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Reform! Aber wie?

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In drei aufeinanderfolgenden Artikeln hat „Die Furche“ kurz zu umreißen versucht, welchen Problemen sich die Bemühungen um eine Reform der Volkspartei gegenübersehen. Zweck dieser Artikel war es nicht, ein fertiges Reformprogramm anzubieten oder Wünsche und Forderungen im einzelnen anzumelden. Die Reform ist die Sache der Partei. „Die Furche“ zählt sich nicht zur Partei und will sich daher auch nicht das Recht anmaßen, hier ein entscheidendes Wort mitzureden. Daß diese Zurückhaltung anderswo nicht geteilt wird, ja daß praktisch jeder Stammtisch in Österreich sich seit Monaten bemüht, seinen Kren dazuzugeben, läßt eine solche Zurückhaltung von Seiten der Freunde nur gebotener erscheinen. Di Reform selbst, so sagten wir, ist eine Sache der Volkspartei, eine gesunde, eine kräftige, eine erneuerte ÖVP aber ist eine Sache, die alk Österreicher angeht, ohne Grenzen der Partei, vor allem die österreichischen Katholiken. Unser Blatt hat sich immer, dem Willen und dem Vermächtnis ihres verewigten Gründers Dr. Friedrich F u n d e r entsprechend, als ein von den politischen Parteien unabhängiges Organ einer österreichischen katholischen Meinungsbildung betrachtet. Als solches hat sie sich gerade der ÖVP immer freundschaftlich verbunden gefühlt. Mißverständnisse sind meist nur dann entstanden, wenn diese freundschaftliche Verbundenheit mit einer politischen Dienstbarkeit Verwechselt wurde. Freundschaftliche Verbundenheit schließt das Recht, ja die Pflicht der Kritik mit ein. Von diesem Recht der Kritik der Partei gegenüber hat „Die Furche“ immer maßvoll Gebrauch gemacht, aber sie gehört dazu ebenso wie die Kritik, die offene und versteckte Kritik von Seiten einzelner Personen der Partei an der „Furche“, über deren Fehlen oder über deren allzu große Zurückhaltung wir ans gewiß nicht zu beklagen haben. Die Redaktion

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In drei aufeinanderfolgenden Artikeln hat „Die Furche“ kurz zu umreißen versucht, welchen Problemen sich die Bemühungen um eine Reform der Volkspartei gegenübersehen. Zweck dieser Artikel war es nicht, ein fertiges Reformprogramm anzubieten oder Wünsche und Forderungen im einzelnen anzumelden. Die Reform ist die Sache der Partei. „Die Furche“ zählt sich nicht zur Partei und will sich daher auch nicht das Recht anmaßen, hier ein entscheidendes Wort mitzureden. Daß diese Zurückhaltung anderswo nicht geteilt wird, ja daß praktisch jeder Stammtisch in Österreich sich seit Monaten bemüht, seinen Kren dazuzugeben, läßt eine solche Zurückhaltung von Seiten der Freunde nur gebotener erscheinen. Di Reform selbst, so sagten wir, ist eine Sache der Volkspartei, eine gesunde, eine kräftige, eine erneuerte ÖVP aber ist eine Sache, die alk Österreicher angeht, ohne Grenzen der Partei, vor allem die österreichischen Katholiken. Unser Blatt hat sich immer, dem Willen und dem Vermächtnis ihres verewigten Gründers Dr. Friedrich F u n d e r entsprechend, als ein von den politischen Parteien unabhängiges Organ einer österreichischen katholischen Meinungsbildung betrachtet. Als solches hat sie sich gerade der ÖVP immer freundschaftlich verbunden gefühlt. Mißverständnisse sind meist nur dann entstanden, wenn diese freundschaftliche Verbundenheit mit einer politischen Dienstbarkeit Verwechselt wurde. Freundschaftliche Verbundenheit schließt das Recht, ja die Pflicht der Kritik mit ein. Von diesem Recht der Kritik der Partei gegenüber hat „Die Furche“ immer maßvoll Gebrauch gemacht, aber sie gehört dazu ebenso wie die Kritik, die offene und versteckte Kritik von Seiten einzelner Personen der Partei an der „Furche“, über deren Fehlen oder über deren allzu große Zurückhaltung wir ans gewiß nicht zu beklagen haben. Die Redaktion

