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Salzburger Perspektiven

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„Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf.“ Das von Hofrat Professor Paumgartner zitierte drastische Goethe-Wort gewinnt erst jetzt, da die Salzburger Festspiele 1967 zu Ende gehen und die Pläne für das kommende Jahr bekanntgegeben wurden, seine ganze „kritische“ Bedeutung. Die „Nüsse“ — wir kennen sie alle, denn sie sind jahrzehntelang in leuchtenden Farben gemalt und in den höchsten Tönen gepriesen worden. Das ist Salzburgs einzigartige Lage, seine vielen großen und kleinen Spielplätze, das ist das berühmte Barock und Mozart als Genius loci. Das ist Hofmannsthals unerschöpfliches Festspielkonzept, und das ist die immer noch große Beliebtheit Salzburgs als Festspielstadt.

Ort und Tradition, so sagte der Festredner weiter, müßten für Idee und Planung stets maßgebend bleiben. Qualität allein, und wäre sie das Ergebnis höchster persönlicher und sachlicher Leistungen, genügt nicht Das Motto „mit ausgezeichneten Orchestern, international anerkannten Dirigenten und Regisseuren echte Kunst in festlichem Rahmen zur Wiedergabe zu bringen“ könne, so offenherzig es auch für sich wirbt, von uns nicht als gültig angenommen werden; denn „das Schwinden aller Distanzen, die Möglichkeit der vom Weltpublikum angebeteten Stars, sofort überall zu sein, bedrohen uns heute unmittelbar mit der Gefahr öder Uniflzie-rung“.

Goldene Worte, auch schwer wie Gold, wenn man auf die andere Waagschale das heuer Geleistete legt und das für die nächste Zeit Geplante bedenkt. — Denn die Salzburger Festspiele 1967 waren im wesentlichen ein Reprisenfestival. Auf dem Gebiet des Musiktheaters gab es nur zwei Neuinszenierungen, von denen eine in bescheidenem Rahmen auf dem sogenannten „zweiten Geleise“ stattfand (wir berichten darüber auf unserer Referatseite). Das Sprechstück, schon seit vielen Jahren ein Mauerblümchen-dasein in Salzburg fristend, war mit Hofmannsthals „Schwierigem“ in einer nur teilweise geglückten Inszenierung und Besetzung sowie mit einem interessanten neuen Stück („Der Ostwind“ von Leo Lehman) vertreten.

Dagegen gab es keine Ur- oder Erstaufführung einer neuen Oper. Das ist um so trister, als im heurigen Sommer ein Jubiläum zu feiern gewesen wäre: Vor genau zwanzig Jahren wurde bei den Salzburger Festspielen zum erstenmal ein zeitgenössisches Werk uraufgeführt. Es war die Oper „Dantons Tod“ von Gottfried von Einem. Im Jahr darauf folgte die szenische Uraufführung des Kammeroratoriums „Le vin herbe“ von Frank Martin, der 1960 mit dem „Mysterium von der Geburt des Herrn“ nochmals zu Wort kam. 1949 erlebte in der Felsenreitschule „Antigonae“ von Orff ihre Uraufführung. Es folgten Werke von Blacher und Britten, Egk und Einem, Barber, Klebe, Wagner-Regeny und Henze. Auch die erste Nachkriegsreprise von Alban Bergs „Wozzeck“ sowie „Die Liebe der Danae“ von Richard Strauss konnte man als attraktive künstlerische Ereignisse gelten lassen.

Wir meinen attraktiv nicht nur für die Kulinarier, die sich auch an einem überdimensionalen „Troubadour“ berauschen, sondern die Kenner aus aller Welt, nicht zuletzt die internationale Fachkritik. Zwar füllt das Touristenpublikum verschiedenster Kaliber immer noch die Häuser und Kassen, doch das Renommee der Salzburger Festspiele wird sehr wesentlich von der internationalen Musikkritik mitbestimmt. Und sie glänzte im heurigen Sommer durch Abwesenheit. Weder Stuckenschmidt noch öhlmann aus Berlin, weder Rostand noch Gölea aus Paris, weder Schuh noch Reich aus Zürich, weder Aloys Mooser aus Genf noch Peter Hayworth aus London waren zu sehen. Eine ganze Reihe anderer namhafter Kritiker kam für ein paar Tage und reiste dann wieder ab. Es gab für sie nicht viel, worüber sie ihren Millionen Lesern hätten Interessantes berichten können, und auch der „Kritikerpreis“ für die beste Besprechung der „Zauberflöte“, den zu stiften man sich (ohne Zweifel vom besten Willen beseelt) hat einfallen lassen, wirkte keineswegs anziehend, sondern wurde von den Kritikern fast einmütig abgelehnt.

Was die FachkriitSk sich aber vor allem wünscht — und was sie am sichersten verlocken würde, nach Salzburg zu kommen —, wäre eine interessante Uraufführung. Doch auf diesem Gebiet ist, zumindest was das Musiktheater betrifft, fürs nächste Jahr nichts vorgesehen.

Da erwartet uns ein von Karajan neuinszenierter und dirigierter „Don Giovanni“ und ein „Fidelio“ von Günther Rennert und Dr. Karl Böhm. Da soll es unter der Leitung eines jungen italienischen Dirigenten einen neuen „Barbier“ von Rossini, Shakespeares „Sturm“ und, vielleicht, ein neues Stück unter der Flagge des Euiropastudios im Landestheater geben.

