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Die Frau ohne Schatten“

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Hofmannsthal an Strauss 20. 3.1911

Wenn man wieder einmal etwas Großes zusammen machen wollte, so müßte es eine bunte und starke Handlung sein und das Detail des Textbuches minder wichtig. Mir schwebt da etwas ganz Bestimmtes vor, etwas, das mich sehr fasziniert und das ich ganz sicher ausführen werde, ob für Musik oder nur Ausstattungsstück mit begleitender Musik, das werden wir uns ja entscheiden können, es ist ein Zaubermärchen, worin zwei Männer und zwei Frauen einander gegenüberstehen, und zu einer dieser Frauen könnte man sehr wohl Ihre Gattin mit aller Diskretion Modell stehen lassen — dies aber ganz unter uns gesagt, es ist auch nur halbwichtig, die eine ein Feenwesen, die andere irdische eine bizarre Frau mit einer guten Seele im Grunde, unbegreiflich launisch, herrisch und dabei doch sympathisch, sie wäre sogar die Hauptfigur, und das Ganze bunt, Palast und Hütte, Priester, Schiffe, Fackeln, Felsengänge, Chöre, Kinder, das Ganze schwebt mir wirklich mit Gewalt vor Augen und stört mich sogar im Arbeiten, und hat den anderen Plan, das „steinerne Herz“, ganz zurückgedrängt, weil es um soviel heller und freudiger ist. Das Ganze, wie ich es da in der Luft hängen sehe ... verhielte sich, beiläufig gesagt, zur „Zauberflöte“ so wie der „Rosenkavalier“ zum „Figaro“, d. h. es bestünde hier wie dort keine Nachahmung, aber eine gewisse Analogie. Die bezaubernde Naivität vieler Szenen der „Zauberflöte“ kann man natürlich nicht erreichen, aber der Einfall ist, glaube ich, sehr glücklich und ergiebig.

Strauss an Hofmannsthal 15. 5.1911

Ich möchte mich erkundigen, was die „Frau ohne Schatten“ macht, ob ich nicht wieder bald einmal einen fertigen Entwurf oder gar einen ersten Akt zu sehen kriege.

Hofmannsthal an Strauss 15. 5.1911

An einem schönen Stoff, wie die „Frau ohne Schatten“ es ist, das reiche Geschenk einer glücklichen Stunde, an einem solchen Stoff, so fähig, Träger schöner Poesie und schöner Musik zu werden, an einem solchen Stoff wäre es ein Frevel, wollte man hasten, wollte man sich forcieren. Da muß alles Detail fest und unverrückbar, knapp und präzis und wahr vor der Phantasie stellen, das muß im stillen, unter der Schwelle des Bewußtseins, das Verhältnis der Gestalten zueinander sich ausbilden und ungezwungen in buntes Geschehen von ungezwun-

gener Symbolik sich hinüberleben, da muß Tiefes zur Oberfläche, da darf nichts leer bleibe, nichts abstrakt, nichts bloß gewollt und bloß gemeint, dann wird die Musik so Gewalt sein, daß sie nichts braucht als das Letzte einzuströmen und Erde und Himmel in Strömen abzuspiegeln. Aber hier kommt alles auf Reichtum und die Dichtigkeit der wirklichen Eingebung an und le temps ne fait rien ä l'affaire. Hätten Sie mich vor die Wahl gestellt, es gleich zu machen oder auf Ihre Musik dafür zu verzichten, so hätte ich das letztere gewählt.

8. 9. 1912

Ich schreibe Ihnen dies, weil ich weiß, daß es Ihnen Freude machen wird: daß mir die „Frau ohne Schatten“ mit Gewalt vor die Seele getreten ist und daß ich nun, erst nun diesen Stoff wirklich besitze, Glied für Glied, Bild für Bild, jeder Uebergang, jede Steigerung, alles im großen Ganzen und zugleich in Einzelheiten, so daß ich mir wohl sagen kann: dies ist gerettet, möge es uns beiden vergönnt sein, es auszuführen, so wie es jetzt vor mir schwebt.

• Strauis an Hofmannsthal 1.6.1913

Wann hört ich bald etwas Schönes von Ihnen?

Hofmannsthal an Strauss 3. 6.1913

Nur um alles in der Weh jetzt nicht ungeduldig sein auf die „Frau ohne Schatten“ — auch Ihre liebe und verehrte Gattin nicht! — Sonst gefährden Sie nicht nur meine Nerven, sondern vor allem dieses Werk. Es ist eine furchtbar heikle, unendlich schwierige Sache — mehrmals war ich tief verzweifelt. . Ich habe seit Ende April nur für diese Arbeit gelebt, habe meine Korrespondenz völlig unterbrochen, wehre Besuche ab, empfange fast niemanden, aber trotzdem müssen Sie Geduld haben, ich gönne Ihnen ja die Freude, und die Produktion freut so sehr, aber es wird mindestens noch Juni und halber Juli vergehen, bis ich den ersten Akt aus der Hand geben kann . .. Prächtig war Ihr Gedanke im Mondschein (zwischen San Michele und Bozen), die obere Welt mit dem Ariadne-Orchester zu begleiten, die dichtere, buntere Erdenatmosphäre mit dem großen Orchester. An dieser stilistisch kostbaren Idee (die Strauss später fallen ließ) hat sich meine Phantasie ganz festgeankert — entsprechend ist auch der poetische Ton — oben ist immer herorischer Sprcchgcsang (wenn auch viel rascher fließend als bei Wagner), unten ist es wahrhafte Kon-

versation, wie nur der Meister des „Rosenkavaliers“ sie komponieren kann. Wundervolle Uebergänge ergeben sich ungesucht, von einem Orchester zum andern ...

