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GUSTAV MAHL.ER

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KUNST UND LEBEN

Meine Symphonien erschöpfen den Inhalt meines ganzen Lebens; es ist Erfahrenes und Erlittenes, was ich darin niedergelegt habe; Wahrheit und Dichtung in Tönen. Und wenn einer gut zu lesen verstünde, müßte ihm in der Tat mein Leben darin durchsichtig erscheinen. So sehr ist bei mir Schaffen und Erleben verknüpft, daß mir mein Dasein fortan ruhig wie ein Wiesenbach dahinflösse, ich — dünkt mich — nichts Rechtes mehr machen könnte. 1893, nach 'Vollendung der ersten beiden Symphonien.

DER KUNSTBETRIEB

Glaube mir, unser Kunstleben ist derzeit in keiner Form für mich mehr verlockend. Es ist schließlich immer und überall dasselbe verlogene, von Grund verpestete, unehrliche Gebaren.

Gesetzt, ich käme nach Wien! Was würde ich mit meiner Art, die Dinge aufzufassen, in Wien erleben? Ich brauchte nur einmal zu versuchen, dem berühmten, vom biederen Hans (Richter) ausgebildeten Philharmonicum meine Auffassung einer Beethovenschen Symphonie beizubringen, um sofort auf den widerwärtigen Kampf zu stoßen. Habe ich es doch hier erlebt, W 'icli durch die rückhaltslose Anerkennung Brähms' und Bülows eine unbestrittene Position einnehme I Welch einen Sturm muß ich jedesmal über mich ergehen lassen, wenn ich aus der gewöhnlichen Routine heraustretend, irgend etwas Eigenes aus mir heraus versuche.

Ich habe nur einen Wunsch: in einer kleinen Stadt, wo es keine „Traditionen“ gibt und keine Wächter der „ewigen Gesetze der Schönheit“, unter einfachen, naiven Menschen zu wirken und im engsten Kreise mir und den wenigen, die mir folgen können, genug zu tun. — Womöglich kein Theater und kein „Repertoire“!...

Anfang 1895 aus Hamburg an Fritz Lohr.

GRENZEN DES INNEREN WACHSTUMS

Möge der Himmel mich davor bewahren, daß mir die Einsicht einmal abhanden kommen sollte, wenn meine Sachen schwächer werden. Bei meinen Arbeiten möchte ich wegen eines Schlechten das Ganze zerstören, im Gegensatz zu den Leuten, die ein ganzes Sodom und Gomorrha wegen eines Gerechten verschonen. Besser wäre es, daß einer in der Glanzzeit seines Schaffens dahingerafft würde, wo immer noch ein Größeres und Höheres zu erwarten steht und noch keine Grenze sichtbar wird, die das Bild seiner Wirksamkeit einschränkt. Ähnlich wie ein Gebirge, dessen Gipfel Wolken verhüllen, höher erscheint als selbst das Höchste, das frei in den Äther ragt. — Doch hat die Natur dem Wachstum und der Wirksamkeit des Geistes zuletzt Grenzen gesetzt, und es ist vielleicht eine sentimentale Forderung, diese nicht selten gehen lassen zu wollen.

Aus einem Gespräch vom Sommer 1896.

DAS „SYMPHONISCHE PROBLEM“

Meine Musik ist immer und überall Naturlaut! Dies scheint mir das zu sein, was Bülow zu mir einst mit dem sinnvollen Worte „symphonisches Problem“ bezeichnet hat. — Eine andere Art von Programm erkenne ich, wenigstens für meine Werke, nicht an. — Habe ich denselben ab und zu Titel vorgesetzt, so wollte ich für die Empfindung einige Wegweiser aufstecken, wo sich dieselbe in Vorstellung umsetzen soll. Ist das Wort hiezu nötig, so ist die menschliche artikulierte Stimme da, welche dann die kühnsten Absichten verwirklichen kann — eben durch die Verbindung mit dem aufhellenden Wort. Am 18. Februar 1896 aus Hamburg an Dr. R. Baffe.

DIE FURCHE

SEITE 14 / NUMMER 25 18. JUNI 1960

AN EINEN ANGEHENDEN OPERNKOMPONISTEN

Sie gehen vorderhand noch sehr auf „Ton und Farbe“ aus! Es ist dies der Fehler aller begabten Anfänger, die jetzt schaffen. Ich könnte Ihnen aus meinem Entwicklungsgang Ähnliches vorweisen. — Stimmungsmusik ist ein gefährlicher Boden. Glauben Sie mir: es bleibt vorderhand beim Alten: Themen — klar und plastisch, daß man sie in jeder Umgestaltung und Weiterentwicklung doch wieder deutlich erkennt — und dann eine wechselvolle und vor allem logische Entwicklung der inneren Idee. Andernteils durch echte Gegensätzlichkeit der gegenübergestellten Motive fesselnde Ausführung ... Unter Stimmungsmusik verstehe ich natürlich nur die schwächliche, auseinanderfließende kolorierende Manier, welche entweder der noch gärenden unfertigen Jugend oder aber der Impotenz eigen ist. — Auch ich habe die Periode durchgemacht, in der mir vor übergroßer Empfindung alles auseinanderfloß und ich mein Wesen nicht zusammenhalten konnte. Aber alle Gestaltung hängt wesentlich mit der Contenanze zusammen, die der Künstler sich erringen muß — darüber also verstehe!} wir uns jetzt. — Nicht, daß „Ton und Farbe“ in Ihrer Oper steckt, sondern, daß es meistenteils nur Ton und Farbe ist...

