6598534-1953_22_09.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

UNTERRICHTSMINISTERIUM UND GEMEINDE WIEN beabsichtigen zusammen etwa eine Million Schilling aulzubringen, um den Kampt gegen Schmutz und Schund wirksam aufzunehmen. Denn es genügt nicht, das Schlechte zu verbieten — an seine Stelle muß das Gute treten. Diese Einsicht dürfte sich langsam durchsetzen. Nicht zuletzt, nachdem das Missionshaus St. Gabriel aus eigener Ini-tialive schon vor einiger Zeit diesen Weg beschritten und eine Reihe „Frische Saat“ herausgebracht hat, die spannende Erzählungen, die zugleich Literatur sind, in Heftlorm den jugendlichen Lesern zugänglich machen will. Zuqänglich aber wird sie erst durch die Initiative einiger weniger Lehrer (es sind im ganzen kaum ein paar Dutzend), die den Schülern den Mund nach guter Lektüre wässerig machen. Aber eine Reihe ist da viel zu wenig. Zehn würden kaum genügen. Daher sollen Verlagen, die ähnliche wertvolle Serien auflegen '.vollen, Unterstützung durch unverzinsliche Kredite aus einem hierfür zu schaffenden Fonds zugänglich gemacht werden. Auch an eine Koordinierung aller Bestrebungen durch eine „Produktionsgemeinschaft“ wurde gedacht, und die eisten Abschnitte eines gemeinsamen „Schluchtplanes“ festgelegt. In den letzten fünf Jahren wurden in Oesterreich etwa 125 Serien zu durchschnittlich 20 Titel an Schund- und Schmutzheften vertrieben, und von jedem etwa 10.000 Exemplare verkauft — das heißt, daß 25 Millionen Hefte verkauft wurden. Erfahrungsgemäß bildet so ein Heftchen überdies noch ein beliebtes Tauschobjekt, so daß jedes durch zehn bis zwanzig Hände geht und immer wieder gelesen wird. Dabei sind sie im Grunde weder gut noch überhaupt spannend geschrieben. Es besteht nur das Gerücht unter den Jugendlichen, daß sie interessant und lesenswert seien, wozu die Atmosphäre, unter der sie gekauft, getauscht und gelesen werden, ebenso beiträgt wie die Tatsache, daß sie das nahezu einzige sind, was von Schule und Alltag ablenkt, was Phantasie und Abenteuerlust anregt und befriedigt. Denn anderes ist der Jugend zu gleichem Preis nicht zugänglich. Die Verlage müßten nicht darauf warten, daß ihnen gute Manuskripte, die für die Jugend geeignet, stilistisch besser und außerdem spannender sind als die üblichen Erzeugnisse, ins Haus flattern. Sie müßten ihre Autoren heranziehen, ' ihnen Vorschläge machen, Zeit lassen zur Feile am Text und vor allem die Honorare verdoppeln und verdreifachen. Dann würde es schon gehen. Die gesetzgebenden Körperschalten wieder sollten nach dem Vorbild des „Kulturgroschengesetzes“ überlegen, ob nicht die Einführung eines „S c h u n d g r o s c h e n s“ möglich wäre, der allen Publikationen in Heftlorm auferlegt wird und dann von einer Kommission an die Verlage vergeben wird, die wertvolle Publikationen in Buch- oder Heftlorm herausbringen. Dieser „Schundgroschen“ könnte vor allem dazu dienen, eine allmähliche Verdrängung des Idealismus durch neuerwachtes Gewinnstreben zu verhindern, denn der eingefleischte Irrtum, daß das Schlechte besser gehen muß als das Gute, wird sich erst nach und nach aufklären lassen.

MIT INTERESSE VERFOLGEN wir die katholische Presse des Auslandes und fühlen uns mit ihren Herausgebern, Redakteuren und Lesern besonders verbunden. Wenn wir einmal mit einem dieser Blätter in Widerspruch geraten, so muß ein sehr triftiger Grund gegeben sein. Dieser liegt nun vor. Leider. Aber nur mit Befremden kann ein österreichischer Katholik in der angesehenen und auch von ihm hochgeschätzten in Amsterdam erscheinenden katholischen Zeitung „De Tijd“ Ausfälle gegen Oesterreich lesen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Noch dazu, wo sie im Gegensatz zu der sonst so verständnisvollen Berichterstattung dieses Blattes über österreichische Fragen stehen. Schauplatz ist die Filmrubrik, in der A. Domburg mehr als eine Gelegenheit benützt, Pieile gegen die holländisch-österreichische Freundschaft abzuschießen. Die Vorführung des Oesterreich-Filmes in Cannes war eine Gelegenheit. Ueber diesen Film gibt es verschiedene Meinungen — auch in Oesterreich. Sicher aber nicht diese: „... Selten oder nie haben wir ein so freches Stück gesehen. In einem besonders schlecht gemachten Film erzählt Herr Liebeneiner, daß die westliche Welt einige Milliarden Dummköpfe hervorgebracht habe, die nichts davon verstehen, und daß die glorreiche Vergangenheit Oesterreichs mehr als genügende Argumente für die Behauptung, daß das Land keine Besetzung verdient habe, liefern könne. Alles, was österreichisch ist, ist grandios, alles, was die Besetzer betrifft, ist lächerlich. Der Film ist selbstzufrieden, arrogant, äußerst bürgerlich, geschmacklos „humoristisch“ und in hohem Maße unintelligent.,. Die Besatzungsmächte haben gegen das Erscheinen dieses Monstrums keine Einwände erhoben und beweisen damit, daß sie über bedeutend mehr Humor verfügen als das offizielle und nicht-offizielle Oesterreich. Sie haben anscheinend bedacht, daß Maria Theresia zwar eine Oesterreicherin war, aber doch nicht mehr als Hitler und Seyß-Inquart...“ („De Tijd, 25. 7V.) Ein einmaliger Temperamentsausbruch? Leider nein, denn schon am 5. Mai ist ein harmloser Kulturfilm Anlaß zu einer neuen Attacke des gleichen Rezensenten:

