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Erneuerung vom Ursprung her

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ÖVP-Reform: Das ist für die meisten der bisherigen Diskussionsteilnehmer Änderung von Organisationsformen, Änderung von Programm-Schwerpunkten. Für den einstigen Staatssekretär der Regierung Klaus 11 und heutigen Vorsitzenden der Sozialversicherungsanstalt der Bauern würde eines genügen: ein Gesinnungswandel. Seine Ausführungen, aus denen wir aus Platzgründen nur auszugsweise zitieren können, werden auf Widerspruch stoßen, stellen aber sicher keine Einzelmeinung dar.

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ÖVP-Reform: Das ist für die meisten der bisherigen Diskussionsteilnehmer Änderung von Organisationsformen, Änderung von Programm-Schwerpunkten. Für den einstigen Staatssekretär der Regierung Klaus 11 und heutigen Vorsitzenden der Sozialversicherungsanstalt der Bauern würde eines genügen: ein Gesinnungswandel. Seine Ausführungen, aus denen wir aus Platzgründen nur auszugsweise zitieren können, werden auf Widerspruch stoßen, stellen aber sicher keine Einzelmeinung dar.

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Reform, Erneuerung, diese in der ÖVP seit Jahren nicht verklingenden Rufe, markieren seit ihrem Anheben in den früheren sechziger Jahren den Beginn einer Ära der Krise, des Abrutschens, der wankenden Grundsätze und mangelnden Grundlinien, der sinkenden Glaubwürdigkeit, der Aufweichung im Rückgrat einer großen politischen Kraft - einer Kraft, die Österreich vom Grunde her gestaltet hat.

Seit die Partei nicht mehr von Männern geführt wird, die den Geist der ersten Stunde übernommen haben, macht sie den Eindruck, ins Oberflächliche, ins Taktieren, in äußerliche Reformdeklamationen, ins Liebedienerische, gelegentlich auch in tierischen Emst oder ins Missionarische zu geraten. Dazu kam der kurzfristige Wechsel in der Parteiführung, und jeder Parteiobmann versuchte, sich die Partei nach seiner Figur zu- rechtzuschneidem; das muß an den Nerv der Partei gehen.

Mit den sehr allgemein lautenden Reformrufen - Konkretes wurde kaum ausgesagt - gewann die Phrase immer mehr Raum. Ich denke noch zurück an den unglücklichen Bundesparteitag in Klagenfurt 1963, wo die sogenannten und selbsternannten Reformer endlich die Macht bekamen, mit den großen Tönen anhoben und damit die große Zeit des Bla-Bla einläuteten …

Ich bin ein Parteimitglied, das dieses Reformgeschrei nun schon seit zwei Jahrzehnten mit anhört und das langsame Verkümmern der Äußerungsfähigkeit unserer Grundideen und Grundkräfte mit ansieht, zugleich aber ein unermüdlich geschäftiges Arbeiten an der Oberfläche, an der Schminke, an der Kulisse.

Politik heißt Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens, heißt Führung der freien Menschen. Die Entartung unserer Demokratie in Liebedienerei, das Herumdoktem an formellen Äußerlichkeiten wie Wahlgeometrie, Wahlalter, Altersklauseln, formeller Gleichheit, Anbieten immer weiterer „Servicedienste”, die Förderung der Verweichlichung u.a.m. sind Schwächezeichen unserer Parteien und verkennen das Wesen einer politischen Partei als gestaltende Kraft.

Hieher gehört auch das Schlagwort von der „Demokratisierung” möglichst aller gesellschaftlichen Bereiche; die ÖVP ist diesem billigen und zerstörenden Schlagwort prompt auf den Leim gegangen, will auch hier „modern” sein. Was eine Gesellschaft braucht, ist neben dem großen persönlichen Freiraum eine starke, demokratische Führung in den Bereichen, die vom einzelnen und von den kleineren Gemeinschaften nicht bewältigt werden können. Die Führung muß nur demokratisch zustande gekommen sein, sie muß abwählbar sein. Man kann nicht glücklich sein über eine Regierung, die in ihrer Handlungsfähigkeit gelähmt ist.

