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Nicht nur regional denken!

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Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich erstmals ein Wandel in den Spielplänen vollzogen. Der „Klassikersturz“ der letzten Zeit verursachte ihn. Besonders zeigt sich dies bei den Stücken Schillers. Die Zahl ihrer Inszenierungen ging von 50 in der Spielzeit 1966/67 vier Jahre später auf die Hälfte zurück. In der Zahl der Aufführungen wurde 1970/71 gegenüber 1959/60 nur noch ein Viertel erreicht. — Das läßt sich erklären: Die Neuinterpretationen der Klassiker aus der Sicht einer durch die Katastrophen unserer Zeit veränderten Welt haben sich erschöpft, Regieeingriffe zwecks Umfunk-tionierungen führten sich zum Großteil durch ihre Gewaltsamkeit ad absurdum. Da auch die in der NS-Zeit nicht gespielten ausländischen Bühnenwerke längst über die Bretter gegangen waren, mußte eine Fülle neuer Stücke herausgestellt werden, die aus anderen Herkunftsbereichen stammten.

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Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich erstmals ein Wandel in den Spielplänen vollzogen. Der „Klassikersturz“ der letzten Zeit verursachte ihn. Besonders zeigt sich dies bei den Stücken Schillers. Die Zahl ihrer Inszenierungen ging von 50 in der Spielzeit 1966/67 vier Jahre später auf die Hälfte zurück. In der Zahl der Aufführungen wurde 1970/71 gegenüber 1959/60 nur noch ein Viertel erreicht. — Das läßt sich erklären: Die Neuinterpretationen der Klassiker aus der Sicht einer durch die Katastrophen unserer Zeit veränderten Welt haben sich erschöpft, Regieeingriffe zwecks Umfunk-tionierungen führten sich zum Großteil durch ihre Gewaltsamkeit ad absurdum. Da auch die in der NS-Zeit nicht gespielten ausländischen Bühnenwerke längst über die Bretter gegangen waren, mußte eine Fülle neuer Stücke herausgestellt werden, die aus anderen Herkunftsbereichen stammten.

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Die französischen Dramatiker, die noch 1945 die Theater der ganzen Welt beherrschten, schweigen. Es gibt, so weit sich dies übersehen läßt, keine neuen Stücke von Sartre, Genet, Salacrou, Neveux, Pagnol. Anouilh und Felicien Marceau bieten lediglich mäßigen Boulevard. Ionesco versucht sich zu halten, ohne seine frühere geistige Intensität zu erreichen. Arrabal wird schwächer, von Schehade hört man nichts mehr. Auch von den Amerikanern scheint kaum viel zu erwarten zu sein. Das gilt für Thornton Wilder und Tennessee Williams. Arthur Miller allerdings kündigt ein neues Stück an. Und Edward Albee? Von dem erst Vierundvierzigjährigen erklärte Georg Hensel, er liege seit zehn Jahren im Krankenbett, wo er weder leben noch sterben könne. Die östlichen Dramatiker befanden sich noch vor ein paar Jahren mit Stücken im Vormarsch, die verschlüsselt gegen autoritäre Maßnahmen Stellung nahmen. Das ist offenbar abgewürgt.

England hat Vorrang

Den stärksten Auftrieb an neuen Stücken bieten nun England und die deutschsprachigen Länder, doch ist England heute das Zentrum der Dramatik, da diese Bühnenwerke auch jenseits der eigenen Grenzen, besonders in der Bundesrepublik, gespielt1 werden. Vielleicht, hat sich Harold Pinter ausgeschrieben, wie, gesetzt es stimmt, Albee. Dagegen kommt Edward Bond besondere Bedeutung zu und daneben gibt es mehr als ein Dutzend neuer Autoren, deren Stük-ke mit Erfolg aufgeführt werden. Im deutschsprachigen Bereich wartet man nun nicht mehr nur auf neue Stücke der Schweizer Dürrenmatt und Frisch, sondern auch von Rolf Hochhuth, von Peter Weiss und von mindestens zehn Autoren aus der Bundesrepublik, von vier Österreichern und drei Dramatikern, die in der DDR leben oder aus ihr stammen.

Fragt man sich aber nun, welches Gesamtbild des heutigen Menschen, der von ihm heraufgeführten Zu-

stände sich auf den deutschsprachigen Bühnen ergibt, so zeigt es sich, daß Kennzeichnendes scharf herausgestellt, aber Entscheidendes gar nicht dargestellt wird. Sieht man von Unterhaltungsstücken ab, fällt vor allem das Schwarz in Schwarz auf, das penetrante Herausarbeiten des Widerwärtigen, Unerquicklichen, das von Bond über Kroetz, Fassbinder und Harald Mueller bis zu den Österreichern, die sich darin nicht genugtun können, bis zu Bauer, Tur-rini, Bernhard reicht. Die fast täglich hereinbrechenden furchtbaren Ereignisse, die bereits jeden bedrohen, finden da in kleinen Bereichen szenische Spiegelung.