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Reforml Aber wie? So haben wir die bisherigen Artikel überschrieben. Zu einer Reform gehören aber nicht nur die Grundsätze, nach denen sie durchgeführt werden soll, sondern ebenso die Männer, die sie durchführen sollen. Reform — aber mit wem? In dieser Woche tagt der Wahlausschuß der Partei. Er wird jene personellen Maßnahmen vorschlagen, die dann der Parteitag nächste Woche in der Hofburg zum Beschluß erheben wird. Es gehört zu den Schwierigkeiten einer Wochenzeitung, die den Journalisten mehr noch als den Leser ärgert, daß sie nicht immer ganz aktuell sein kann. Wenn der Leser diese Zeitung in der Hand hält, wird er vielleicht schon mehr wissen als der Schreiber dieses Beitrages. Er wird wissen, welche Persönlichkeiten der Wahlausschuß beziehungsweise die Bundesparteileitung dem Parteitag als Parteiobmann und Generalsekretär vorschlagen wird. Man hat die Reform, vor allem die personelle Reform, oft als ein Karussell, als ein Ringelspiel bezeichnet. Dieses Ringelspiel hat sich in den letzten Monaten und Wochen sehr oft gedreht. Wer heute im Vordergrund stand, von dem war morgen nicht mehr die Rede, aber in einigen Wochen konnte er wieder auf der Bildfläche erscheinen. Nun, dieses Ringelspiel muß einmal zum Stillstand kommen. Aber wer weiß, ob es nicht doch in den letzten Tagen eine halbe Drehung macht?

Reform, mit wem? Das dringende Verlangen nach einer Reform hat sich vor allem an der Frage entzündet, welche Personen an der Spitze der Partei stehen sollen. Das österreichische Bürgertum — wenn wir diesen leicht irreführenden Ausdruck historisch verstehen wollen, nicht als Kennzeichen der jetzigen und schon gar nicht einer kommenden Partei — hat sich politisch immer nur dann als eine Einheit verstanden, wenn es sich um einen einzelnen Mann gruppierte. Das war Lueger in der Grün-•dungszeit der christlichsozialen Partei, das war Seipel in der Ersten Republik, das war Raab in der Zweiten Republik. Die Zwischenzeiten waren, mit Ausnahme der Sternstunde von 1945, immer Zeiten des Niederganges. Als nach der Wahl von 195 3 die Volkspartei sich einer ähnlichen politischen Situation gegenübersah wie heute, erhob sich nur deswegen nicht der Ruf nach einer Parteireform, weil der starke Mann ja schon vorhanden war. Er mußte nur aus dem 'Hintergrund in den Vordergrund treten. Heute steht hinter Raab keine Persönlichkeit gleichen Formates. Der Mann hatte das Programm ersetzt. Wird heute ein neues Programm den Mann ersetzen? Reform, aber mit wem?

So stellt sich die Situation heute, wenige Tage vor den entscheidenden Sitzungen der Partei dar: Auf dem außerordentlichen Bundesparteitag sollen der Bundesparteiobmann und der Generalsekretär gewählt werden. Eindeutig steht zunächst die Wahl eines neuen Generalsekretärs fest. Der bisherige Generalsekretär, Dr. Maleta, wurde inzwischen zum Obmann des ÖAAB gewählt und rückt damit automatisch auf den Posten eines der stellvertretenden Parteiobmänner. Er soll dort jene politische Initiative zeigen, die er in der Kärntner Straße nicht zu zeigen vermochte oder nicht zeigen durfte. Aussichtsreichster Kandidat für den Posten eines neuen Generalsekretärs scheint der ehemalige Staatssekretär Dr. W i t h a 1 m zu sein. Sein Name dürfte Gewähr dafür bieten, daß das Wort vom „christlichen Abendland“ vielleicht doch mehr ist als ein schmückendes Beiwort. Seine katholische Grundhaltung ist ebenso unbestritten wie sein österreichisches Bekenntnis. Er scheint in beiden Bereichen auch den nötigen Mut zu haben, gegen falschen und gefährlichen Opportunismus aufzutreten. Durch seine Tätigkeit als Staatssekretär im Finanzministerium hat er auch Einblick in staatliche Verwaltung erhalten, um ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Partei- und Regierungs-funktiorien sicherzustellen. Eine stärkere Profilierung in der Öffentlichkeit wurde vielleicht verhindert durch seine Loyalität einem Minister gegenüber, mit dem er nicht überall übereinstimmen konnte. Daß er, wird er zum Generalsekretär gewählt, damit eine ministerielle Karriere ausschlägt — beim Ausscheiden des Finanzministers wäre ihm sicher das eine oder andere Regierungsamt offengestanden —, mag sicherlich für ihn sprechen

Von einer Kandidatur des ehemaligen Außenministers Dr. Gruber für den Posten des Generalsekretärs war in letzter Zeit nicht mehr viel zu hören. Die großen, in manchem auch problematischen Talente dieses Mannes liegen, so glauben wir. kaum auf dem Gebiet des Generalsekretärs der Partei. Seinem Ehrgeiz wird sicherlich noch manches Feld offenstehen. Was die Partei heute braucht, ist ruhige, sachliche Arbeit und — Festigkeit.

Der Generalsekretär ist wichtig, er ist eine Schlüsselfigair. Die Augen des Volkes aber — und nicht nur des Parteivolkes — richten sich nach dem Mann an der Spitze. Bundeskanzler Raab hat vor Monaten in aller Öffentlichkeit erklärt, daß er eine seiner beiden Funktionen aufgeben wird. Und die Öffentlichkeit hat das so verstanden, daß er als Parteiobmann zurücktritt. Dies ist auch das Hauptverlangen jener oft als „Fronde“ der Landeshauptleute bezeichneten Reformbestrebungen der westlichen und südlichen Landesorganisationen der ÖVP. Die Bundesländervertreter haben sich noch vor kurzem durch Beschlüsse ihrer Landesparteileitungen verpflichten lassen, für eine Trennung von Partei-iihd Regierungsfunktionen einzutreten. Niemand wird heute mutwillig eine Änderung an der Spitze der Regierung betreiben, so bitter notwendig es auch sein wird, sich darüber einmal Gedanken zu machen.

Wer soll nun den Bundeskanzler als Parteiobmann ablösen? Es ist naheliegend, hier den Blick nach den Bundesländern zu richten, wo der Ruf nach der Reform am stärksten erschallte. Landeshauptmann K r a i n e r hat es verstanden, sich in der Steiermark unter schwierigsten politischen Bedingungen eine von allen geachtete starke Stellung zu schaffen. Niemand wird es ihm verargen, wenn er seine Aufgabe als Landeshauptmann noch nicht als beendet ansieht. Aus der Steiermark kommt auch der dritte Präsident des Nationalrates, Dr. G o r b a c h. Sosehr er au den Rufern einer Reform gehörte, so hat er sich doch niemals mit allen, manchmal etwas widerspruchsvollen Reförmvorschlägen und Reformbestrebungen identifiziert. Dr. Gorbach war vor 1938 als Landesleiter der Vaterländischen Front in der Steiermark einer der härtesten Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er war daher auch einer der ersten, die ins KZ kamen. Nach 1945 ist Dr. Gorbach stets für eine Versöhnung mit seinen ehemaligen Feinden eingetreten, für einen Ausgleich alter Gegensätze. Das war menschlich sehr hochherzig gedacht, hat aber — sicherlich unbewußt und ungewollt — zur Folge eine gewisse Durchsetzung des mittleren und unteren Parteiapparates in den südlichen Bundesländern mit ehemaligen Nationalsozialisten sowie eine auch organisatorische Sammlung jener völkischen und pseudonationalen Elemente, die gewiß nicht zur Zeit und zur Gänze als neonazistisch bezeichnet werden dürfen, die aber doch jenen pränazistischen Untergrund bilden, der in Österreich stärker noch als in Deutschland umschwiegen wird. Das persönliche eindeutige katholische und österreichische Bekenntnis Dr. Gorbachs ist dabei niemals in Zweifel gestanden.

Aber kommt es überhaupt zur Wahl eines neuen Parteiobmannes? Das, was Monate hindurch absolut sicher schien, scheint jetzt fast schon wieder in Frage gestellt zu sein. Es kann gewiß nicht als Halsstarrigkeit bezeichnet werden, wenn der Bundeskanzler im letzten vielleicht zögert. Die Reformbeweung ist ein so uneinheitliches, widerspruchsvolles Gebilde, bei dem sich jeder etwas anderes vorstellt, daß es dem Mann, der sich selbst als Verkörperung des österreichischen Bürgertums fühlt, nicht verübelt werden kann, wenn er Bedenken trägt, den Kommandoturm zu verlassen. Und wenn er nicht freiwillig geht, wer könnte ihn zwingen? Und wenn er die Drohung mit einer erzwungenen Neuwahl des Parteiobmannes mit der Drohung beantwortet, auch seinen Posten als Kanzler zur Verfügung zu stellen, wer in der Partei hätte den Mut, auch diese Karte zu stechen? Dazu kommt noch eines: Ein Kanzler, der nicht Parteiobmann ist, sähe sich einem Vizekanzler gegenüber, der auch im Namen seiner Partei spricht. Auch wenn die Sozialisten dem Kanzler Raab heute rücksichtsvoller begegnen, ihn sozusagen schonen, wer sagt, ob sie nicht schon morgen den Kanzler gegen einen Parteiobmann der ÖVP ausspielen würden? Und noch eiues: Eines der Ziele der Reform soll es auch sein, den Primat der Partei gegenüber der Regierung festzulegen. Die Partei befiehlt dem Staat, so hieß es einmal. Welcher Parteiobmann könnte dem Kanzler Raab befehlen? Aber eine Parteireform durch Raab als Parteiobmann, das wäre doch ein Unding. Sollte der Mann die Reform durchführen, gegen den sie sich letzten Endes selbst richtet? Nun wird als Ausweg von einem geschäftsführenden Parteiobmann gesprochen. Ist das ein Ausweg? Welche Persönlichkeit müßte er sein, damit er nicht zwischen Partei und dem Parteiobmann Raab zerrieben wird? Aber wäre es nicht das Schicksal jeder Persönlichkeit, die heute ein verantwortungsvolles Amt in der Partei übernimmt, zerbrochen, zerrieben und verheizt zu werden? Vielleicht ist das der Grund dafür, daß man in den letzten Wochen nicht mehr den Namen eines Mannes ins Spiel brachte, der zu den Besten und den Hoffnungsvollsten gehört, die die Partei heute zur Verfügung hat: den Namen des Landwirt--sohaftsministers Ing. Hartmann.

Das ist das große Dilemma, vor dem heute die Partei steht. Soll sie alles, was sie besitzt, in die Schlacht werfen, oder soll sie die Besten noch als eine Art „eiserne Reserve“ zurückhalten? Das heißt mit anderen Worten, hat die ÖVP auf ihrem Weg schon zu jenem festen Boden zurückgefunden, auf dem allein ein Neuaufbau mit Aussicht auf Erfolg versucht werden kann? Ist die feste Wand im Rücken schon erreicht, von der aus sie in die Offensive gehen kann, oder ist nicht auch der jetzige Zeitpunkt ein Durchgangsstadium, etwas Vorübergehendes, die jetzige Plattform eine Zwischenstufe? Und wenn dem so ist, muß sie nicht ihre Besten aufheben für jenen späteren Zeitpunkt, und muß jener spätere Zeitpunkt nicht vor allem die Bausteine fest und intakt sehen, mit denen der Neubau gefügt werden kann? Diese Quadersteine sind die Bünde der ÖVP. Sie heute zerschlagen zu wollen, wie manche Illusionisten meinen, hieße bloß den Sand vermehren.

Niemand erwartet, daß aus dem Reformparteitag der ÖVP die neue Partei wie ein Vogel Phönix erstehen wird, weil niemand auch erwartet, daß dort das Alte zu Asche verglühen wird. Worum es geht ist dies: An-

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