„Die Oesterreicher sind auch in einem kurzen, dokumentarischen Film über Wiener Kunst verkehrt hervorgetreten. Der fade, kleine Film, der ohne jede Bedeutung ist, will doch noch eine politike Meinung verkünden. Die Wiener Architektur ist nämlich, wie uns allen bekannt ist, im Kriege durch Bombardemente zertrümmert worden. Was ist das für eine Art? Die Wiener machen schöne Dinge und die Amerikaner zertrümmern sie! Daß hier eine Bücherverbrennung in den germanischen Ländern vorausgegangen ist, hat man bequemlichkeitshalber vergessen. Ebenso die Tatsache, daß die Trümmer in Warschau, Belgrad, Rotterdam und Coventry schon mit Gras bedeckt waren, als die Wiener Architektur noch bestand.“

Hier muß ein Wort des Protestes gesagt werden. Oder besser: Wie wäre es mit einer Einladung der Bundesregierung an Herrn Domburg? Man sollte ihm wirklich Gelegenheit geben, an Ort und Stelle sein Oesterreichbild von den Schatten der Vergangenheit zu befreien!

DIE AM 17. MAI STATTGEFUNDENEN PARLAMENTSWAHLEN IN UNGARN gaben der Presse der freien Welt wieder einmal reichlich Gelegenheit, einem kommunistischen Regime ironisch oder zornig vorzuwerfen, es achte die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie nicht, ja, es habe die Unverfrorenheit, so ein verdächtiges Plebiszit auf eine Einheitsliste der aus der Versenkung hervorgeholten Volksfront als Wahlen, ihr Ergebnis mit dem obligaten 98 Prozent als großen Sieg zu nennen. Diese Glossierung geht an einigen wesentlichen Fragen vorbei, so etwa, als ob es in Ungarn jemals eine richtig funktionierende, das heißt moralisch einwandfreie parlamentarische Demokratie gab und ob nicht vielmehr das heutige Regime nur eine alte Konkursmasse beiseiteschob, schonungslos, aber an sich nicht ohne eine gewisse historische Folgerichtigkeit, schließlich, als ob dieses Regime nicht eben nur im Sinne eines weithin üblichen Rechtsposilivismus freilich in letzter Konsequenz handelt, wenn es auch hier den Namen vom Inhalt radikal trennen will, um namentlich der Jugend vordemonstrieren und ihr einschärfen zu können: Seht, so sind „Wahlen“! Ein Plebiszit und ein Volksfest, ein Frage- und Antwortspiel, aber nur wie bei einer alten Zeremonie, wo niemand mehr an den ursprünglich lebendigen Sinn dachte, hur an die aktuelle Funktion und diese ist im gegebenen Fall weiterer Ansporn zu einer alle Volksschichten umfassenden angestrengten Aufbauarbeit, damit auch diejenigen, die „unten waren und immer unten blieben“, ein besseres, ein menschlicheres Leben kennenlernen. Wir hier draußen können darüber diskutieren, ob und wieweit dieses Fernziel „besseres Leben für alle“ angesichts einer auf Rüstung ausgerichteten Schwerindustrie oder wesensbedingten Unzulänglichkeiten der Planwirtschaft eine Illusion oder gar eine bewußte Irreführung der schon so oft Irregeführten sei. Von innen verfehlt das geschlossene, zielbewußte System seine Anziehungskraft auf die Jugend gewiß nicht und wir richten nichts aus, wenn wir ihr allein darüber predigen wollen, daß das keine „richtigen“ Wahlen wären, zumal diese Jugend sich langsam keinen Begriff mehr von solchen „richtigen“ Wahlen, vom Parlament und von bürgerlichen Freiheitsrechten machen kann, da diese Dinge dort namenlos geworden sind, und ihre Namen wie Mosaiksteine eines byzantinischen Kaiserbildes sorgfältig und nach Vorlage auf ihrem neuen Platz befestigt wurden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung