6636849-1957_21_03.jpg
Digital In Arbeit

Post festuni

Werbung
Werbung
Werbung

I. ÖVP oder: die Ent- täusdiung

Nachher zu sagen, was man vorher hätte tun sollen, ist nicht schwer, wenn auch publikumswirksam. Trotzdem muß man gewisse Dinge erst nachher sagen, über die vorher zu reden nicht gut gewesen wäre. Manche Entwicklungen können auch erst dann beurteilt werden, wenn sie abgeschlossen sind.

Mit der überraschenden Wahl Dr. S c h ä r f s zum Staatsoberhaupt hat die OeVP eine Niederlage erlitten. Mehr, als wenn etwa Johann Böhm gewählt worden wäre.

Der Versuch der Volkspartei, nach rechts aufzumachen, ist gescheitert. Dabei ist es jetzt müßig, und keineswegs Aufgabe dieses Blattes, herauszustellen, wer eigentlich in der VP-Ffih- rung der Anlaß für eine Entwicklung war, die, wie manche meinen, einen Wendepunkt in der VP darstellt und eine endgültige Abkehr von der Politik des Jahres 1945 bilden könnte. Wenn jemand, weil er passionierter Mathematiker ist, Vergleiche mit der Nationalratswahl 1956 zieht, so wird er zwar gewisse Verschiebungen feststellen, trotzdem aber nicht die gewonnenen Verhältnisziffern zum Anlaß von Voraussagen machen können, weil die Gründe, welche den Menschen bei einer Nationalratswahl zur Abgabe seiner Stimme veranlassen, im weithin immer noch josephinistischen Oesterreich doch ganz andere sind als bei einer Präsidentenwahl.

Was kann man als Gründe für den „schlechten“ Wahlausgang bezeichnen?

Erstens war es wahrscheinlich ein Fehler, anzunehmen, es gäbe noch so etwas wie einen „B ü r g e r b 1 o c k". Diese Zeit aber ist vorbei. Das „Bürgerliche“, das sooft auf gerufen wird, um irgendwelche tatsächliche oder vermeintliche Freiheiten zu verteidigen, ist heute keine politische Wirklichkeit mehr, es sei denn, man verwechselt, was man oft vermuten muß, die „Bürger“ mit den wenigen Großbesitzbürgern.

Man ging ferner davon aus, daß die F P O e eine „bürgerliche“ Partei sei. Das ist weder sie noch ist es der VdU ie gewesen, wie überhaupt das, was rechts von der OeVP steht, alle sozialen Schichten unseres Landes um- faßt und keineswegs eine Neuauflage der Großdeutschen Partei darstellt.

Auch die SPOe ist keine reine Arbeiterpartei. Tausende von Bürgern und Kleinbauern stehen heute in der SPOe und fallen dort keineswegs auf.

Die Sozialstruktur unseres Landes hat sich seit 193 stark gewandelt. Wenn die Menschen in der gleichen Art wie vor 1932 vom sozialen Stand her in ihren Wahlentscheidungen bestimmt würden, müßten die Sozialisten seit 1945 die Herrschaft haben. Wenn das nicht so ist, so deswegen, weil die Arbeiter zum Teil verbürgerlicht sind und zu einem guten Teil andere Parteien wählen, die sich in einer grotesken Verblendung weiterhin als „bürgerlich“ bezeichnen. Auch die ehemaligen Nationalsozialisten sind meist alles andere als „Bürgerliche“. Einen Teil von ihnen, der tatsächlich einmal bürgerlich war, hat man vorsorglich durch die NS-Gesetz- gebung zumindest in ihrem Denken entbürger- licht. Andere, etwa die Mitglieder der SA. waren vorweg Arbeiter. Die „Nationalen“ zur Bildung einer „bürgerlichen Einheitsfront“ aufzufordern, war daher eine Verkennung der Tatsachen, wozu noch kommt, daß die FPOe viele Menschen umfaßt, die zu den „Noch-nicht-Bürgerlichen" gehören, aber doch, wenn sie zwischen SPOe und OeVP wählen müssen, vom ursprünglichen sozialen Schwerpunkt her bestimmt werden. Als Gesinnungsgemeinschaft haben die „Nationalen“, soweit sie es in einem bestimmten klassischen Sinn heute noch sind, wenig mit bürgerlichen odeT „christlichen" abendländischen Gedankengängen zu tun. Zu einer Entscheidung zwischen „rot“ und „schwarz“ aufgerufen, werden sie sich auch morgen wieder in der Mehrheit für „rot“ entscheiden, weil sie eben mit dem Liberalsozialismus viel mehr gemeinsam haben als mit den „Christlichen“ und mit den „Bürgerlichen“. Erinnern wir uns doch an die Märztage 193 8!