Kaum waren diese Pläne heraus, begannen die diversen „Fans“ sich zu rühren. In einem Wiener Montagblatt zum Beispiel schreibt einer: „War es schon unverzeihlich, heuer nicht mit einer echten Karajan-Premiere aus einem Namen Kapital zu schlagen, der bares Geld bedeutet“, so drohe fürs nächste Jahr eine Konkurrenzierung des angekündigten Karajanschen „Don Giovanni“ durch Böhms „Fidelio“. Der gleiche schreibt unter dem Titel „Prinzenhochzeit im Festspielhaus — Die hochgespielte .Zauberflöte' “ (weil sie nicht von Karajan, sondern nur von Schuh war): „Entscheidend ist, daß wir endlich um die naive .Zauberflöte' von innen bitten. Auf den Knien unseres Herzens, das mit Mozart und Schikane-der schlägt.“ Aber so weitabgewandt ist seine Sehnsucht nicht, daß er bei der Premierenauffahrt das Fehlen der Mercedes 600. Jaguars, Bentleys und Rolls-Royce mit den Schweizer, britischen und französischen Kennzeichen übersehen hätte. „Man unterschätze diese hochkarätige Festspielbesuchergruppe nicht!“ Neim, Freunde, das tun wir nicht. Wir meinen nur, daß man siich zwischen Rilke („Armut ist ein großer Glanz von innen“) und Rolls-Royce entscheiden muß und daß man „auf den Knien des Herzens“ nicht um das Goldene Kalb herumrutschen soll.

Zwei Projekte, die freilich schon einmal bekanntgegeben und dann wieder abgeblasen wurden, erwecken neue Hoffnungen und erschließen alt-neue Perspektiven: In der Felsenreitschule soll das um 1600 geschaffene Spiel „La Rappresenta-zione del anima e di corpo“ von Cavalieri wiederbelebt werden, und an einem noch unbekannten Festspielplatz will man zum Gedächtnis an den 25. Todestag Max Reinhardts (dem heuer beredte eine schöne Ausstellung neben dem Mirabellgarten gewidmet war) „Das Salzburger große Welttheater“ von Hofmannsthal aufführen. Mit beiden Stücken würde der Anschluß an eine jahrhundertealte Tradition hergestellt: an das Schuldrama ) der Jesuiten, die auf ihrer akademischen Bühne innerhalb von 150 Jahren (bis zum Ausklang der Klassik) rund 370 Theaterstücke aufgeführt haben.

In die Richtung „erneuerte Tradition“ zielt auch ein interessanter und sehr erwägenswerter Vorschlag, den der Kulturkritilker der „Salzburger Nachrichten“ vor kurzem gemacht hat. Er erinnert an das 350 Jahre lang nicht mehr benützte Felsentheater in Hellbrunn, das bekanntlich sehr klein ist, aber zum Kernpunkt eines sommerlichen Divertissements werden könnte. „Da wäre“, so schreibt Max Kaindl-Hönig, „am frühen Abend eine kleine historische Oper im FreSMcht-theater, dann die Promenade zu einem Schäferballett: rings die Alleen, als Kulisse im Hintergrund das Schloß, die phantastischen Baumfiguren des Englischen Gartens, illuminierte Fontänen über dem Spiegel der Weiher, die Konturen in Licht gefaßt, leuchtende Grotten entlang der Kieswege, Musik von da und dort — Schlag neun ein Feuerwerk! Und im übrigen ein Fest zu feiern, wie es fällt.“ Hier könnte Salzburg versuchen, aus der Zentrifuge des Großbetriebes (neunzig Vorstellungen mit täglich rund 10.000 verfügbaren Plätzen) herauszukommen. Hier wäre der Ort und die Gelegenheit, auch persönliche Begegnungen zu ermöglichen, während jetzt die wichtigste Sorge ist, die x-beliebige-Karten-Heischenden unterzubringen und mit Hilfe der Verkehrsregelung unbeschadet aneinander vorbeizu-dirigieren...

Eine weitere Aufgabe für die (nicht vorhandene) Salzburger Dramaturgie wäre die Erstellung eines Planes zur Pflege der österreichischen Dramatik seit Grillparzer. Zwar sind im Rahmen der Salzburger Festspiele einzelne Stücke von Anzengruber, Nestroy, Raimund, Meli, Vollmoeller, Lemet-Holenia und Hochwälder aufgeführt worden, aber sehr vernachlässigt wurden Grillparzer, Bahr, Schnitzler und Horvath — um nur einige zu nennen.

Zum Schluß sei noch einmal unser Festredner zitiert, man kann nicht trefflicher sagen, worauf es ankommt: „Wenn wir ehrlich überzeugte Sachwalter aller uns auferlegten Aufgaben genannt werden wollen, müssen wir Erkennende bleiben, stark genug, die üblichen Widerstände zu überwinden, alles Unernste, alles Spekulative, alle Konzessionen zurückzuweisen, die unsere Aufgabe auf ein banales Niveau herabdrücken können. Alles Billige, alles Bequeme, alles schäbig Gefällige, so rentabel es dem um eiligen Gewinn Beflissenen auch erscheinen mag, ist kurzlebig. Jede Krise kann es in sich zusammenbrechen lassen, da ihm die Stütze der Idee, die Kraft des Gewordenen abgeht“

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