Schauen wir uns die Dinge praktisch an: Bundeskanzler Kreisky kann mit diesem Ball ausgezeichnet umgehen. Überall dort, wohin sein direkter Einfluß nicht reicht, wo er etwas „mobilisieren”, eine nicht gefügige demokratische Einheit (z. B. Bauernkammern) „auflockem” will, überall dort ruft er nach Demokratisierung …

Der Ruf nach einer handlungsfähigen, demokratischen Regierung darf auch nicht verstummen, wenn die Regierung von einer nicht geliebten Partei gestellt wird. Ich liebe diese Regierung nicht; ich darf aber darüber nicht im mindesten die Liebe zu unserer staatlichen Gemeinschaft und meine Verpflichtung zur Arbeit für die Menschen in diesem Staate vergessen. Bei einijgen meiner Freunde hatte ich in den letzten Jahren den vielleicht irrigen Eindruck, daß sie gar keine Freude daran haben, wenn in unserem Staatswesen, auf Grund des Fleißes und der Tüchtigkeit unserer Menschen, da und dort auch etwas weitergeht und wenn der Regierung vielleicht auch einmal etwas Positives gelingt…

Die von der ÖVP sich selbst auferlegte Pflicht zur Präsentation von Alternativen zu möglichst allen Regierungsvorhaben ist eine wenig erfolgsträchtige Sache. Die SPÖ hat sich in ihrer Oppositionszeit durch Pittermann - nach einigem Zögern von dieser Sisyphusarbeit beurlaubt.

ÖVP-Vizekanzler Withalm versuchte mehrmals, die SPÖ aus ihrem „Fuchsbau” herauszulocken („Wettbewerb der besseren Ideen”).

Die SPÖ erkannte, daß es einen solchen Wettbewerb in Form von Alternativen deshalb nicht gibt, weil die Regierung ihre Ideen jeweils verwirklichen und augenfällig darstellen kann, was der Opposition nicht möglich ist; auf diesen Kampf mit ungleichen Waffen hat sich die SPÖ nicht eingelassen. Auch der ungeheure Vorsprung der jeweiligen Regierung in der jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit zu allen notwendigen Informationen macht einen solchen Wettbewerb ungleich.

Was eine Partei braucht, sind verläßliche Persönlichkeiten, verständliche Grundsätze und Programme; für jedes gesellschaftliche Wehwehchen sofort ein Rezept anzubieten, ist nicht Aufgabe der Opposition.

Der verstorbene Landeshauptmann und Landwirtschaftsminister

Hartmann hat einmal gesagt, eine Körperschaft, ein Verein, arbeiten meist jahrzehntelang, ohne daß jemand nach dem Statut fragt. Wenn aber dann jemand nach dem Statutenbüchel ruft, ist das meist ein Zeichen, daß etwas im Inneren nicht stimmt, ein Symptom. Im Herumdoktem an Symptomen sind wir ja groß. Ich wünsche mir wieder eine Zeit, wo wir auch in der ÖVP unser geüebtes Statut haben, wo aber niemand danach fragt

Ich erinnere an die glorreiche Statutenreform unter Karl Schleinzer, die unter dem Prätext „Stärkung des Primates der Partei” gelaufen ist. Als Ergebnis kam heraus, daß wir statt drei Bünden fünf bekamen (Frauen- und Jugendbewegung kamen dazu), nunmehr haben wir gar sechs (Seniorenbund). Nun wieder das Herumdoktem an den Bünden bzw. Teilorganisationen …

Bei der Partei-Reorganisation hat man das schreckliche Wort von der „Zurückdrängung der Bünde” erfunden. Was wir brauchen, ist eine verstärkte Heranziehung und eine verstärkte Verantwortlichkeit der Bünde bei der Bildung des gemeinsamen Partei willens! Ein Versuch, so viele positive Kräfte totzulegen, kann nicht gut ausgehen.

Noch ein Hemmschuh für die beabsichtigten Reformen: In der Partei hat sioh in den letzten 10 bis 20 Jahren so mancher Karrierist und Glücksritter festgesetzt. Mancher hat nichts mehr von dem an sich, was unsere Partei, unsere Gemeinschaft begründet hat. Der Schlüssel für die Erneuerung ist vielleicht auch in der Beseitigung des Mißwuchses zu suchen, der die Partei in diesen Jahrzehnten befallen hat - ideeller, inhaltlicher und personeller Art.

Wir müssen einen Schritt zurück tun, zum Ursprung unserer Gemeinschaft, um die Kraft zu gewinnen für den neuen Anfang. Es wird doch kein Mensch glauben, daß in Österreich diese Kraft tot ist. Sie ist nur überwuchert. Wir werden sie, meinetwegen auch unter der Begleitmusik kosmetischer Reformen, wieder freimachen müssen, und dazu sind die Menschen gerufen, in denen diese geistige Grundhaltung lebt.

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