Aus Hamburg im Jahre 1896 an Max Marschalek.

NACH DER ERNENNUNG ZUM DIREKTOR DER WIENER HOFOPER '

Am liebsten möchte ich gleich auf und davon gehen. Ja, wenn das ein Absehen hätte; wenn ich in der Art von Bayreuth eine Anzahl (meinetwegen eine zehnfach größere) von Werken tadellos einstudieren und als wahre Festspiele hinstellen könnte, wie freudig würde ich das leisten! — Aber bei der Einrichtung meines Theaters, wo täglich gespielt werden muß, wo ich der ärgsten Verlotterung und tief eingewurzelten Fehlern auf Schritt und Tritt bei dem ganzen Körper, mit dem ich's zu tun habe, begegne, und oft erst im Momente der Aufführung und im ärgsten Kampfe alles umstürzen und neu aufbauen muß; wo ich ein Repertoire habe, welches das Gemeine neben dem Höchsten enthält; wo die Stumpfheit und Beschränktheit von Aufführenden und Aufnehmenden mir einst wie eine Wand entgegensteht: da ist es eine Sisyphusarbeit, die ich leisten soll, die meine besten Kräfte, ja mein ganzes Leben aufzehren, aber zu keinem Ziel und Gelingen führen kann! — Und daß ich vor tausenderlei Sorgen nie mir selbst angehöre, ist das Ärgste dran.

Aus einem Gespräch vom Herbst 1897.

EWIGER ANFÄNGER

Leute unserer Art können nicht anders, als das, was sie tun, gründlich tun. Und das heißt, wie ich geradezu sehe, sich überarbeiten. Ich bin und bleibe einmal der ewige Anfänger. Und das bißchen Routine, die ich mir erworben, dient höchstens dazu, meine Anforderungen an mich zu steigern.

So wie ich meine Partituren alle fünf Jahre aufs neue herausgeben möchte, so brauchte ich zum Dirigieren der anderen jedesmal eine neue

Präparation. Das Tröstliche für mich ist nur, daß ich eigentlich bis jetzt noch nie auf meinem Wege eine neue Richtung einschlagen, sondern immer die alte weiterschreiten mußte. — Aber allerdings entfernt man sich dadurch wieder so von allen gebahnten Wegen, daß man schließlich wie die Ansiedler eines neuen Weltteils mit Hacke und Spaten zugreifen muß ...

Ende 1909 aus New York an Bruno Walter.

DIE WAHRE PRODUKTIVITÄT

Der Mensch — und alle Wesen — sind unaufhörlich produktiv. — Auf allen Stufen geschieht dies unzertrennlich vom Wesen des Lebens: wenn die Produktionskraft versiegt, so stirbt die „Entelechie“, das heißt, sie muß einen

G. Mahler: Zeichnung von H. Lindloff neuen Leib erhalten. — Auf jeder Stufe, auf der sich höhere Menschen befinden, wird die Produktion (die in Form von Reproduktion den Menschen natürlich ist) von einem Akt des Selbstbewußtseins begleitet und dadurch einerseits gesteigert, anderseits als Forderung an das sittliche Wesen aufgestellt. Dies ist dann eben die Quelle aller Beruhigung solcher Menschen.

, Abgesehen. von den kurzen Mprnentepy hn Leben des Genies, wo diese Forderungen sich erfüllen, sind es die langen„ ,unausgef üllten Strecken des Daseins, die dem Bewußtsein solche Prüfungen und unerfüllbare Sehnsüchte auferlegen. Und eben dieses unaufhörliche und wahrhaft schmerzvolle Streben verleiht dem Leben dieser Wenigen das Gepräge.

Nun wirst Du vielleicht schon ahnen oder wissen, was ich von den „Werken“ des Menschen halte. Sie sind das wahrhaft Flüchtige und Sterbliche; aber was der Mensch aus sich selbst macht — was er durch rastloses Streben und Leben wird, das ist das Dauernde.

Am 27. Juni 1909 aus Tolbach an Alma Maria Mahler.

Aus: Gustav Mahler „Im eigenen Wort — Im Worte der Freunde“, Arche-Verlag, Zürich.

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