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Gor bach II ohne Klaus?

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Durch das Rücktrittsangebot des Bundesministers für Finanzen, Doktor Klaus, haben die an eindrucksvollen Wendungen ohnedies reichen Regierungsverhandlungen in der vermutlich letzten Phase noch einen unerwarteten dramatischen Höhepunkt erfahren. Unerwartet ist allerdings nur die persönliche Konsequenz dieser Angelegenheit. Aufmerksamen Beobachtern war schon lange klar, und auch in diesem Blatt wurde bereits einige Male vorbereitend darauf hingewiesen, daß die Regierungsverhandlungen erst mit der Erörterung der Budgetprobleme zu den schwierigsten Themen vorstoßen würden. Eine Lösung dieser Probleme mußte um so schwerer fallen, je mehr Zeit und Kraft vorher verbraucht worden waren, was tatsächlich und auf manchmal unverständliche Weise geschehen ist.

Als Bundeskanzler Dr. Gorbach den bis dahin als Landeshauptmann von Salzburg tätig gewesenen Dr. Klaus in sein Kabinett berief und mit der Führung des Finanzressorts betraute, wurden nicht wenige Vorbehalte angemeldet. Zwar galt Dr. Klaus schon lange als Kandidat für das Amt eines Bundesministers, doch gerade das Finanzministerium schien vielen nicht der geeignete Bewährungsort für diesen Politiker, der als mehr kulturell interessiert galt. Und dennoch ist es heute ein Schock für die österreichische Öffentlichkeit, daß Dr. Klaus dem Kabinett Gorbach II unter Umständen nicht mehr als Finanzminister angehören wird. Wie kam es dazu?

Dr. Klaus verdankt seine in verhältnismäßig kurzer Zeit erworbene große Popularität vor allem einer Tugend, die im politischen Alltag nicht allzu häufig anzutreffen ist: seiner unbedingten Ehrlichkeit. Nicht blendende Rhetorik begleitete sein Auftreten, wohl aber der Eindruck, daß hier ein Mann mit ehrlichem Wollen nach seinem besten Wissen und Gewissen am Werk ist; ein echter demokratischer Politiker also, weil er das Vertrauen der Staatsbürger — und zwar nicht nur aus den Kreisen seiner eigenen Partei — zu gewinnen vermochte und so wahrhaft als Volksbeauftragter den ihm anvertrauten Teil der Staatsgeschäfte führte.

Freilich sind Dr. Klaus bei seiner Amtsführung auch Fehler unterlaufen. Der sichtbarste war wohl die konjunkturpolitisch völlig verfehlte, von gewerkschaftlicher Seite her geforderte Steuersenkung, die er sich — wie man hört, zwar widerstrebend, aber doch — abringen ließ. Sie hat dem kleinen Mann fast nichts gebracht, entzieht dem Staatshaushalt aber jährlich ungefähr eine Milliarde Schilling, die er bitter nötig hätte. Auf seiner Suche nach Verständnis und Unterstützung für die von einem Finanzminister nun einmal zu vertretenden unpopulären Maßnahmen geriet Dr. Klaus — vielleicht nur unfreiwillig — bisweilen in Frontstellungen, die sowohl die weltanschaulichen als auch die sozialethischen Konturen seines politischen Konzeptes zu verwischen schienen. Das führte dann auch unter anderem dazu, daß er zur bevorzugten Zielscheibe unsachlicher und gehässiger Angriffe aus den Reihen der zweiten Koalitionspartei wurde. Nur allzubald mußte freilich Dr. Klaus erkennen, daß meistens jene, die besonders gerns von Stärke und Härte reden, diese Tugenden nicht aufbringen, wenn es gilt, sie im eigenen politischen Lager oder gar gegenüber selbstsüchtigen Interessen zu bekunden.

Wie sehr Dr. Klaus als Exponent des aktiven Katholizismus in Österreich gilt, bewies ein aufsehenerregender Schritt der Katholischen Sozialakademie im Sommer vergangenen Jahres. Damals wurde erstmals „hinter den Kulissen“ die Meinung kolportiert, der Finanzminister sei ein reiner Tor aus der Provinz, „der auf dem glatten Wiener Parkett fehl am Platz sei, den daher ausrutschen zu lassen vielleicht sogar eine Art vaterländischer Tat sein könnte“ — wie eine angesehene Zeitung vor einiger Zeit treffend glossierte. Diese Töne sind in der Bundeshauptstadt leider nichts Neues. Ähnliches konnte man schon zur Zeit der Amtsperiode des Bundesministers Dr. Kolb vernehmen. Offenbar ist man sich mancherorts zu wenig bewußt, daß mit diesem neckischen Spiel des „Verheizens von Politikern“ zwangsläufig ein Verheizen der personellen Basis unserer Demokratie verbunden ist, die angesichts der chronischen Abneigung unseres Volkes gegen Politik im allgemeinen und Parteipolitik im besonderen ohnedies schmal genug ist.

Binnen kurzer Zeit wurde Dr. Klaus also zu einem hervorragenden Mitglied der Regierung Gorbach, ähnlich wie es Professor Karnitz in den von Ing. Raab geführten Regierungen gewesen ist. Natürlich sind Gorbach-Klaus keine Neuauflage des Raab-Kamitz-Kurses. Angesichts der ausgeprägten Persönlichkeiten ihrer Vorgänger mußten sie ihren eigenen Stil entwickeln. Das ist vor allem, was die Regierungsführung anlangt, nicht mehr der Stil der einsamen Entschlüsse und, was die Situation des Finanzressorts anlangt, nicht mehr eine Zeit der bisweilen nur vorübergehend leicht abgeschwächten, sonst aber anhaltenden Hochkonjunktur, sondern eher der Eintritt in eine der vielleicht härtesten wirtschaftspolitischen Bewährungsproben seit 1945. Der neue Stil offenbarte sich deutlich auch in den Regierungsverhandlungen, zu denen man im übrigen stehen mag, wie man will. Aber sowohl Dr. Gorbach als auch Dr. Klaus agierten auf eine Art und Weise, daß jedem Einsichtigen klar werden müßte: Der Staat, das sind nicht „die da oben“, sondern der Staat sind wir alle!

