6580377-1951_14_05.jpg
Digital In Arbeit

Erfahrung des Schöpferischen

Werbung
Werbung
Werbung

Der Autor der nachfolgenden Studie •— Westschweizer seiner Abstammung nach und im vergangenen Jahr als Leiter einet Kompositionsklasse an die Musikhochschule von Köln berufen — wurde in Österreich vor allem durch sein Tristan-Oratoriuai ,Le vin herbe* bekannt. Frank Martin, dessen Name auch auf dem Programm des IV. Internationalen Musikfestes steht, schrieb eines der erfolgreichsten Werke der neuen Musik, die Petit Symphonie concertante“, und ist Schöpfer des großen Oratoriums „Golgotha“.

Die österreichische Furche*

Erst nach langem Zögern habe ich midi zum Thema .Die Erfahrung des Schöpferischen' entschließen können. Nicht wenig Kopfzerbrechen hat mir der Titel gemacht. .Erfahrung“ — nun, das mag angehen; nach einigen 40 Jahren kompositorischen Arbeitens darf man ohne Anmaßung auf einige Erfahrung Anspruch erheben. Aber von einer .schöpferischen Tätigkeit“ zu sprechen, wenn es sich um die eigene Arbeit handelt, das klingt — gestehen wir's — nicht gerade bescheiden,

Wagen wir also trotzdem dieses schöne Wort .Schöpfung“ zu gebrauchen, nicht um unsern Stolz zu blähen oder uns auf gleichen Boden- mit dem Schöpfer stellen zu wollen. Vielmehr in aller Demut und Behutsamkeit, um diesen wesentlichen Bestandteil unserer Lebenskraft nicht einschlafen zu lassen. Denn uns allen ist gegeben, etwas zu schaffen, einem jeden nach seinen Gaben. Ohne dies hätte das Leben keinen anderen Sinn als den des bloßen, unmittelbaren Genießens. Zuviel Bescheidenheit hieße hier sich selbst aufgeben oder verneinen. Man wird jetzt keinen anderen Sinn mehr daraus ableiten als diesen: Vor Monaten der Arbeit war nichts da, und jetzt ist etwas da, eine Symphonie, eine Kantate, ein Präludium ... und man muß wohl verstehen, daß der, der aus Nichts dieses Etwas gemacht hat, sehr begierig ist, zu wissen, ob andere auch finden, daß dies .etwas“ sei, denn es gibt dafür keinen anderen Beweis als sein inneres Empfinden, und wie Valery sagt: Was nur für einen allein Wert hat, ist nichts wert...“ Diese Neugierde, dieser Drang, das geschaffene Werk zu zeigen, dieses Bedürfnis, es anerkannt und gelobt zu sehen, ist oft Gegenstand des Spottes. \Vir kennen die falsch Bescheidenen wie die falsch Stolzens ich erwähne sie nur der Vollständigkeit halber, weil ich vollkommen überzeugt bin, daß alle diese, bisweilen herzlich komischen Reaktionen daher kommen, daß der Autor sich mit seinem Werke identifiziert und dieses für ihn nicht nur ein Werk seiner Hände ist, sondern wirklich und wahrhaftig er selbst. Das sollte uns- etwas auf unserer Hut sein lassen: man wirft jemandem für gewöhnlich nicht an den Kopf, daß er eine schiefe Nase habe oder eine krächzende Stimme, und daß er übers Kreuz sehe.

Was man jedoch nicht kennt, ist das Verhalten des Schaffenden gegenüber dem zu schaffenden Werk und gegenüber der eigenen schöpferischen Arbeit. Der Grund dafür ist höchst einfach der: fast keiner der Künstler spricht je darüber. Beinahe wie Ungeheuer der Natur muten uns zwei bis drei Dichter an, die versucht haben, den dichterischen Schaffensvorgang zu analysieren: es sind dies Edgar Poe und in seiner Gefolgschaft Baudelaire, sowie in jüngster Zeit und gleichsam als der typische Vertreter dieser Art: Paul Valery. Unter den Komponisten wüßte ich kaum einen zu nennen. Es ist sehr bezeichnend, daß es im allgemeinen nichts Oberflächlicheres gibt als die Unterhaltung zweier Komponisten. Wahr ist, daß wir gegenseitig nichts von unseren Arbeitsmethoden wissen, sogar nichts von dem rein technischen Vorgehen, das wir beim Aufbau eines Werkes anwenden. Wir wissen nicht, ob der eine mehr und zunächst melodische Elemente sucht, oder ob er eher von einer harmonischen Grundlage ausgeht, und ob der andere zuerst einen Gesamtplan entwirft, in den er seine Musik einströmen läßt, oder ob er sich von der Folge der Gedanken leiten läßt. Nur ganz zufällig im Gespräch oder durch einen indiskreten Blick auf ein Skizzenblatt gelingt es uns, einige wenige dieser seltenen Auskünfte zu erhaschen, sosehr wacht über dem Schaffensvorgang eine Art Abwehrinstinkt, der schamhaft einen Schleier darüber breitet. Ja, es handelt sich hier wirklich um Scham, ich habe mich selbst wiederholt davon überzeugen können. Doch woher mag dieses so allgemein verbreitete Gefühl rühren? Ist es ein Uberrest der historischen Romantik und, wie Töppfer es nannte, ein Schweif des vergangenen Jahrhunderts, der noch im unseren nachschleppt? Hängt es dunkel mit dem Gedanken zusammen, daß ein Kunstwerk uns vollendet vom Himmel fallen sollte? Ist es eine Art Schuldgefühl, daß man es unter Mühen und langem Suchen hervorbringt? Wohl mag etwas davon darin enthalten sein: bedingt nicht jede Scham irgendwie immer ein Schuldgefühl? Tatsächlich fühlt man sich beim Komponieren immer mehr oder weniger schuldig, wenn man nicht sofort das findet, was man sucht, und wenn es einem nicht gelingen will, ■ das auszudrücken, was man dunkel ahnt. Trotz der ständigen Erfahrung vieler Jahre, behält man immer noch die Sehnsucht nach einem Werk, das einem vollendet vom Himmel fallen möchte und das man im unaussprechlichen Glücksrausch der vollen Inspiration schreiben könnte. Immer noch fühlt man sich fehlbar, der Erfindungskraft zu ermangeln, so arm an Einfällen zu sein; und doch ist man weiß Gott unschuldig daranl Vielleicht kommt diese Hemmung der Komponisten, über ihre Arbeit zu sprechen, daher. Wir werden nie etwas darüber erfahren, weil sie es uns nicht sagen werden, davon bin ich fest überzeugt.

Erwartet man etwa von mir, daß ich einen Zipfel des Schleiers lüften werde, der sich so schamhaft über die Entstehung unserer Werke breitet? Da ich nichts von den andern weiß, würde es nur für mich und meine eigene Arbeit gelten und hätta damit kein sehr allgemeines Interesse. Um eine etwas breitere Grundlage zu gewinnen, werde ich einige Sätze Paul Valerys heranziehen, die mich ganz besonders beeindruckt haben. Zum Beispiel diesen, den ich einem Gespräch mit Degas entnehme: .Man weiß nie, was daraus werden wird.“ Das heißt, vom Augenblick des ersten Einfalls an oder eines bewußten Entschlusses, dieses oder jenes zu machen, entwickelt sich das Werk gleichsam von selbst, so wie ein Organismus wächst, ohne daß der Wille des Urhebers auf andere Weise eingreifen könnte als der Gärtner, der seinen Apfelbaum .formiert“ und ihm die gewünschte Gestalt gibt. Oder dieser Satz: .Beachten Sie diese mögliche Dualität beim Sich-Ins-Spiel-Einlassen: das eine Mal sucht etwas sich auszudrücken, das andere Mal sucht ein Ausdrucksmittel ein Etwas, dem es dienen könnte.“ Für uns Komponisten ist das fast immer gleichbedeutend mit der Unterscheidung zwischen einem Vokalwerk, dessen vorher bestehender Text einen musikalischen Ausdruck sucht, und einem Instrumentalwerk, in welchem als Ausgangspunkt irgendein technischer, formaler oder instrumentaler Faktor nach dem Etwas sucht, dem er dienen könnte, und der im Geiste des Urhebers die Denk- und Empfindungskraft erregt und belebt. Wichtig allein ist das geschaffene Werk; und da distanziere ich mich mit Entschiedenheit von Valery, der behauptet, daß für ihn das .Schaffen“ allein Wert habe und das .Geschaffene“ ohne Bedeutung sei. Zweifellos interessiert man sich praktisch nur sehr in zweiter Linie für die schon abgeschlossenen Werke, und im Grunde gilt allein das Werk, an dem man gerade arbeitet. Aber es erschiene mir seltsam und müßig, es lediglich als Gymnastik meines Geistes betrachten zu sollen. Bei mir sind die Geburtswehen etwas zu heftig, als daß ich darin nur ein Spiel zu sehen vermöchte.

Ebenfalls wichtig ist, daß jene Angst des Schaffens nicht im Werke selbst zum Ausdruck komme. Es kann nicht das Ziel des schaffenden Künstlers sein, die anderen an seinen Geburtswehen teilnehmen zu lassen, und welche Empfindung seiner Seele er auch zum Ausdruck bringen muß und wie tragisch und düster sie auch sein möge, sein Werk sollte immer den Stempel jener Gelöstheit tragen, die eine vollkommene Gestaltung in uns bewirkt und die, glaube ich, das ist, was man Schönheit nennt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung