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Neuentdeckter Nestroy in Linz

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Die hundertste Wiederkehr des Todestages Nestroys war Anlaß, vergessene Stücke aus der Zahl seiner 82 Komödien auf ihre Spielfoarkeit in unserer Zeit zu überprüfen. Direktor Stögmüller bringt in den Kamnierspielen des Linzer Landestheaters eines der damals ausgegrabenen Stücke. „Das Geiuürz-krämerkleeblatt.“ Wenn auch die Lebensweisheit in humorvoller Verpackung und der Wortwitz gegenüber der Situationskomik zurücktritt, ist es doch ein echter Nestroy. Bei der überreichen literarischen Produktion, die ihm unter anderen durch die enge Zusammenarbeit mit dem Wiener Theaterdirektor Carl aufgebürdet war, ist es begreiflich, daß nicht alle Stücke die Hochform erreichten, daß er gelegentlich auch Anleihen machte und fremde Stoffe ins Wienerische transponierte. Das ist beim „Gewürzkrämerkleeblatt“ der Fall, wofür er den Stoff aus einem französischen Vaudeville nahm.

An der Linzer Aufführung ist vor allem die ausgezeichnete Regie Hubert Manns anzuerkennen, der aus dem Stück herausholt und hineinlegt, was eben möglich ist. Ernst Zeller stellt als Schwefel eine echte, gediegene Nestroy-Type auf die

Bühne. Franz Essel fühlt sich als Baumöl sichtlich wohl und mar staunt, wie gut sich Volker Krystoph als Zichori mit dem ihm fremder Rollenfach zurechtfindet. Mit ihren martialischen Terzett erregten sie stürmische Heiterkeit, die ein Wiederholung erzwang. Von derer Frauen ist Lydia Czerwenka alt Madame Zichori voll am Platz, Morit Hanke findet sich mit der Madamt Schwefel gut ab, nur Eike Baum eine gute Charakterspielerin, ist als Madame Baumöl eine Fehltoesetzung

Eine köstliche Nestroytype gelingt Manfred Jaksch als Peter, bestens sekundiert von Peter Uray als Viktor. Zum guten Gelingen der Aufführung trägt wesentlich das einstimmende Bühnenbild Heinz Ruttels bei. Die unaufdringliche Bühnenmusik von Richard Hellinger bringt Lutz Teschendorf mit einem Salonorchester zu Gehör. Das Preniierenpublikum dankte für die sehenswerte Nesitroy-Aufführung mit anhaltendem starken Beifall.

Johannes Hollnsteiner

Das Theater für Vorarlberg scheint unter seinem neuen Direktor Alex Freihart die jahrelange Stagnation endlich zu überwinden. Er ließ eine Probebühne einrichten, die in erster Linie dem Experiment dient. Kurioserweise scheinen auf dem Spielplan derselben Autoren wie Sartre und Ionesco auf, woran man ermessen kann, was hier in den vergangenen Jahren alles versäumt wurde. Direktor Freihart bleibt halt nichts anderes übrig, als das Publikum langsam an das „moderne Theater“ heranzuführen. Neu ist auch die Einführung von musikalisch-literarischen Vortragsabenden, die als Auflockerung zum übrigen Programm, gedacht sind. Den Anfang machte Elfriede Ott, die hübsche Dame aus der Wienerstadt, mit ihrer hinreißenden „Phantasie in Ö-Dur“. Leere

Bänke dürften für sie allerdings ein Novum gewesen sein. Wolfgang Stendar, der Kleist und Kafka las, erging es nicht Viel besser.

Wider Erwarten wurde wenigstens die erste Premiere der Probebühne mit Ionescos „Kahler Sängerin“ und Mortimers „Pflichtmandat“ ein großer Erfolg, auch beim Publikum. Wolfgang Schön hatte das AntiStück Ionescos ganz im Kellertheaterstil inszeniert, frech und ohne Rücksicht auf Zuschauer zu nehmen, die vor allem ihre feine Garderobe zur Schau führen wollen. Felix Fritscha und Tua Poller als Ehepaar Smith sowei Ernst Bruderer und Rosmarin Frauendorfer als Mr. und Mrs. Martin war die Freude an diesem Spaß anzusehen. Nicht weniger erfreuten Franz Michael Westen als Feuerwehrhauptmann und Gisela Zach als Magd Mary. Störend empfand man nur, daß der Text an einigen Stellen „entschärft“ wurde. Mortimers „Pflichtmandat“-Story, die einen Rechtsanwalt schildert, der seinen Klienten nur durch ein Schweigeplädoyer aus der Patsche helfen kann, ergänzte das Programm. Ernst Bruderers Regie war ebenso „shock-ing“ wie originell zu nennen, so daß das Publikum bald aus der Reserve gelockt wurde. Wolfgang Schön (Verbrecher) und Franz Michael Westen wurden für ihre schauspielerischen Leistungen stürmisch bejubelt.

Weniger glücklich war die Direktion mit einem darauffolgenden Einakterabend im Großen Haus am Kornmarkt, der eine etwas krasse Gegenüberstellung, nämlich Mells „Apostelspiel“ und Wilders „Glückliche Reise“ brachte. Zu leiden hatte darunter vor allem Meli, der von Regisseur Richard Rieß in ein ziemlich zweifelhaftes Märchenklischee gepreßt wurde und dadurch manchmal haarscharf am Lächerlichen vorbeiging. Einzig Inge Maux als Maria-Magdalen, die die naive Gläubigkeit ihrer Bühnengestalt überzeugend interpretierte, rettete Meli an diesem Abend. Karl Weingärtner, Bühnenbildner vom Dienst, war einmal mehr unumschränkter Herrscher der Szene.

Wilders „Glückliche Reise“ in der Inszenierung von Alexander de Montleart, der eine Zeitlang bei Strehler und Barrault Regieassistent gewesen war, erwies sich als seltener Glücksfall. Dasselbe gilt von den Schauspielern, die diesmal wie verwandelt „agierten“. Gerda Zangger und Günther Kropp als Ehepaar Kirby, Ingre Maux und Udo Striegel als weibliche beziehungsweise männliche Lausebengel kosteten den Triumph voll aus. Lotte Lais als Naomi und der prächtige Robert Marencke als Spielleiter standen da nicht nach. Nur Meli war nach der Pause vergessen. Er hätte wahrlich ein besseres Los verdient.

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