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THEATERSTADT HAMBURG

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Die Vorstellung von Hamburg verbindet sich in aller Welt mit Schiffen, Werften, Kaufmannshäusern — schlechthin mit dem Welthandel. Die kulturellen Werte dieser Stadt treten nach außen hin kaum in Erscheinung, was letzten Endes auch daran liegt, daß ihre Einwohner wenig Aufhebens von der kulturellen Seite ihres Daseins machen. Hamburg ist aber nicht nur die größte Hafen- und Industriestadt Deutschlands, sondern beherbergt in seinen Mauern auch mehr Bühnen — unter denen sich die älteste deutsche Oper befindet — als jede andere deutsche Stadt. Die zehn Sprechbühnen bieten ein Programm, das sich in seiner Vielseitigkeit mit Wien und Berlin messen kann und auch in seiner Qualität diesen Städten nicht nachsteht. Die Gastspielveranstaltungen der Hamburger Häuser in zahlreichen deutschen und außerdeutschen Städten bringen regelmäßig neue Beweise für diese Leistungen. Auch den Hamburgern selbst werden regelmäßig Vergleichsmöglichkeiten geboten, da jährlich prominente Theatergruppen aus Frankreich, England oder anderen Städten in der Hansestadt gastieren. Während allerdings die Kaufmannschaft und Hafenwirtschaft auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurückblicken kann, begründeten die Hamburger Bühnen ihren Ruhm, abgesehen von dem Opernhaus, erst in diesem Jahrhundert. Schließlich und endlich hat auch der Rückgang Berlins viel dazu beigetragen, das Kulturleben„jjn, Haniburg zu intfnijvjejv. *

Linter den großen Hamburger Sprechbühnen sind an erster Stelle das Deutsche Schauspielhaus, das Thalia-Theater und die Hamburger Kammerspiele zu nennen. Die Programme zeigen eine gute Ausgewogenheit zwischen klassischen und modernen Stücken, bei denen in allen drei Häusern international bekannte Spitzenkräfte mitwirken. Das St.-Pauli-Theater sowie das Ohnsorg-Theater pflegen in erster Linie heimatgebundene Dialektstücke. Das „Theater im Zimmer“ und „Das junge Theater“ sowie das „Theater 5 3“, neben denen gelegentlich noch weitere kleine Bühnen auftauchen, die dann wieder verschwinden, sehen es in erster Linie als ihre Aufgabe an, moderne Autoren dem Publikum vorzustellen, oder schwierige Stücke der letzten Jahrzehnte, die bisher kaum zur Aufführung kamen, herauszubringen. Das leichte, humorvolle Gesellschaftsstück wird von der „Kleinen Komödie“ gepflegt. Bei ihr kann man regelmäßig Wiedersehen mit prominenten Künstlern der zwanziger und dreißiger Jahre feiern, die den Stücken eine gute Zugkraft verleihen, und auch weitgehend Garantie für eine einwandfreie Aufführung bieten. Es ist das einzige Theater, in dem während der Vorstellung gegessen und getrunken werden kann. Das „Theater am Besenbinderhof“, das schließlich noch genannt werden muß, hat kein festes Ensemble, sondern dient in erster Linie Gastspielen. Neben der Oper muß noch auf das Operettenhaus verwiesen werden, das vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde. Während in der Abendvorstellung hier immer eine klassische Operette gezeigt wird, ist man in jüngster Zeit dazu übergegangen, das Haus in den Nachmittagsstunden für Schülervorstellungen klassischer Stücke zu benutzen.

Im Querschnitt durch die Spielpläne der laufenden Saison soll versucht werden, dem österreichischen Leser einen Einblick in das Hamburger Bühnenleben zu geben. Das Hamburger Schauspielhaus verdient hierbei an erster Stelle genannt zu werden. Es entstand um die Jahrhundertwende mit einem Seitenblick auf Berlin und dem Burgtheater als Vorbild. Die Qualität des Theaters reichte jedoch durch lange Jahre hindurch nicht aus, um das Interesse anderer Städte auf sich zu ziehen. Erst als Baron Berger, der 1909 Direktor des Burgtheaters wurde, zur Sicherung gegen die Konkurrenz anderer Hamburger Bühnen mit einer Reihe von Autoren Jahresverträge abschloß, die zur Bedingung hatte, daß ihre Stücke zuerst seinem Theater angeboten werden mußten, rückte das Deutsche Schauspielhaus in das Blickfeld kunstinteressierter Kreise. Zahlreiche Werke von Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, Sudermann und Halbe erlebten hier ihre Uraufführung. Nach dem Kriege befand sich das Theater einige Jahre in englischer Verwaltung, bis es 1948 von Albert Lippert übernommen wurde. Er verpflichtete sich zahlreiche Spitzenkräfte als Gäste sowie die Regisseure Karlheinz Stroux, Heinrich Koch, Ernst Matray, Ludwig Berger u. a. m., durch die hohe Maßstäbe in Kurs kamen. Die so erreichte Spitzenqualität befruchtete nicht nur die übrigen Bühnen Hamburgs, sondern schulte auch das Hamburger Publikum zu hohen Ansprüchen. Dies wurde besonders offenkundig, als vor drei Jahren Gustaf Gründgens nach Hamburg berufen wurde und die Leitung des Deutschen Schauspielhauses übernahm. Beim Publikum zeigte sich nämlich schon nach den ersten Inszenierungen des neuen Intendanten eine gewisse Enttäuschung, die einfach daraus resultierte, daß Gründgens bereits ein erstklassiges Haus und Ensemble vorfand und nicht mehr in der Lage war, die Qualität der Aufführungen noch wesentlich zu steigern. Zahlreiche großartige Leistungen hat dieser hervorragende Schauspieler seitdem dem Hamburger Publikum gezeigt, und der Bühne ein unumschränktes Ansehen verliehen. Die derzeitige Spielzeit des Deutschen Schauspielhauses begann mit Goethes „Egmont“. Ulrich Erfurths Inszenierung brachte das Trauerspiel in einer kraftvollen Geschlossenheit, wobei der historischpolitische Kern für den Regisseur maßgebend war. So verzichtete er im vierten Akt auf das Erscheinen Klärchens als Freiheitsgöttin, womit das Stück viel in seiner Konsequenz gewann.

In einer großartigen Aufführung brachte Willi Schmidt die moralische Komödie „Volpone“ von Ben Jonson in einer Nachdichtung von Stefan Zweig. Zweig hat das Stück des Shakespeare-Zeitgenossen mit psychologisch gut durchdachten Pointen angereichert und von zahlreichen Nebenhandlungen befreit. Den reichen Levantiner Volpone, dem es um Geld und Frauen geht, gestaltete Hermann Schömberg in virtuoser Weise, wobei sein Schmarotzer Mosca von Heinz Reincke nicht weniger gut gespielt wurde. Das saftig-derbe Stück begeisterte immer wieder sein Publikum. In der zeitnahen Tragikomödie des jungen Engländers John Osborne „Der Entertainer“ übernahm Gründgens selbst die schwierige Rolle des Archie Rice. Heinz Hilpert aus Göttingen führte dabei eine Regie mit scharfen Schnitten, wie man sie eigentlich nur vom Film kennt. Der Zerfall der englischen Music Hall, im Hintergrund der Suezkonflikt, Heldenverehrung und Kriegsverweigerung, gaben die thematische Basis zu einem Zeitbild, das am Verfall einer Familie demonstriert wurde. In raschen Ueber-gängen wechselten die Szenen von der ständig alkoholgeschwängerten häuslichen Atmosphäre des Conferenciers zu dessen Theater, in welchem er mit schlechten Witzen, spärlich bekleidete Mädchen und billigem Tingeltangel versucht, das Publikum zu erheitern. Gielgens Leistung dabei war bewunderswert, aber ebenso auch die meisterhafte Darstellung des alten Music-Hall-Veteranen Billy Rice durch Werner Hinz.

Anläßlich des 10. Todestages von Wolfgang Borchert brachte das Schauspielhaus „Draußen vor der Tür“. Der Autor hatte selbst geschrieben, es wäre ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen wolle. Mit harter Regie gestaltete Ulrich Erfurth diesen Schrei nach Menschlichkeit und Menschenwürde. Das Publikum von heute hat fast zehn Jahre Wirtschaftswunder hinter sich und nicht ein halbes Jahrzehnt Hunger und Kriegsgefangenschaft wie damals, als das Stück — unmittelbar nach dem Tode Borcherts — aufgeführt wurde. Zwei Stunden ohne eine Unterbrechung hämmerte Beckmann gegen das Gewissen seiner Mitmenschen. Eine unübertreffliche Leistung von Heinz Reinecke, der zweifellos das fähigste Talent,: unter 4en, jüngeren) Hamburger, $chw-Spielern'darstellt. -Das Stück rgreift-heute noch wie damals, aber es berührt persönlich und hinterläßt eine gewisse Nervosität.

Es ist schwer zu sagen, welches bisher der Höhepunkt der Spielzeit war. Jedenfalls wurde „Dantons Tod“ von Georg Büchner In der Inszenierung von Gustaf Gründgens zu einem großen Theaterabend, an dem sich das Schauspielhaus mit fast seinem gesamten männlichen Ensemble zeigte. Nach der vorangegangenen schwer verdaulichen Kost, wurde „Der Sommer der siebzehnten Puppe“ des jungen Australiers Ray Lawer, ein solides Konsumtheaterstück, gerne mit Applaus aufgenommen. Die jüngste Premiere brachte „Die Alkestiade“ von Thorn-ton Wilder. Das ergreifende Drama des Euri-pides, das in so wundervoller Weise Hugo von Hofmannsthal umgearbeitet hat, ist von Wilder mit zahlreichen Ranken tiefenpsychologischer Erkenntnisse umgeben worden. Das Stück, das nicht nur allein höchst bemerkenswert ist, wurde für Hamburg noch insofern eine Sensation, als mit der Inszenierung Gustav Rudolf Seilner betraut war. Zum erstenmal machte das Publikum des Schauspielhauses Bekanntschaft mit diesem großartigen Darmstädter Intendanten. Maria Becker, Will Quadflieg und Ullrich Haupt ragten als Spitzen aus der bis ins letzte durchfeilten Ensembleleistung heraus.

Eine weitere staatliche Bühne, das Hamburger Thalia-Theater, fiel bereits in der letzten Spielzeit durch zahlreiche hervorragende Aufführungen besonders auf. Während es in früheren Jahren vorwiegend leichte Unterhaltungsstücke, allerdings gut ausgesucht und inszeniert, bevorzugte, hat es in den letzten beiden Jahren mehr und mehr Problemstücke in seinen Spielplan aufgenommen. Man denkt dabei noch gerne an die hervorragenden Aufführungen von „Die Caine war ihr Schicksal“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Der letzte Herbst brachte den sehr vergnüglichen, wie auch nachdenklich stimmenden „Sommertagstraum“ von Priestley und den unterhaltsamen W. D. Home „Ein Mann für Jenny“. Den Höhepunkt bildete eine Strindberg-Inszenierung von Erwin Piscator „Totentanz I und II“. Es gab hierbei keine Diskussion, ob Strindberg heute noch das Publikum anspricht oder nicht. Die Darstellung war großartig, und Heinz Klevenow als Edgar und Rosemarie Gerstenberg als seine Frau konnten wohl kaum überboten werden.

Mit einem ernsten und nicht unzeitgemäßen Hintergrund brachte das Thalia-Theater Anfang März Bruno Franks Schauspiel „Zwölftausend“.. Das Stück handelt vom Verkauf junger Deutscher als Soldaten nach England durch einen geldgierigen mitteldeutschen Fürsten. Das fride-rizianische Preußen tritt in letzter Minute als clevo.exvmacalria auf den,Plan und vereitelt„de£. Herzogs Absichten. Man findet in dem Stuck Aehnlichkeiten mit Schiller und wird auf den Einfluß von Thomas Mann auf Bruno Frank hingewiesen, soweit es seine Einstellung zu dem Preußen Friedrich II. anlangt. Während durch die Eigenart der Handlung die schauspielerische Leistung in diesem Stück nicht besonders zur Geltung kam, bot „Das Ei“ von Felicien Marceau eine hervorragende Möglichkeit darstellerisches Können herauszustellen. Das Stück lebt von einer einzigen Rolle, einem großen Monolog, der von zahlreichen Episoden umrahmt wird. Der szenische Aufbau des Stückes erinnert stark an Sacha Guitrys „Roman eines Schwindlers“, und zweifellos haben einige filmische Tricks den Autor dazu inspiriert, neue Wege einzuschlagen. Die ununterbrochene Folge scharmant dargereichter Pointen machte das Stück zu einem uneingeschränkten, humorvollen Genuß, der ihm lebhaften Applaus einbrachte.

Sein zehnjähriges Jubiläum feierte im März das Hamburger „Theaterim Zimmer“. Sein Gründer und Intendant Helmuth Gmelin darf wohl — zumindest für Deutschland — als der Schöpfer dieses neuen Nachkriegstheatertyps genannt werden. Inzwischen ist es in vielen Städten und selbst in Hamburg einige Male nachgeahmt, doch nicht übertroffen worden. Die Auswahl der Stücke verrät alte Erfahrung und gute Beurteilung des Publikums. Unter den vorwiegend ausländischen Autoren kommen nicht selten Stücke zur Aufführung, die an anderer Stelle durchfielen. Gmelin hat es eigentlich immer verstanden, die damit verbundene Voreingenommenheit zu zerstreuen und einen nachhaltigen Erfolg zu ernten. Marcel Pagnols .Schieber des Ruhms“ fand starken Beifall, wie auch Hauptmanns „Einsame Menschen“. Eine mutige Leistung des Intendanten, die ihre Belohnung fand.

Der Spielplan der Hamburger Bühnen wurde auch durch die Hamburger Kammerspiele in wertvoller Weise erweitert. „Die große Prüfung“ des wenig bekannten Engländers Philip King erfuhr hier eine vorzügliche Interpretation in der deutschen Erstaufführung. Daneben fielen Denker Berkeys „Zeitgrenze“, ein überdurchschnittlicher „Othello“ und eine neue Bearbeitung „Endstation Sehnsucht“ auf. Auch „Schwarze Seide“ der Engländerin Lesley Storm erntete großen Beifall.

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