Sicher war es auch gewagt, anzunehmen, daß die FPOe mehr als eine Wahlpartei sei. So hat man schließlich eine „Braut“ geheiratet und dabei auf ihre Mitgift spekuliert, ohne sich vor der Hochzeit über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Braut, zumindest über ihre Liquidität, zu vergewissern. Die Tatsache, daß im Westen die FPOe (und auch kleine Teile der OeVP-Wähler von 1956) nicht Dr. Denk gewählt haben, läßt aber nicht den S'-'iluß zu, daß deswegen der „Spaltungsprozeß“ der FPOe im

Fortschreiten sei — man denke an die Resultate der letzten Teilwahlen in Innsbruck und in der Steiermark, verglichen mit den Nationalratswahlen 1956! Die FPOe ist eben nur in gewissen Situationen eine Partei im totalen Sinn, sonst aber eine Koordination von verschiedenen losen Gruppen.

Die OeVP wurde durch die abgegebenen Stimmen für Professor B r e i t n e r und die Bedingungen des Erfolges, den dieser erzielen konnte, zu sehr fasziniert und glaubte, mit den gleichen Argumenten wie das „Breitner- Komitee“ die „Breitner-Wähler“ zu gewinnen. Nun war aber der Erfolg von Burghard Breitner nicht allein eine Sache seiner „Ueberparteilich- keit", sondern auch des Umstandes, daß er, weil im „Westen" sitzend, ein Vertreter der ,,W est- Staaten“ war. Es sollte der OeVP das Ost- West-Gefälle bei den Präsidentenwahlen nun doch einmal zu denken geben.

Dazu kommt — was von der SPOe klugerweise vorweg ausgenutzt wurde —, daß alles, was der OeVP im Jahre 1951 als richtig gegolten hatte (nur ein Politiker, nicht ein „Chirurg" kann Staatsoberhaupt werden), jetzt nicht gelten sollte, ohne daß man versuchte, den Gesinnungsumschwung zu erklären.

Stark verwirrend war auch der Slogan der VP — „Partei nix gut". Wenn ein Spirituosenfabrikant in der Weise Reklame für seine Erzeugnisse macht, daß er auffordert, alkoholfreie

Getränke zu kaufen, wird Unruhe' unter seiner Stammkundschaft entstehen. Durch Jahre haben Tausende kleiner Vertrauensmänner in der Hauptkampflinie unter Selbstaufopferung gegen die politische Interesselosigkeit und damit gegen das Erheben des Ueber- und Unparteiischen zum Rang einer politischen Anschauung gekämpft. Und nun sollte alles falsch gewesen sein? Nur wenn man „überparteilich“ ist, kann man Staatsoberhaupt werden? Der Parteipolitiker vermag es „höchstens“ zum Bundeskanzler, der doch auch für alle da ist, zu bringen. Die hervorragenden Rundfunkreden des Herrn Bundeskanzlers, die wegen ihrer klassischen Einfachheit und Eindeutigkeit von einem großen Teil der Oesterreicher gehört werden, beweisen, von den Handlungen des Herrn Kanzlers ganz abgesehen, daß er es wohl vermag, obwohl Parteipolitiker,

in wesentlichen Fragen jenseits aller Parteiinteressen zu entscheiden.

Die Oesterreicher sind gar nicht so über- und unparteiisch, wie man oft glaubt. Sie wollen nur in den Dingen, die aus ihrer Natur mit Parteieinflüssen nichts zu tun haben dürfen, den Parteieinfluß beseitigt wissen. Eine Präsidentenwahl etwa wird nun als eine parteipolitische Angelegenheit und nicht als Sache einer „Bewegung“ empfunden. Ist das nicht auch für die OeVP ein tröstlicher Beweis für die Rechtfertigung der Parteiarbeit: daß die Menschen in unserem Land die Notwendigkeit einer Partei durchaus einsehen? Ich glaube auch, daß NR Gredler von der FPOe recht hat mit der Behauptung, daß einzelne OeVP-Wähler nicht für Dr. Denk gestimmt haben. Einfach, weil man sie verwirrt hat.

Wenn man die Intensität verglich, mit der die beiden wahlwerbenden Gruppen den Wahlkampf führten, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die SPOe den Kampf erheblich ernster genommen hat und nicht, wie die andere Seite, davon ausging, ihr Kandidat sei ohnedies bekannt, es genüge, ihn nur entlang der Autobahn vorzustellen. Es ist nun so, daß, wer in der Wiener Kärntner Straße bekannt und populär ist, noch nicht die gleiche Popularität etwa im Zillertal besitzt, ein Umstand, auf den vor der Wahl schon die Salzburger „Berichte und Informationen“ warnend hingewiesen hatten.

Dazu kam ein seit der Vorjahrswahl sichtbarer Kontaktverlust der OeVP nach unten (insbesondere ins Dorf), der nur zum Teil durch die imponierende Art der Führung der Partei durch den Kanzler und das oberste Parteigremium aufgewogen werden kann. Zum Kontaktverlust kommt auch die Unlust an, wenn notwendig, eindeutiger und mutiger innerparteilicher Kritik in der OeVP, wodurch es ihren Führern (sicherlich unbewußt) verwehrt ist, andere Meinungen als die eines Kreises kennenzulernen. Eine Ausnahme bildet die tapfere und gescheite Art, wie die „Oesterrei- chische Neue Tageszeitung“ Helmut Schusters zu den Dingen Stellung nimmt und etwa das Wahlergebnis kommentiert. Ansonsten geht man aber da und dort (was oben keineswegs gewollt zu sein scheint) davon aus, daß, wer schläft (schweigt), nicht sündigen kann und daß Kritik an sich schon den Charakter einer „parteischädigenden Haltung“ hat.

