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„Das erreichle Soziale“

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Vierzig Jahre nach der Uraufführung im Deutschen Theater in Berlin (1911) wurde jetzt — im Theater in der Jo6ef6tadt — zum erstenmal Hofmann6thals Lustspiel „Cristinas Heimreise“ vollständig gegeben, das heißt: m i t dem vierten Bild (dritten Akt), den Max Reinhardt seinerzeit gestrichen hatte, wodurch die Tendenz de6 ganzen Stückes nicht nur verändert, sondern geradezu verfälscht worden war.

Will man die Bedeutung der Lustspiele im Gesamtwerk Hofmannsthals richtig würdigen, so mag man sich zunächst vergegenwärtigen, daß neben dem Bogen der Dramen und Tragödien (angefangen von den frühen ^Spielen über „Elektra“ und „Das große Salzburger Welttheater' bis zum „Turm“) ein zweiter Bogen verläuft von fast gleicher Spannweite und Höhe. An diesem sind aufgereiht: „Silvia im Stern“, „Cristinas Heimreise“, „Die Lästigen“ nach Moliere, „Der Rosenkavalier“, „Der Schwierige“, „Der Unbestechliche“ und „Arabella“.

Und noch ein zweites müssen wir bedenken, worauf besonders Karl J. Naef in seinem Hofmannsthal-Buch hingewiesen hat: daß Hofmannsthals Lustspiele nicht nur untereinander motivisch eng verknüpft sind, gleichsam um ein zentrales Thema kreisend, sondern daß auch zahlreiche Fäden die Gruppe der Dramen und Ti lgödien mit den Lustspielen verbinden, daß die einen erst durch die andern voll verständlich werden. Bereits die frühesten Spiele wie „Gestern“ oder „Der weiße Fächer“ weisen lustspielmäßige Züge auf, ur.d es bedarf nur einer leichten Wendung, einer kaum merklichen Änderung der Perspektive, und aus den tragischen Gestalten werden komische Masken.

Aber auch die Gestalten der späteren Werke, der ernsten und der heiteren, weisen gemeinsame Familienzüge auf. Gehört nicht etwa der Baron Weidenstamm in „Der Abenteurer und die Sängerin“ dem gleichen Don-Juan-Typus an wie Florindo in „Cristinas Heimreise“, und existiert nicht eine geheime Ähnlichkeit zwischen dem Grafen Kari Bühl und den Helden der Jugenddramen Andrea oder Claudio? So könnte man auch die Zerbinetta aus der „Ariadne“ ihrer Schwester Antoinette Hechingen im „Schwierigen“ zuordnen, und es ist sicher kein Zufall, daß der Dichter dem Färber Barak in der „Frau ohne Schatten“ ähnliche Züge geliehen hat wie dem Kapitän Tomaso in „Cristinas Heimreise“.

Daß man mit solchen Parallelen und Deutungen nicht am Wesentlichen vorbeizielt, könnte schon dadurch erwiesen werden, daß Hofmannsthal — ähnlich wie Grillparzer — sich auf der Höhe seiner Kunst immer wieder um das Lustspiel bemüht und die Komödie — im Gegensatz zu seinen mehr monologischen früheren Spielen — geradezu als „das erreichte Soziale“ bezeichnet. Um die gleichen entscheidenden Fragen wie Hofmannsthals Dramen kreisen auch die Lustspiele: um das Problem der Treue oder Untreue, um die Ehe und um die Vaterschaft. Bereits der 19jährige notiert in sein Tagebuch: „Für mich: Bedürfnisse nach lebendiger Tatsächlichkeit drängt zum Volksliedton und zum Drama“, und an Helene von Nostiz schreibt Hofmannsthal 1910: „Daß die Gruppe meiner zunächst entstehenden Komödien die Idee der Ehe entwickelt oder um diese Idee sich herumbewegen soll, dabei bleibt es.“ Nun wissen wir aber aus dem droßen Brief Hofmannsthals, welcher die „Ariadne“ erläutert, und aus zahlreichen weiteren Aussprüchen und Werkstellen, mit welchem Ernst und mit welch hoher ethischen Verantwortung Hofmannsthal in allen seinen Werken gerade diese Fragen behandelt hat. War für ihn doch jegliche menschliche Würde an die Treue gebunden, erkannte er doch in der Familie das „Uber-Ich“ als Ewigdauerndes, in welchem das Individuum aufgehoben und aus seiner Einsamkeit erlöst wird, führt doch nur der Weg über das Du zum Kinde, dem großen Wunder alles Kommenden (der Kinderkönig in der Tragödie „Der Turm“).

Und der Gegentypus? Karl J. Naef hat ihn ganz im Sinne Hofmannsthals sehr treffend charakterisiert: „Durch den ewig jungen und ewig unreifen Abenteurer fliegen die Ereignisse und Taten spurlos hindurch — wie Pfeile durch einen Schatten. Sie können ihm nicht zum Schicksal werden, weil ein konkretes, schicksalaufnahmefähiges Ich fehlt, nur der Charakter kann sich wandeln.“ Verwandlung aber bedeutet nicht bloß Veränderung, auch nicht Sichgehenlassen, sondern ist Selbstüberwindung, Emporläuterung zu einer höheren Form des Daseins — ist Selbstbesitz. Dieser Selbstbesitz kommt nicht aus der Einsamkeit, der Isolierung vom übrigen Leben, sondern ist Ergebnis jener „allomatischen Lösung“, von welcher Hofmannsthal in „Ad me ipsum“ spricht, der wechselseitigen Emporläuterung zweier Menschen, worin sich ein Höheres offenbart.

In einem Brief aus dem Jahre 1911, eben aus jener Zeit, in welcher die beiden Komödien „Cristinas Heimfahrt“ und „Der Rosenkavalier“ entstanden sind, spricht Hofmannsthal davon, daß seine früheren Werke, insbesondere seine Gedichte, aus der Einsamkeit heraus gesprochen seien. Nun aber sei überall und nach allen Seiten hin die Liebe verteilt, und er fühle sich ungleich glücklicher als damals. Alle Dinge habe er auseinanderliegend gesehen, das Leere klaffte dazwischen — „Jetzt komme ich leicht und sanft von einem zum andern.“

Dieses „Von- einem - zum - andern -Kommen“ bezieht sich nicht nur auf den kausalen Ablauf, sondern auch auf Hofmannsthals Zeitbegriff. Der Augenblick ist nichts vor dem Ewigen, aber alles Ewige vermag sich nur im Augenblick zu offenbaren. Davon spricht die Marschallin in dem berühmten Monolog gegen Ende des ersten Aktes im „Rosenkavalier“:

„Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, Da spürt man nichts al6 sie ... Allein man muß sich auch vor Ihr nicht fürchten.

Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, Der uns alle geschaffen hat.“

Und auf seine Art spricht davon auch Florindo, der Abenteurer. Ein Bezauberer und dem Zauber aller Frauen verfallen, die seinen Weg kreuzen, trifft er in dem kleinen venezianischen Gasthof Cristina, die mit ihrem Oheim, dem Pfarrer von Capodiponte, in der abenteuerlichen Stadt weilt, um einen sehr ehrbaren Vorsatz auszuführen. Sie verfällt Florindo, doch dieser — teils dem eingeborenen Freiheitsdrang folgend, teils auch vom eigenen Unwert überzeugt — spielt das unschuldige Mädchen vom Lande in die Hände seines ehrsamen, alten Kapitäns, der mit seinem exotischen Diener Pedro nach 35jähriger Abwesenheit in Westindien nach Europa zurückgekehrt ist. So führt er die junge Christina und den alternden Kapitän zueinander, und so groß ist die Sicherheit des reiferen, treuen Mannes, daß er in der letzten Szene, da Florindo einen Besuch bei dem glücklichen Paar macht, ganz ruhig und ohne Kränkung sagen kann: „Da ist jemand, der sich rühmen darf, gute Bekanntschaft vermittelt zu haben. Da ist jemand, den wir so bald nicht wiedersehen werden. Denn er ist so in Anspruch genommen“, es wartet auf Florindo nämlich der Reisewagen, in dem seine letzte Eroberung, diesmal eine Gräfin, mit ihm fährt. Und Cristina wünscht ihrem ehemaligen Verführer: „Reisen sie nur immer glücklich, Herr. Sie sind einer, scheint mir, der immer auf Reisen sein muß. Anders kann ich Sie mir gar nicht denken.“ Und der Kapitän „schiebt ihn gelassen zur Tür hinaus“. —

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