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„Arabella” — ein Abschiedswerk

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Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss haben im Läufe einer mehr als 20jährigen Zusammenarbeit zwölf Werke geschaffen, darunter sieben Opern, und wir können diese Kollaboration — wenn der Vergleich gestattet ist — als eine überaus fruchtbare Künstlerehe bezeichnen, ja als die intensivste und fruchtbarste, welche die Operngeschichte der neueren Zeit kennt. Aber war diese Ehe auch eine glückliche?

Hierüber waren wir bisher nur sehr unvollständig unterrichtet, denn der im Jahre 1926 veröffentlichte Briefwechsel umfaßte lediglich die Jahre 1907 bis 1918, wobei gerade die interessantesten und kritischesten Briefe beziehungsweise Stellen ausgeschieden wurden. Die nunmehr vollständig vorliegende Korrespondenz bringt für den angegebenen Zeitraum weitere 116 und aus der Zeit von 1918 bis zu Hofmannsthals Tod (am 15. Juli 1929) weitere 180 Briefe. Außerdem haben einige Freunde des Dichters in Briefen und in ihren Erinnerungen an Hofmannsthal sich sehr freimütig über das Verhältnis zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten geäußert und damit wichtige Korrekturen der traditionellen Vorstellung (im Sinne einer prästabilierten Harmonie zwischen den beiden Künstlern) ermöglicht.

Auf eine kurze Formel gebracht, kann die Frage etwa so lauten: Entspricht die Musik von Richard Strauss, ihrem Stil und artistischen Niveau nach, den Dichtungen Hofmannsthals? Wer einmal Hofmannsthal-Vertonungen durch andere Komponisten gehört hat, etwa die hochinteressante und eindrucksvolle Oper Alexander Tscherepnins „Die Hochzeit der Sobeide”, die „Alkestis”-Vertonung von Egon Wellesz oder die Musik Alexander von Zemlinskys zu Hofmannsthals Ballett „Der Triumph der Zeit”, den wird diese Frage immer wieder beschäftigen. — Auch Hofmannsthal selbst, der sich gelegentlich als „unmusikalisch” oder als „musikalischen Laien” bezeichnete, aber für Stil und Niveau ein untrügliches Gefühl besaß, hatte über die Musfk von Strauss seine eigene Meinung.

Immerhin war er es, der die Verbindung mit dem berühmten Komponisten suchte. Er sah in ihm — nach einem Wort von Egon Wellesz — „divinatorisch, wie es nur ein Dichter sehen kann, den großen Repräsentanten der deutschen Musik, der, geistig geleitet, den Weg zur klassischen Vollendung mochte finden können”. Und Hofmannsthal liebte das Theater. Es war seine Leidenschaft, seine „irdische Mission”, obwohl sich die Bühne seinen Sprechstücken so oft verweigerte. Was er wollte, war mit Worten allein nicht zu verwirklichen, und schon seine ersten Werke, die kleinen Dramen in Versen, transzendieren gewissermaßen ins Musikalische. Jenes festliche Theater, das ihm als Ideal vorschwebte, hoffte er mit Hilfe der Musik realisieren zu können: „Was mich anregt und wiederholt anzuregen vermag, ist die Aussicht auf das Schöne, welches durch die Verbindung unserer Künste zu entstehen vermag, ist die Antizipation eines schönen, harmonischen Schauens und Hörens. Von solcher antizipierter Freude lebe ich beim Hervorbringen dieser Arbeiten. Aber es gibt Erinnerungen und Antizipationen, die entgegengesetzt wirken.”

Was wurde nun durch die Zusammenarbeit zwischen Hofmannsthal und Strauss geleistet? Es sind große Opernwerke entstanden, von denen sich drei oder vier auf dem Spielplan behaupten und wohl auch noch für Jahrzehnte behaupten werden. Zumindest „Elektra”, „Rosenkavalier” und „Ariadne” erfreuen sich der Gunst des Publikums. Was aber wurde für die Oper als Gattung, für ihre Weiterentwicklung, für ihre Erneuerung geleistet? Der Musiker wird diese Frage, je nach seinem Standpunkt, verschieden beurteilen. Hören wir darüber die Meinung eines neutralen Beobachters und Diagnostikers seiner Zeit.