Ein Volk, das diesen Binsenwahrheiten nicht zu entsprechen vermöchte, wäre ganz einfach nicht reif für die demokratische Regierungsform. Wenn Gorbach vor aller Öffentlichkeit demonstriert, wie schwer eine Einigung zwischen den Parteien und selbst innerhalb der Parteien als Voraussetzung einer arbeitsfähigen Regierung herbeizuführen ist. dann betreibt

Nicht nur zuhören! er — gewollt oder ungewollt — Anschauungsunterricht in Demokratie: denn die demokratische Regierungsform besteht wesentlich darin, die Staatsführung einem in viele Weltanschauungen, Parteien und Interessen gespaltenen Volk anzuvertrauen. Daher ist es durchaus legitim, wenn diese Gegensätze erst einmal offen aufgezeigt werden; aber in weiterer Folge muß es zu erträglichen Kompromissen kommen, wollte man nicht in barbarische Zustände zurückfallen und als Ideal die Vernichtung oder wenigstens Unterdrückung des politischen Gegners ansehen. Den demokratischen Kompromissen liegt freilich die Anerkennung des Mehrheitsprinzips zugrunde.

Der Staat sind wir — das wird auch von Dr. Klaus demonstriert. Im Moment ist es der Staat, der nicht mehr vor allem Wohlstand zu verteilen vermag, sondern Opfer auferlegen muß. Vor wenigen Tagen hat Doktor Klaus sein Budgetkonzept auf den Tisch gelegt: Mit einem Gesamtausgabenrahmen von rund 57,5 Milliarden Schilling gegenüber 53,9 Milliarden Schilling im Voranschlag für 1962 ist eine Ausweitung um rund 3,6 Milliarden Schilling oder um etwas mehr als 6 Prozent vorgesehen. Da es sehr fraglich ist, ob das gesamte Sozialprodukt eine solche Steigerung erfahren wird, könnte es sein, daß wir für einige Zeit einen größeren Anteil unseres Güter- und Leistungsvolumens der öffentlichen Hand zur Verfügung stellen müssen als bisher; nicht etwa weil der Finanzminister es so will, sondern weil wir in jüngster Vergangenheit öffentliche Aufgaben und damit öffentliche Ausgaben in einem das Wachstum unserer Volkswirtschaft übersteigenden Ausmaß beschlossen haben. Der Budgetrahmen wäre noch ausgeweiteter, hätte Dr. Klaus nicht mit Entschlossenheit an sich berechtigte Forderungen zurückgestellt, zum Beispiel die Gehaltsregulierung der öffentlich Bediensteten, die Treibstoffverbilligung für die Landwirtschaft, die Stützung des Milchwirtschaftsfonds und anderes. Über die eine oder andere vom Finanzminister vorgeschlagene Maßnahme wird sicher noch zu reden sein, ebenso wie etwa über die nicht gerade glückliche Idee der neuen Kraftfahrzeugsteuer mit etwas grotesken Auswirkungen. Weil er sich aber in diesem schweren Ringen um einen wirtschaftlich gesunden Staatshaushalt und damit um einen gerechten Interessenausgleich allein gelassen fühlte, hat Dr. Klaus schließlich seine Demission angeboten.

Der Finanzminister war auch in dieser betrüblichen Situation noch zu ehrlich, um einfach dem politischen Gegner die alleinige Schuld zuzuschieben. Nur grenzenlose Unwissenheit oder abgrundtiefe und böswillige Voreingenommenheit können diesen Verzweiflungsschritt eines der profiliertesten Politiker unseres Landes mit dem Bemerken abzutun versuchen — was leider geschehen ist: „Mag er zurücktreten, wir werden ihm keine Träne nachweinen.“ Wie immer der Finanzminister heißen mag, dem es obliegen wird, während der nächsten Jahre den Staatshaushalt in Ordnung zu halten, er wird — wenn er gerecht sein will — nicht viel anders vorgehen können, als es Dr. Klaus gegenwärtig versucht.

Nicht einerlei ist es aber, welcher Politiker zu Sparsamkeit und Opferbereitschaft aufruft. Dr. Klaus hat in

Photo; Waschet der kurzen Zeit seiner Amtsführung so viel Vertrauen gewinnen können, daß er die notwendige Glaubwürdigkeit im Volk genießt. Auf diese Glaubwürdigkeit der Politiker aber wird in nächster Zukunft viel, ja vielleicht alles ankommen. Denn bedeutete bisher der in der politischen Umgangssprache häufig anzutreffende Ausdruck: „Das sind unsere Leute“ — das heißt unsere Wähler —, daß man deren Wünsche nicht gut ablehnen könne, so wird es in nächster Zeit wohl noch öfter bedeuten müssen: „Das sind unsere Leute; diesen sind wir glaubwürdig, und deshalb müssen w i r ihnen Verständnis für unpopuläre Maßnahmen abringen.“ Ob wir genügend Politiker haben, die das auch in der Demokratie wagen werden, und ob das Volk ihnen Gehör schenken wird, daran könnte sich das Schicksal unseres Landes entscheiden; jedenfalls aber wird sich die Aufrechterhaltung beziehungsweise Wiedergewinnung verlorener staatlicher Autorität nirgends so sehr wie an dieser Frage erweisen.

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