtung Einheit und Geschlossenheit gestellt werden, ist die (wahrscheinlich) letzte Chance vertan.
Allerdings ist das Zusammenrücken nicht leichter geworden. Ohnedies vorhandene Gräben wurden in den Wochen vor dem Parteitag noch tiefer. Und am Parteitag wird es einen Sieger und einen Besiegten geben.
Es wird zunächst einmal darauf ankommen, ob die Exponenten der beiden Gruppen die Bitternis der letzten Wochen vergessen und einen Strich unter das, was war, ziehen und sich vorbehaltlos in den Dienst der gemeinsamen Sache, einer einigen und geschlossenen ÖVP, stellen können. Nur dann kann die Partei wieder Tritt fassen und erstarken.
Die enttäuschten Mitglieder und Funktionäre hätten dieses Zeichen des Vergessens und Verzeihens bitter nötig, um sich mit der Partei und ihrer neuen Führung zu versöhnen und um in der Arbeit in der Partei und für die Partei wieder einen Sinn zu sehen. Die Solidarität, die die Partei bis hinunter zu den kleinen Funktionären und Mitgliedern dringend braucht, muß von oben glaubhaft vorgelebt werden. Sonst kann keine positive Stimmung und schon gar keine Begeisterung entstehen.
Ein Problem besteht allerdings darin, daß die Kandidaten und ihre Teams von Gruppen unterstützt werden, die zwar nicht exakt, aber doch weitgehend mit den traditionellen Bünden übereinstimmen: Erhard Busek vor allem vom Wirtschaftsbund, Bernhard Görg vom ÖAAB. Dementsprechend ist das Busek-Team stark wirtschaftslastig, das Görg-Team mehr arbeitnehmerorientiert.
Nun könnte man freilich sagen, das spiele nach der Reform keine Rolle mehr. Aber die Partei umfaßt nach wie vor die traditionellen Interessengruppen - und gerade das macht sie zur Volkspartei. Das legt ihr aber auch die Last auf, eine Politik zu machen, die diesen Gruppen gerecht wird. Und wenn auch das Postulat, Gemeinwohlpolitik zu betreiben, gerade einer Volkspartei aufgetragen ist, gibt es unterschiedliche Meinungen über das, was das Gemeinwohl erfordert und was die eine oder andere Gruppe mit Recht fordern kann. Die Durchsetzung der Forderungen aber ist auch eine Machtfrage, und Macht und Einfluß hängen immer auch davon ab, wie stark man in den entscheidenden Gremien vertreten ist.
Eine bessere - oder keine ÖVP
Darüber hinaus hat die Vertretung in den Spitzengremien auch Symbolwirkung: Sie steht bis zu einem gewissen Grade für die Prioritäten der Partei.
Damit wird es der unterlegenen Gruppe zweifellos schwer fallen, sich vorbehaltlos hinter den Sieger zu stellen. Es ist zu befürchten, daß es zu einem argwöhnischen Beobachten der Aktivitäten und nicht zu einer vorbehaltlosen Unterstützung kommt, weil man die bedingungslose Unterstützung erst dann gewährt, wenn die eigenen Erwartungen erfüllt werden.
Es wird auch wesentlich darauf ankommen, welche politischen Schwerpunkte in der nächsten Zeit gesetzt werden. Unbestritten dürfte sein, daß die Partei, wenn sie wieder Mehrheitspartei werden will, vor allem im Arbeitnehmerbereich punkten muß. Die anderen Gruppen sind zu klein und ihr Wählerpotential für die ÖVP ist schon so stark ausgeschöpft, daß dort nicht mehr viel zu holen ist.
Neben der Berücksichtigung der Interessen der Wirtschaft und der Bauern wird es vor allem von der glaubwürdigen Vertretung der differenzierten Anliegen der verschiedenen Gruppen der Arbeitnehmerschaft abhängen, ob der Partei jenes Stimmenpotential zuwächst, das ihr wieder zur Erfolgserlebnissen verhilft.
Entscheidend für die ÖVP wird es also sein,
1. Ob es gelingt, das Verhalten gerade der führenden Funktionäre zu ändern. Wenn von Kollegialität unter ihnen weit und breit nichts vorhanden und daher auch nichts davon zu spüren ist, kann es keine Solidarität und Geschlossenheit geben.
2. Ob eine Atmosphäre der Loyalität und Vertraulichkeit geschaffen werden kann. Wenn es weiterhin keine Vertraulichkeit, sondern permanente Informationen an die Medien über die vertraulichsten Dinge gibt, dann gibt es in den Gremien auch weiterhin keine offene und ehrliche Diskussion und dann kann es kein Vertrauensverhältnis geben.
3. Ob die unvermeidbare Austragung der Interessengegensätze in der Partei kultiviert werden kann.
4. Ob die politischen Schwerpunkte sichtbar machen, daß die ÖVP die wesentlichen Probleme der Menschen erkannt hat und auf ihre Lösung hinarbeitet.
5., aber bei weitem nicht zuletzt: Ob es den Akteuren, die vor dem Parteitag tätig waren, gelingt, das, was war, zu vergessen und ehrlich einen neuen Anfang zu versuchen.
In vielen Versammlungen habe ich schon vor Jahren meine Rede mit einem abgewandelten Kennedy-Zitat geschlossen: „Viele sehen die ÖVP, wie sie ist, und fragen: Warum? Ich glaube an eine bessere, erneuerte ÖVP und frage: Warum nicht?"
Nach allem, was war, fällt es schwer, an das „Warum nicht?" zu glauben. Vielleicht erzwingt die Einsicht, daß es entweder bald eine bessere oder keine Österreichische Volkspartei mehr geben wird, die Kraft zur positiven Wende.
Der Autor ist Präsident des Vorarlberger Landtages und Mitherausgeber der FURCHE.
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