Der kürzlich verstorbene Rudolf Kassner schrieb einmal: „Ich glaube nicht, daß Hofmannsthals Zusammenarbeit mit dem berühmtesten Opernkomponisten der Gegenwart das gewiß sehr schwere Problem der Oper zur Lösung oder einer solchen auch nur den allerkleinsten Schritt nähergebracht hat. Wo etwas wie ein Ganzes aussieht, ist diese Ganzheit nur scheinbar. Es ist darum unendlich töricht, von Kon- genialität zu reden. In keiner Oper scheint mir Musik so gegen das Wort, gegen die ganze Bildlichkeit der Sprache zu gehen, wie in der .Aegyptischen Helena’. Doch mehr als diese Beziehung zum Komponisten interessiert mich Hofmannsthals Streben nach’ Mitte, nach Mythos, nach einem allgemeinen und bindenden Zusammenhängenden. “

Der junge Hofmannsthal war fast magisch in sein Werk eingesponnen. Seit seiner großen Lebens- und Schaffenskrise, um die Jahrhundertwende, ließ ihn diese Angst des Verzauberten nicht mehr los. Er wollte Gemeinschaft mit den Menschen, er wollte wirken, „Schatten werfen”, wie die Kaiserin in seinem tiefsinnigen Märchen. Schatten werfen war ihm Unterpfand der Lebendigkeit. Die Zusammenarbeit mit Richard Strauss, dem Bühnenerfahrenen und Erfolgreichen, bot ihm diese Möglichkeit, und er griff darnach …

Mit „Elektra” begann 1906 die Zusammenarbeit, im „Rosenkavalier” kulminiert und mit „Aarabella” endet sie. Einen Tag vor seinem Tod erhielt Hofmannsthal von seinem Komponisten ein Telegramm: „Erster Akt ausgezeichnet. Herzlichen Dank und Glückwünsche. Treu ergeben Richard Strauss.” Aber er hat diese Zeilen nicht mehr gelesen.\ Sie hätten ihn gefreut, denn damit kam eine überaus schwierige und nervenaufreibende Arbeit zu einem guten Ende, zumal die beiden folgenden Akte so gut wie fertig waren. Dieser erste Akt nämlich war ein wahres Schmerzenskind und hätte die Künstlerehe Strauss-Hofmannsthal fast zum Scheitern gebracht.

Als Strauss im September 1927, auf der Suche nach einem neuen Opernstoff, davon hört, daß Hofmannsthal an einem „Wiener Volkstheater- Stück” arbeitet, interessiert er sich sofort dafür und wünscht sich „ein Singspiel mit Musik und Kasperltheater” oder ein „gesprochenes Volksstück mit musikalischen Einlagen”. Aber Hofmannsthal winkt ab: „Ich bin eben allmählich auch ein älterer und schwierigerer Mensch geworden. Ohne Einfall bringe ich nichts vor mich, und der Einfall ist eine Gnade.” — Wie es dann doch zum Libretto der „Arabella” kam, erfährt man aus dem bereits erwähnten Briefwechsel.

Wie meist bei Hofmannsthal, verbinden und kreuzen sich in der „Arabella” verschiedene Motive und Handlungsfäden aus früheren Entwürfen. Einer heißt „Der Fiaker als Graf” und war als Konversationsstück gedacht. In der Phantasie des Dichters verbindet sich dieser Stoff zunächst mit einem Lustspielthema, einer Art Operette, ähnlich der „Fledermaus” oder dem „Rosenkavalier”. Bereits in dieser Phase tauchen zwei sehr verschiedene Schwestern auf, ferner ein Tenorino als Liebhaber und, als Hauptfigur, ein Mann „aus einer halb fremden Welt” (Kroatien). Hiermit verbindet sich dann im Dezember 1927 das Hauptmotiv: das Liebes- opfer der Zdenka, das auch im Mittelpunkt eines bereits 1919 veröffentlichten Novellenentwurfes steht: „Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie.”

Natürlich drängen sich dem Leser des Textbuches zu „Arabella” Vergleiche mit dem „Rosenkavalier” auf, und beide Künstler waren sich der Gefahr einer Wiederholung durchaus bewußt. Doch vermag Hofmannsthal die Bedenken seines Partners zu zerstreuen, indem er auf die Verschiedenheit der beiden Sphären — die „pompöse und gemütliche” des „Rosenkavaliers”, der während der Regierung Maria Theresias spiėlt, und die „gewöhnliche, nüchterne, ordinäre” des Wien von 1860 — verweist, ferner indem er gewisse Aehnlichkeiten in der Intrige beseitigt und die einzelnen Gestalten immer plastischer herausarbeitet. Aber auch damit hat es seine Schwierigkeiten. Strauss kann sich mit dem Milieu zunächst gar nicht anfreunden, und er zweifelt, ob er — wie es in einem Brief an den enttäuschten Dichter formulių jst — „dp.ei kte lang verlumpte Naivität heucheln” könne. Auch die Figuren interessieren ihn gar nicht, weder der Kroate Mandryka, „dieses reiche, edle Seitenstück zum armen, verlumpten Ochs, noch vor allem die Hauptperson Arabella, die in drei Akten auch nicht den geringsten seelischen Konflikt durchmacht”. Sie erscheint ihm nicht nur uninteressant, sondern auch kalt, herzlos und unsympathisch. Nun, da wir das fertige, ausgeführte Bild der Arabella vor uns haben, ist es nicht leicht, zu entscheiden, ob es der Ueberredungskunst des Dichters oder der weiteren Ausführung und Vertiefung der Arabella-Gestalt zuzuschreiben ist, daß sich auch der Musiker in sie verliebte und ihr den schimmernden Mantel seiner Musik über die Schultern warf. Jedenfalls begann Strauss, diese Figur so zu sehen und zu empfinden, wie Hofmannsthal sie ihm präsentierte: „Es ist diesmal keine Frau, sondern ein junges Mädchen. Aber ein ganz reifes, wissendes, ihrer Kräfte und Gefahren bewußtes junges Mädchen, durchaus Herrin der Situation, also eigentlich soviel wie eine ganz junge Frau, und eine durchaus moderne Figur. Und überhaupt ist dieser Typ von jungen Frauenwesen der, welcher jetzt interessiert, und man muß nicht die alten Moden mitmachen, sondern die neuen kreieren helfen, sonst ist man ein schlechter Schneider!”

In solchen Sätzen manifestiert sich die Superiorität und Geschmackssicherheit Hofmannsthals, der sich übrigens auch als „guter Schneider” erwies; denn trotz des Milieus und Dekors von 1860 ist diese Arabella eine sehr moderne Gestalt, und eine der interessantesten dazu, welche Strauss und Hofmannsthal geschaffen haben.

AUS DEM BRIEFWECHSEL

Lieber Herr Hofmannsthal!

… Aber jetzt habe ich nichts mehr zu arbeiten: total abgebrannt! Also, bitte: dichten Sie. Es darf sogar ein „zweiter Rosenkavalier” sein, wenn Ihnen nichts Besseres einfällt.

Schlimmstenfalls eine kleine Zwischenarbeit — ein Einakter —, Oel zur Verhinderung des Ein- rostens der Phantasie.

Mit schönsten Grüßen Ihr stets aufrichtig ergebener

Dr. Richard Strauss Garmisch, 20. September 1927

Lieber Dr. Strauss!

Ich habe ein paar Wochen lang keinen einzigen Brief geschrieben. Manchmal muß ich das tun, um mich zu erholen. Aber ich vergesse doch darüber nicht Ihre Lage, Ihre Schwierigkeit, in der Produktion von einem Text abzuhängen — wie könnte ich das. Es ist nun zwanzig Jahre her, daß wir miteinander arbeiten, das bedeutet doch etwas im Leben …Freilich, ich habe Einfälle genug, im Augenblick bedrängt mich das „Zugleich” eines tragischen und eines Lustspieleinfalles — aber wie besonders muß das sein, was sich für Musik eignet. . .

Ihr Hofmannsthal Bad Aussee, 29. September 1927

Lieber Dr:StMuVsf

Die Sache geht mir sehr nahe. Ich habe gestern den ganzen Abend nachgedacht und sehe einen (hoffentlich) gangbaren Weg, wenn Sie ein bißchen Geduld haben können. — Ich habe vor zwei Jahren mich mit einem Lustspiel beschäftigt, Notizen gemacht, ein Szenar entworfen, und dann die Arbeit wieder weggelegt. Es hieß: „Der Fiaker als Graf.” (Bitte behalten Sie den Namen für sich.) Es war ein recht reizvoller Stoff, aber er langte mir schließlich nicht ganz für das Kostüm der Gegenwart. Die Verhältnisse waren noch in meiner Jugend völlig wahr (solange der Hof und die Aristokratie in Wien alles waren) — heute müßte man es zurückverlegen —, ich dachte an 1880, aber man könnte auch sogar 1860 — ich überlegte hin und her, darüber fing ein anderer Stoff, ein ernster, mich zu interessieren an und ich legte den Entwurf in eine Lade zu vielen anderen. Gestern abend fiel mir ein, daß sich das Lustspiel vielleicht für Musik machen ließe, mit einem leichten Text, in der Hauptsache im Telegraphenstil! …

Herzlichst der Ihre

Hofmannsthal

Bad Aussee, 1. Oktober 1927

Lieber Freund!

… Ich habe, trotzdem ich ganz in einer neuen dramatischen Arbeit bin, mir die Notizen zum „Fiaker als Graf” kommen lassen, und nicht nur diese, sondern auch die Entwürfe zu mehreren anderen Lustspielen. Der „F. a. G.” war ganz als ein Konversationsstück angelegt, die Handlung, soweit man überhaupt von einer Handlung reden konnte, war zu fadenscheinig für eine Oper, aber ich habe einige Elemente dieser Fiakepwelt mit Motiven aus einem anderen unausgeführten Lustspiel verbinden können und hoffe (noch kann ich mich täuschen, aber ich hoffe!), das Szenarium einer dreiaktigen Spieloper, ja fast Operette (ich würde auch den „Rosenkavalier” eine Operette nennen!), gefunden zu haben, das an Lustigkeit dem der „Fledermaus” nichts nachgibt — und dem „Rosenkavalier” verwandt ist, ohne jede Selbstnachahmung, und fünf bis sechs sehr lebendige Rollen und vor allem einen sehr starken, bewegten zweiten und einen keineswegs abfallenden dritten Akt enthält…

Herzlichst Ihr

Hofmannsthal

Bad Aussee, 13. November 1927

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