24. 9. 1913

Meine schweren Stockungen in der Ausführung der „Frau ohne Schatten“ müssen Sie verwundert haben, denn es schien doch in Rom schon alles so klar vor mir zu stehen! Ja, aber doch nur das Was — und das Wie ist so tausendfältig ... Vielleicht hat mich im Mai die aufmerksame Lektüre von Wagnerischen Textbüchern eher geschädigt als gefördert... Ich habe dies jetzt überwunden — es war eine Art geistiger Trübung, die Ihnen zeigen kann, wie tiefernst es mir mit dieser Arbeit ist —, ich werde jetzt mit frischer Kraft und dem Willen zur opernmäßigen Leichtigkeit an den ersten Akt herantreten ...

Strauss an Hofmannsthal 26. 9.1913

Ich bin sehr glücklich über die guten Nachrichten bezüglich unserer weiteren Arbeit und bitte Sie dringend, sich von mir darin nicht gedrängt zu fühlen. Je öfter gerade so ein Opernstoff durchgesiebt wird und wie ein Weinberg immer von neuem auf- und durchgearbeitet wird, desto prägnanter und knapper wird er ...

Hofmannsthal an Strauss 30. 9.1913

Es ist mir wahrhaft lieb, daß Sie den Grund meiner Stockungen an meiner Arbeit sowohl verstehen und sich so klar sind, was bei einer langsamen, vielfach das Hergestellte wieder verwerfenden Arbeitsweise gewonnen werden kann und werden soll. Es handelt sich um die Proportionen: Diese sind aber, nächst der Erfindung einer reichen, faßlichen und menschlichen Handlung das Allerwichtigste. An Ihnen kann der Komponist nichts mehr ändern — vielmehr er kann sie nur zum Schlimmen verändern, nicht zum Guten. Wogegen es in seiner Hand liegt, fast alle anderen Mängel auszugleichen und sogar den Schwächen in der Charakterzeichnung durch die Mittel der Musik zu supplieren.

26.12. 19U Ich hatte Ihnen ein Weihnachtsgeschenk zugedacht, nun bekommen Sie 's erst zu Silvester, es ist die erste, kürzere Hälfte des ersten Aufzuges der „Frau ohne Schatten“, ein Teil, den ich als definitiv fertig betrachten darf und der sich, wie ich glaube, der Musik noch mehr entgegenschmiegt als irgend etwas, was ich bisher für Sie gemacht habe.

28.12.191?

Hier ist mein kleines Neujahrsgeschenk! Es soll Sie begleiten und hier und da Ihre Phantasie anregen. Es kommt bei dieser Introduktionsszene alles auf das Tempo an... Der Geist der Musik für diese Szene wird sich mit dem der Dichtung decken, wenn sie dem Ganzen etwas Leichtes, Fließendes, Gehauchtes geben ...

Der Kaiser ist von den fünf Hauptfiguren des Stückes die mindest hervortretende: sein mäfr-cheuhaftes Geschick, zu Stein und wieder erlöst zu werden, ist sein stärkster Zug im Bilde — seine Physiognomie ist minder individuell als typisch. Die Musik wird ihm das wahrhaft Musikhafte mehr als das scharf Charakteristische mitzugeben haben-, er soll eine süße, schön geführte Stimme in dem Ganzen sein. Von der dreifachen Natur der Kaiserin, die am Dasein von Tier und Mensch und Geist Anteil hat, kommen in diesem Teil nur das Tierhafte und das Geisterhafte, die beide zusammen das Fretndsein ausmachen, in Erscheinung, in der Mitte klafft die Lücke, das Menschliche fehlt: dieses zu gewinnen, ist der Sinn des ganzen Stückes — so auch in der Musik: erst im dritten Akt wird die Stimme der Kaiserin ihren vollen menschlichen Klang annehmen — die tierhaft-geisterhaften werden dann in einem höheren Medium zu einer neuen Wesenheit verschmolzen erscheinen. Ueber das Doppelgesicht der Amme, die zwischen dem Dämonischen und Grotesken schillert, finden Sie Gelegentliches dem Text beigeschrieben.

Strauss an Hofmannsthal 4. 4.1914

Der erste Akt ist einfach wunderschön und so konzentriert und einheitlich, daß ich noch nicht ein Pünktchen daran gestrichen oder geändert mir denken könnte. Für mich handelt es sich nur darum, einen neuen einfachen Stil zu finden, der es ermöglicht, Ihre schöne Dichtung in voller Reinheit und Klarheit dm Zuhörern vorzuführen. Vielleicht kürze ich am ersten Teil noch einiges, damit der zweite des ersten Aktes und alles folgende ja ein frisches, empfängliches Publikum finde. Jedenfalls kann ich das Ganze jetzt schon besser übersehen und werde mich jetzt darauf vorbereiten, für alles die richtige Ausdrucksfonn zu finden. Somit beglückwünsche ich Sie herzlich zu der schönen, vollkommenen Leistung uvid wünsche nur, daß die folgenden Akte der zweiten Hälfte des ersten ebenbürtig werden möchten ...

Mit herzlichem Dank und schönsten Grüßen

Ihr

Aus dem im Atlantis-Vefhaf, Zürich, mcbieMeMCN Briefwechsel.

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