Furcht vor brisanten Themen

Dennoch erweisen die dargebotenen Sujets eine erstaunliche Dürftigkeit gegenüber dem, was in der Welt heute geschieht. Besonders besteht eine Scheu, die Zentren der Machtballung und deren gewaltsame Eingriffe vorzuführen. Man denke etwa an die Präsidenten der Staaten, wie sie in letzter Zeit zur Macht kamen, wie sie sich an der Macht zu halten versuchen, man denke an die Einwirkungen der Kriegsindustrie, der ölwirtschaft auf staatliche Maßnahmen, an den Verrat von Geheimdokumenten durch hohe Beamte, aber/auch an^die/Bp^tmisse im Un^ tergrund, an die Ausbildung von Attentates, an Üia .•Rauschgiftzentralen. Dies und noch vieles andere beherrscht • die Weltsituation, findet aber kaum je auf die Bühne.

Ja, es hat sich eine Abneigung gegen hypertrophes Handeln, das unsere Zeit so sehr kennzeichnet, gegen jedwede stärkere Dynamik gebildet. Im Gefolge von Becketts „Godot“ gelangen seit zwei Jahrzehnten fast ausschließlich handlungslose oder handlungsarme Stük-ke zur Uraufführung, wobei vorwiegend Zustandsbilder geboten werden. Belanglose Durchschnittsmenschen mit ihren mehr oder weniger verhängnisvollen Trieben sind die Hauptfiguren. Kommt vereinzelt eine bedeutende Gestalt der Vergangen-

heit auf die Bühne, erfährt sie eine gewaltsame Umdeutung.

Visiert man nun die neueste Situation an, so fällt auf, daß mehrere Autoren — Bond, Ionesco, Heiner Müller, Turrini — auf frühere Meisterwerke zurückgreifen, sie bearbeiten, umfunktionieren, es entstehen Stücke, die durch eine Fülle von Grausamkeiten ihr Gepräge erhalten. Hierin bleiben diese Autoren im Gefüge der heutigen undramatischen Bühnenwerke, soweit sie Widerwärtiges darstellen, durch die übernommene ungewohnte Dichte der Handlung heben sie sich heraus. Deutet sich dadurch eine Wende zum Handlungsstück an?

Der Trend nach einem progressiven Theater mit „Denkanstößen“ zwecks politischer Umerziehung des Publikums, bei dem nebulos Revolutionäres an sich als Wert angesehen wird,, dieser konfektionäre, theaterfremde Trend hat nachgelassen. In vollem Gegensatz hiezu gab es im Gefolge der französischen Avantgarde verschlüsselte Stücke, die durch ihre Doppelbödigkeit einen tiefergreifenden Sinn besaßen. Aber auch das ist vorbei.

Generell läßt sich für den heutigen Stand der Dramatik feststellen, daß die verarbeiteten Vorwürfe einschichtig angelegt sind, alles im Rationalen verharrf^etaphysisches so gut wie nirgends spürbar wird. Demnach, gibt es kÄm och Bühnendichtung. Ist ein Wandel möglich? Erst wenn sich die menschliche Situation ändert, wenn die Vergöt-zung eines übersteigerten Rationalismus nachläßt.

Was Ist zu tun?

Theater haben zweifellos zunächst eine regionale Aufgabe. Es geht darum, für die Bewohner der Stadt, in der sie sich befinden, bedeutende Bühnenwerke der Vergangenheit und wirkungsvolle neue Stücke in guten Aufführungen herauszubringen. Dies zu erreichen ist eine örtliche Notwendigkeit. — Gelingt es, sind Theaterdirektoren damit sehr oft vollauf zufrieden, viele von ihnen

setzen sich kein anderes Ziel, als ihr Publikum von der Bühne her möglichst gut zu bedienen. Das gilt für zahlreiche bundesdeutsche Bühnen, es gilt aber auch, generell gesprochen, für Wien. Aber genügt das? Kann man .Wien, da es hier immer wieder durchaus gute Aufführungen zu.-sehen gibt, als Theaterstadt bezeichnen? Hat Wien hierin überregionale Bedeutung?

Ursula Schult vom Theater in der Josefstadt erklärte in einem Interview: „Ich glaube nicht, daß Wien eine Theaterstadt ist. Man zeigt sich hier Veränderungen gegenüber nicht aufgeschlossen.“ Und eine andere Spitzenschauspielerin, Annemarie Düringer vom Burgtheater, stellte bei einer Befragung fest, sie habe ihre wesentlichen Entwicklungsimpulse fast ausschließlich Gastspielen in Deutschland zu verdanken. Interpretiert man beide Behauptungen, so heißt das, daß die Wiener Theater Neues wegen mangelnder Aufgeschlossenheit nur zögernd von außen übernehmen und eigene Initiative fast völlig vermissen lassen. Man kann da schwer widersprechen.

Das Theater hat sich ständig verändert, blieb nicht im Hergebrachten stecken, der Mensch ändert sich, daher muß sich seine Spiegelung auf der Bühne ändern, und dies besonders in unserem Jahrhundert. So hat das Theater stets neue, signifikante Stücke zur Uraufführung gebracht, hat alte Bühnenwerke in neuartigen Inszenierungen geboten. Dadurch blieb das Theater lebendig. Es versteht sich von selbst, daß nur jene Theater einen überregionalen Ruf errreichen, die in diesem Sinn pionierhaft wirken und nicht nur einfach nachspielen, was bereits von anderen Bühnen gewagt wurde und dann Erfolg hatte.

Es ist geraume Zeit her, seit einer der früheren Burgtheaterdirektoren behauptete, Uraufführungen seien nur für Journalisten da. Tatsächlich fragt ein Großteil des Publikums nicht danach, ob ein Stück hier oder anderswo uraufgeführt wurde, ob eine Inszenierung originäre Aspekte bietet. Aber kann es uns völlig gleichgültig sein, welchen Ruf das Wiener Theater im Ausland hat? Kann es uns gleichgültig sein, daß man statt von der blauen Donau ironisierend von der lauen Donau spricht? Mit neuen Stücken, die nachgespielt werden, mit moderiert modernen, also konventionellen Inszenierungen erringt man keine

überregionale Geltung. Fast möchte man sagen, daß in Wien nur regional gedacht wird.

Da nützt auch der Einsatz bedeutender Schauspieler nicht viel. Der große Schauspieler braucht, um überregional nicht nur in Fachkreisen Ansehen zu erlangen, die Folie der originären ; Inszenierung. In neuen, bedeutenden Stücken erreicht er theatergeschichtlich mehr, als wenn er ebenfalls etwa zu den vielen vorzüglichen Hamlet- oder Walleinsteln-Darstellern zählt. Man denke an Else Lehmann oder an Rittner aus der frühen Zeit Gerhart Hauptmanns. Die Späteren, Jan-nings oder George, deren Name sich nicht an bestimmte Autoren heftet, wurden durch den Film berühmt.

Keine Uraufführungen

Stücke, die in allerletzter Zeit große Aufmerksamkeit erregten — ob man es als- berechtigt oder als nicht berechtigt ansieht — waren: Dieter Forte, „Martin Luther & Thomas Müntzer oder Die Einführung der Buchhaltung“, Peter Weiss „Hölderlin“, Heinrich Henkel „Eisen-wichser“ und die Stücke von Franz Xaver Kroetz, in dem die bundesdeutsche Kritik derzeit den Kronprinzen der deutschen Dramatik sieht. Keines dieser Bühnenwerke gelangte in Wien zur Uraufführung. Aber auch nicht die Stücke der erfolgreichen Österreicher Peter Handke, Wolfgang Bauer, Thomas Bernhard. Nur Peter Turrini wurde vom Volkstheater lanciert, ein besonderes Verdienst dieser Bühne. Von Thomas Bernhard kam das zweite Stück ebenfalls nicht in Wien, doch bei den Salzburger Festspielen heraus.

Der vortreffliche Grundsatz des Direktors des Theaters in der Josefstadt, Stoss, keine Stücke zur Uraufführung zu bringen, die er nicht nachspielen würde, sollte für alle Bühnen gelten. Ist es aber sträfliche Originalitätssucht, wenn man wünscht, daß vom Wiener Theater Impulse ausgehen sollten, die sich im Ausland auswirken? Ist es so sträflich, unseren Bühnen statt Selbstgenügsamkeit eine weiterreichende Ausstrahlung zu wünschen?

Dazu muß man freilich zwischen regionaler und überregionaler Bedeutung der Aufführungen unterscheiden.

Die Theaterentwicklung scheint sich an einer Wende zu befinden. Die Situation ist günstig. Initiative könnte Wien als Theaterstadt in führende Position bringen.

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