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Gibt es ein österreichisches Gegenwartsdrama?

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Der Artikel „Oesterreichs gefesselte Phantasie“ „Von einem Staatspreisträger“ in Nr. 42 der „Furche“ müßte als ernsthafte Provokation in einem echten Theaterland, wie es Oesterreich doch ist, einen Sturm von Zuschriften hervorrufen. Der Absatz:

„Alle Rufe nack dem .kommenden Dramati-ker'0sind deskalb unekrlick und werden verkal-len. Die Tkeater bedürfen seiner nickt und würden Sick, wenn er käme, nickt mit ikm identifizieren und lieber auf ikn als auf das Publikum verzickten.“ verdiente einem Kulturgericht vorgelegt zu werden, wenn es ein solches gäbe. Man wirft gerade den Sowjetkulturbehörden nicht ohne gutes Recht die Unterdrückung eines sein Zeitalter ernsthaft deutenden Künstlers vor. Wenn Gleiches unter dem schleißigen Deckmantel scheinbarer Schaffensfreiheit geschieht, wie das Ihr „Staatspreisträger“ bitter wie Galle begründet, muß sich in dem Theaterland Oesterreich ein Sturm des Widerspruches erheben. Stillschweigen hingegen bedeutete die Kapitulation vor dem Uebel. Ich fasse daher meine Thesen zusammen:

X. Ihr „Staatspreisträger“ beleidigt unsere Theaterleitungen, die sie subventionierenden Stellen und vor allem das Publikum, als würden sie Echtes, wo es sich zeigte, nicht mehr zu •schätzen bereit sein.

2. Er zieht daraus im Schlußabsatz leider Folgerungen, die man wie „Rette sich, wer kann!“ oder „Auswandern!“ nur als Fahnenflucht bezeichnen kann, wie sie jetzt die Sowjetschriftsteller ihrem Kameraden Pasternak gleichzeitig vorwerfen und aufzwingen.

3. Ihr Autor fordert den Gegenbeweis. Ich gebe ihn in dem Satz: „Ein Lebenswerk kann ihn widerlegen!“, überdies mit konkreten Hinweisen auf das eigene, ihn nur scheinbar bestätigende Ringen um eine zeitgemäß-volkstümliche dramatische Kunst, in dem der echte und starke Künstler sich durch nichts verbittern läßt.

4. Hätten wir eine Kulturverfassung, wie ich sie als Kultur- und Wirtschaftspublizist seit mehr als einem Vierteljahrhundert fordere, müßte Ihr anonymer „Staatspreisträger“ vor ein Kulturgericht gestellt werden, seinen Namen natürlich enthüllen und seine Auf-fasung durch Tatsachen statt bloßer Behauptungen gründlich belegen.

Dr. KONRAD PRAXMARER

Ein „Staatspreisträger“ hat in der „Furche“ vom 18. Oktober darauf hingewiesen, daß es keine österreichischen Dramatiker gibt.

Es wird paradox erscheinen, daß ausgerechnet einer der erfolglosesten österreichischen Dramatiker dem Lorbeegekrönten widerspricht:

Das anscheinende Versagen der dramatischen Kunst ist nicht ein Zeichen unserer Zeit! Und es ist keinesfalls auf Oesterreich beschränkt! In den letzten 60 Jahren gab es im deutschen Sprachgebiet ungefähr zwölftausend Ur- und Erstaufführungen deutscher und ausländischer Autoren. Von all diesen Stücken, die vielfach als Kunstwerke gepriesen wurden, „existieren“ heute nur noch 40( bis 50. Der Naturalismus ist zwar noch wirksam, da er den Schauspielern große Entfaltungsmöglichkeiten bietet, aber als Kunstrichtung ist er tot. Der Expressionismus der zwanziger Jahre ist verpufft. Die Ausbeutung der Gestalten und Stoffe der antiken Tragödie durch unsere „großen“ Zeitgenossen ist, bei aller geschickten Verquickung mit heutigen Problemen, ein sehr billiges und im Grund wertloses Beginnen. Und die kabarettistische Verarbeitung tragischer Stoffe zu Farcen, durch

Jonesco, Frisch, Marceau und andere Hypermodernen ist die Bankrotterklärung der dramatischen Kunst! Weder die existentialistischen Dramen eines Sartre, Camus und Marcel noch die blendenden, unterhaltenden Komödien der Boulevarddramatiker Frankreichs sind—wie etwa die Dramen Ibsens und Hauptmanns! — notwendige Meilensteine auf dem Entwicklungsweg des Dramas!

Nein, lieber Staatspreisträger, die von Ihnen richtig erkannte Tatsache, daß es nur ganz wenige wirkliche Dramatiker gibt, deren Werke nicht nach einigen Jahren verstauben, ist — wie gesagt — weder auf unsere Zeit noch auf unser Land beschränkt! Und diese Tatsache hat mit der gegenwärtigen politischen und sozialen Situation Oesterreichs nicht das geringste zu tun! Daß man in Frankreich, Amerika und England mehr angebliche „große Talente“ entdeckt, hängt — von der Proportion zu den Bevölkerungszahlen abgesehen — nur damit zusammen, daß wir für alles Fremde aufgeschlossen — ja vielleicht zu sehr aufgeschlossen!' — sind, während die anderen Länder in erster Linie ihre nationale Produktion schätzen, so daß ihre Theater unter dem ständigen und nützlichen Druck stehen, neue Talente entdecken zu müssen!

Und so gelangen wir wieder zu der von Ihnen zu Recht aufgeworfenen Frage, wen die Schuld am Fehlen der Talente treffe. Und ich, der Erfolglose, sage Ihnen: Nicht das „Gesell-

Um den Theatern ihre Aufgabe zu erleichtern, müßte ein eigenes Organ, bestehend aus den besten kritischen Geistern des Landes, geschaffen werden, dessen (gut zu honorierende!) Aufgabe es wäre, die neuen, wertvollen Stücke zu entdecken und den Theatern vorzuschlagen; während der Staat, durch besondere Subventionen, den Theatern das materielle Risiko bei der Aufführung dieser Stücke abnehmen müßte.

Dann könnten die begabten Dramatiker Oesterreichs im Lande bleiben, statt — wie angeregt wurde — verschickt zu werden . ..

Dr. WALTER L I E B L E IN

Ausgangspunkt der Betrachtungen des „Staatspreisträgers“ ist die Feststellung: „Es gibt keine österreichische Dramatik.“ Diesen Satz zu widerlegen, wird einem, wenn man nur ehrlich und selbstkritisch genug ist und an den Begriff des Dramatikers die strengen und höchsten Maßstäbe einer spezifischen Kunstform anlegt, schwerfallen. Die Ursache für diesen bedauerlichen Mangel, der bei einem musisch so begabten Volk, wie es das österreichische nun einmal zweifellos ist, besonders auffällt, glaubt der Verfasser des erwähnten Artikels beinahe ausschließlich in den gegenwärtigen politischen und sozialen Verhältnissen zu erkennen, jener allgemeinen Konsolidierung und Sattheit, die schaftsieben“, sondern nur die Theaterbetriebe sind daran schuld! Solange in den Dramaturgien der Theater, in den Lektoraten der Verleger und in den Vorjurys bei Wettbewerben Menschen sitzen, die der schwersten aller Aufgaben — das ist das Erkennen des „Wertvoll-Neuen“ in der Kunst — nicht gewachsen sind, solange muß sich zwangsläufig eine negative Selektion ergeben, durch die alle schöpferisch-neuen Stücke unter den Tisch fallen und nur die „Durchschnittsware“ an den Direktor weiter-gefcitet wird und so vor das Publikum und die berufsmäßigen Kritiker gelangt.

Falsch ist es auch, der Unzulänglichkeit und Interesselosigkeit des Publikums die Schuld am Verfall des Theaters zuschieben zu wollen. Das Publikum als Ganzes ist, wie jeder einzelne von uns, mehrschichtig. Dieselben Menschen, die sich „gerne unterhalten“ und jeden gut gespielten Unsinn beklatschen, wären fähig, durch wahre dramatische Kunst erschüttert und beglückt zu werden. Aber man muß ihnen diese Kunstwerke bieten! Der primitivste Mensch empfindet den Niveau- und Wertunterschied zwischen einem guten Schlager und einer Bruckner-Symphonie oder zwischen einem spannenden Kriminalroman und einem Dostojewskij. Nur beim Theater wird dieser Unterschied dadurch verwischt, daß hervorragende Schauspieler und Regisseure eingesetzt werden, um wertlose Stücke zu spielen.

Die Lösung des Theaterproblems lautet daher: Mobilisierung der hervorragendsten kritischen Talente, vor allem als Dramaturgen und als Preisrichter. stets ein schlechter Nährboden für die Entwicklung einer aktuellen, zeit- und hautnahen Dramatik sei. Das Aus- und Angleichen der politischen Gegensätze etwa entspräche einer „geistigen Indifferenz“, einer Spannungslosigkeit, aus der kein echtes Drama entstehen könne. Diese Tatsache berührt allerdings ein Wesenselement, eine Grundhaltung des Oesterreichers, die schon Hofmannsthal in seiner oft zitierten „Gegensatz-tafel“, wo preußische und österreichische Eigenart in wenigen Stichworten anvisiert und einander gegenübergestellt werden, etwa mit folgenden Charakteristika umschreibt: „Ablehnung der Dialektik“, „Balance“, „Fähigkeit, sich im Dasein zurechtzufinden“, „Hineindenken in andere bis zur Charakterlosigkeit“, „Handelt nach der Schicklichkeit“, „Bleibt lieber im unklaren“, „Weicht den Krisen aus“, „Schauspielerei“. Gewiß, das sind Eigenschaften, die sehr wenig zum Dramatiker, wohl aber zum Komödianten, zum Menschendarsteller prädestinieren.

Wenn nun unser „Staatspreisträger“ als Kronzeuge für jene westlichen Länder, in denen auf Grund ihrer staatlichen und gesellschaftlichen Struktur, der aktiveren Einstellung ihrer geistigen Elite zu den brennenden Problemen unserer Zeit, „große Dramatik möglich“ ist, Frankreich, die USA und England anführt, so muß man zunächst bestätigen, daß alle wesentlichen Erscheinungen auf dem Gebiete der modernen Dramatik tatsächlich aus diesen Staaten, diesen Kulturkreisen stammen. Man darf dabei nicht übersehen, daß die große Durchschlagskraft mancher dieser Werke nicht allein auf der, aktuellen Thematik, sondern zu einem! guten Teil auch auf deren gekonnter dramaturgischer Ge-, staltung, ihrer szenischen Wirksamkeit beruht. In keiner Besprechung von Osbornes „Blick zurück im Zorn“ etwa fehlt der Hinweis auf die blendende Technik, die Theaterpranke des jungen Schauspieler-Autors. Von den Amerikanern wissen wir um ihr höchstentwickeltes Schulsystem zur Erlernung der „handwerklichen Griffe“, von dem fast jeder der heutigen Großen von Arthur Miller bis Tennessee Williams — beginnend mit den „Fingerübungen“ zahlloser Einakterstudien — profitiert hat, und bei den Franzosen beruft sich ein Anouilh immer wieder stolz auf das väterliche Schneider-Handwerk, dem er in seinen Stücken, was den traditionell exakten, klaren Aufbau, die gutsitzende Paßform betrifft, keine Schande zu machen hofft. Bei uns aber steht im allgemeinen die Idee im umgekehrten. Verhältnis zu ihrer Verarbeitung: je bedeutender, je anspruchsvoller das Thema, um so vager, undramatischer die Durchführung, und wirklich theatergerechte Stücke schreiben nur die Konfektionäre.

Diese Tatsache ebenfalls als eine Folge der angeprangerten staatlichen und privaten Lebenseinstellung hinzustellen, mag allerdings schwerfallen. Und warum, so drängt sich die Frage auf, nimmt sich kein österreichischer Bühnenautor, wenn schon wirklich nur die äußeren Verhältnisse daran schuld sein sollen, daß es bei uns nicht auch zur Ausbildung einer wirklich zeitnahen Dramatik kommt, eben diese Verhältnisse zur Zielscheibe seiner Angriffe, seiner Kritik, einer echten Auseinandersetzung mit den Kräften und Mächten der Zeit und des Raums, in denen wir leben? Warum sollte es nicht möglich sein, jene Probleme, um „Oesterreichs gefesselte Phantasie“ in ihrer weitesten Konsequenz auf die Bühne zu bringen und damit Fragen zur Diskussion zu stellen, die uns — hier und heute — unmittelbar angehen? Hier wäre doch ein Thema, an dem sich eine bodenständige Dramatik entzünden, ein Autor aus dem Wesen des eigenen Volkes schöpfen könnte. Und hier würde gewiß auch die Resonanz des Publikums nicht ausbleiben, das sich in den Figuren eines solchen Stückes wiedererkennen, von seinem Geist bewegt werden müßte aus der Einsicht: tua res agitur! Denn so richtig es ist, daß wir im Augenblick keinen wirklich repräsentativen Dramatiker besitzen, so falsch ist der Schluß, daß wir einen solchen gar nicht haben könnten, weil er — wie unser Autor in typisch österreichischer Manier wehleidigen Raunzens meint — eh nicht gespielt würde. Wenn nämlich die. Theater tatsächlich immer nur den bequemen Weg eines farblosen, unverbindlichen Spielplans gingen, hätten alle jene großen Werke aus Frankreich, Amerika und England, auf die in dem Artikel angespielt wird, nicht aufgeführt werden können. In Wahrheit aber wurden einige von ihnen sogar ausgesprochene Publikumserfolge, wie etwa „Conways und die Zeit“, „Das Tagebuch der Anne Frank“, „Zeitgrenze“, „Requiem für eine Nonne“ oder „Die schmutzigen Hände“. Wenn aber diese Stücke, deren mitunter recht „unangenehme“ Aussage in den jeweiligen Aufführungen doch keineswegs verniedlicht oder verwässert wurde, schon so gut und „richtig“ ankamen, wie begeistert müßte von einem wachen und denkenden Publikum erst eine Dramatik aufgenommen werden, die sich mit spezifisch österreichischen Problemen beschäftigt, wenn sie nur wirklich darauf „brennen“ und — in eine dem Thema adäquate, bühnengerechte Form gebracht wurden. Gewiß: der durchschnittliche Theaterbesucher hierzulande zieht die bequeme, harmlose Unterhaltung solchen Stücken vor, die nur in Abgründen wühlen und ihn mit fernliegenden Fragen quälen; wenn er jedoch vom Menschlichen her gepackt wird, dann verdaut er auch so manchen harten Brocken. Wo aber ist ein solches bedeutendes österreichisches Stück, dem sich — wie es heißt — die Bühnen widersetzten, dessen Aussage sie verwässerten, dessen Autor sie zur Abkehr auf billige Seitenpfade oder vom eigenen Lande zwängen? In Wirklichkeit ist es ja leider so, daß bei uns gerade die wenigen tatsächlich begabten jungen Dramatiker — selbst wenn sich, wie etwa im Falle Zusanek, sogar die Staatsbühne schon ihrer frühen Werke annimmt — sehr bald ganz von sich aus den bequemeren und — zugegebenermaßen — einträglicheren Weg der Film-; Fernseh- oder Rundfunktätigkeit einschlagen, was beinahe immer mit einem beträchtlichen Niveauverlust verbunden ist.

Der echte, der geborene Dramendichter aber, den es zur Aussage in der ihm einzig gemäßen Form auf der Bühne drängt, wird sich auf die Dauer nicht vom Mammon verlocken lassen, ihm sein Talent zu opfern, Auf ihn wollen wir, allem Pessimismus zum Trotz, warten. Und. kommt er, ihm die Theater weiter weit offen halten!

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