Ein Teil der „bürgerlichen Presse war während des Wahlkampfes weithin so überparteilich, daß er es auch nicht vermochte, für einen überparteilichen Kandidaten einzutreten ... Man sollte eben nicht vergessen, daß die meisten Tageszeitungen Oesterreichs von Inseraten leben müssen. Ein fettes Inserat kann zumindest ein ..beredtes“ Schweigen herbeiführen, und ein Kredit der Arbeiterkammer ist von einer (bisher in der nationalökonomischen „Theorie der

Kreditwirkungen“ nicht bekannten) Wirkung, die so weitreichend zu sein vermag, daß sich die Haltung (auch „Gesinnung" genannt) eine Blattes sogar zwischen Samstag und Montag ändern kann — eine der bemerkenswertesten Formen westlicher „Gehirnwäsche". Man hat eben diesmal gesehen, daß es tatsächlich unabhängige und „unabhängige“ Zeitungen gibt. Eine Zeitung, die von Inseraten leben muß, ist offensichtlich nicht allein eine „moralische Anstalt", sie muß daher auch Inserate von allen Seiten nehmen, schon um den Schein der Unabhängigkeit zu wahren, ganz abgesehen davon, daß nicht nur Politik, sondern auch bisweilen „Unabhängigkeit“ eine „Fortsetzung der Privatgeschäfte mit anderen Mitteln“ sein kann, um eine Formel Ftengietf abgewandelt anzuwenden.

Wenn sich die OeVP der Presse nicht sicher weiß, das heißt nicht stets mit der indirekten Unterstützung „unabhängiger" Blätter rechnen kann, muß sie eben dem Ausbau der Parteipresse, noch mehr der „nshestehenden" Presse, ihr Augenmerk zuwenden. Jetzt schon — und nicht erst zu Beginn des nächsten Wahlkampfes.

Eines war für die OeVP diesmal ein Gewinn: Sie konnte erkennen (fast drei Jahre vor den nächsten Wahlen), daß sie nur mit dem rechnen kann, was sie sich selbst erwirtschaftet hat. Wenn diese Er-

Zur Organisation: Das, was sich in manchen Orten OeVP nennt, ist kaum mehr als eine kleine Zahl von Honoratioren, die sich einmal im Jahr treffen, sonst aber die politische Arbeit den „Roten“ überlassen. Keine oder wenig Schulung, keine nachbarschaftliche Aufklärung, wenig Arbeit in den Betrieben, da und dort noch dazu die Abschließung gegenüber dem „kleinen Mann" und nachdrückliche Gegnerschaft gegen alles, was da kritisch eingestellt ist und zur Reform drängt. So zeigt sich dem. der, wie der Schreiber dieser Zeilen, viel im Land umherkommt, in manchen Orten jene Partei, die heute vor aller Welt die Geschicke unseres Landes entscheidend bestimmt. Ich glaube, daß die OeVP zu sehr übersieht, daß die andere Seite über die ihr gefügigen Vorfeldorganisationen nun wieder intensiv ihre Anhänger schult und dabei ist, neuerlich eine Elite heranzubilden, ein Unteroffizierskorps, das bereit zu sein scheint, an die alte dynamische Epoche der Sozialisten anzuknüpfen. Die Erfahrung zeigt eben, daß in politischen Dingen nicht allein der größere Glaube siegt, sondern daß der Glaube nachhaltig erst bestehen kann, wenn hinter ihm auch ein entsprechendes Wissen steht. Wer in der politischen Auseinandersetzung mit dem Gegner nicht, zu bestehen vermag, ist ungeeignet für eine politische Funktion. Die politische Auseinandersetzung ist auch eine intellektuelle und ein Messen gegenseitigen Wissens.

Ueber aller Kritik an dem, was war, sollte nicht vergessen werden, daß unser Land in diesen Tagen einem mutigen großen Mann Dank schuldig ist: Universitätsprofessor Dr. Wo Lf gang Denk. Der große Gelehrte, dem in seinem Leben Ruhm und Anerkennung in reichem Maße zuteil geworden sind war in diesen Tagen: „Professor“, Bekenner, opfernd bereit, seinem Lande Repräsentant zu sein. Er nahm auch das Risiko auf sich — bei einem Politiker nur ein „Berufsrisiko“ — keinen Erfolg zu haben und nachher dem Spott hämischer Gaffer und „lieber“ Kollegen ausgesetzt zu sein. Es wäre jetzt notwendig, daß das neue Staatsoberhaupt eine noble Geste setzt. Denken wir, wie Dr. Körner seinen unterlegenen Gegner das Vergangene vergessen ließ.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung