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DER STILLEBENZAUBERER

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Von Georges Braque kann man nicht ein Gemälde nennen, das in spektakulärer Weise seine Kunst und sein Lebensgefühl zusammenfaßte. Ein „Guernica“ gibt es von ihm nicht. Trotzdem steht er vor unserem Auge deutlich umrissen, unverwechselbar. So jedoch, daß nicht ein Bild für alle spräche, sondern alle für eines. Braque, der am 31. August 1963 mit 81 Jahren gestorben ist, wurde zum Altmeister unserer Malerei, durch den eine Tradition bei allem Neuerertum hindurchgeht, rückt er doch schon in seiner Jugend, so revolutionär sie sich gab, nie von den Vorangegangenen ab. Das halte man nicht für Temperamentsschwäche, für Ablehnung aus Erfindungsblässe. Braque war kein Epigone, sondern ein Umstürzler, aber ein französischer Umstürzler. Zusammen mit Picasso hat er vor 56 Jahren den analytischen Kubismus entdeckt, mehr noch: geschaffen und gelebt. Er hat das Sehen radikal verändert, ohne das Gesehene dabei zu zerstören. Das unterscheidet ihn von den Expressionisten.

In der Hochburg des Impressionismus kam er am 13. Mai 1882 zur Welt: in Argenteuil. Nach Le Havre, einer Gegend voll Plan-Air-Vergangenheit, kam er in zarter Kindheit. Man kann darin unsichtbare Fingerzeige für den späteren Weg des Jünglings sehen, dessen Augen von allem Anfang an mit den zarten Dunstschleiern von Wasserlandschaften vertraut wurden. Doch seien wir nicht zu freigebig mit Analogien. Gerade die silbergrau verschleierte, zart flirrende Tönung der Vorgänger läßt er außer acht. Seine Farben werden nicht die der He de France sein, sondern die stumpferen aus dem erddurchglühten Süden, wohin zwei Aufenthalte ihn 1907 und 1908 führen. Erdfarben, die Sonnenglanz gespeichert haben, finden wir auf seiner Palette, allen voran Braun, Dunkelgrün, mitunter Schwarz. Auch Gelb ist ihm nicht fremd. Vergleichen wir das mit dem ins Gelb verliebten Matisse: bei diesem hallt etwas wie Claironstoß nach, ein Jubelruf in die durchsonnte Helligkeit hinein: bei Braque ein mildes Strahlen, warm und voll.

In Braques erste Zeit fiel der berauschte Aufbruch der Fauves. Er hat diese explosive Malerei kaum mitgemacht, deshalb auch, weil sein Temperament innerlich und reflektierend war. Der Gegenstand, der ihn zeitlebens inspirierte, ist das Stilleben, nicht die Werke des Menschen oder die Gewalten der Natur. Was immer er malt, Landschaft oder Porträt (in jüngeren Jahren), unter seinem Pinsel wird es zum subtil angeordneten Stilleben. Da zeigt sich wieder die alte Tradition seines Landes, welcher er ohne Aufhebens Tribut zollt. Chardin und Le Nain vor ihm verwandelten auch in ruhig gefaßtem Ausschnitt Mensch und Menschenwerk in solcherart erhöhtes Lebensbild. Auf immer verschiedene Weise verzauberten sie den Menschen, der, vom Dornröschenschlaf übermannt, dem Auge in beruhigter und harmonischer Ordnung dargeboten wird. Nur glaube man nicht, daß die Seele darin auch schlummere. Im Gegenteil. Alle ihre Kräfte hat sie in dieser kontemplativen Ruhe gesammelt, jedes Detail ist von ihr stärker erfüllt als im Leben. Daher auch der Eindruck einer wachen Ruhe, die von diesen Stilleben ausgeht. Daher auch ein anderes, das Braques Malerei erfüllt: die herrliche Versöhnung von Geist und Materie. Aus einer bis ins letzten gebändigten Materie, aus virtuos beherrschtem Handwerk geht diese Darstellung äußerster Verfeinung hervor. Über die zarte Stofflichkeit — wissensreich aus langem Generationenumgang — schlägt sich hauchfein Durchgeistigung nieder, so jedoch, daß nichts aufdringlich, nichts geschmackverletzend in diesem sublimen Gleichgewicht überwiegt. Worauf es ankommt, hat niemand besser als Braque selbst erkannt, der sagte: „Das Bild ist fertig, wenn es den Gedanken aufgesogen hat.“

Nun verstehen wir auch das tiefste Geheimnis seiner Kunst. Die reiche Verinnerlichung stammt aus einer unvergleichlichen Einheit des Lebens. In seiner Frühzeit bewegte ihn schon die Wahrheit. Aus diesem Suchen nach Vollständigkeit entstand der Kubismus, der nicht trennt und kleinteilt, sondern Einzelteile in strenger Verstandesarbeit zum vollständigen Ganzen zusammenfügt. Was wir nicht wahrnehmen von den Dingen, will er uns mitsehen lassen, Erkenntnisse des Geistes mit sensibelster Beobachtung vermählend. Man schaue nur genau hin auf die Komposition jener frühen Bilder: stets wird man ein organisierendes Zentrum finden, von dem die zerlegenden Kubennetze ausgehen, randwärts zunehmend. Da übersetzt sich in die Komposition dies innerste Streben nach dem Mittelpunkt, der zusammenfaßt. Auch in späteren Werken finden wir es wieder, und in den letzten, der vielfach abgewandelten Serie der Vögel, hat es sich ganz erfüllt. Nun erscheint als Zusammenfassung des Auseinanderstrebenden der Vogelleib mit entfalteten Flügeln. Abgerundet, geballt wie eine ins Plastische übertragene Maxime. Das rundherum Abgeschlossene ist die Voraussetzung seiner Kunst. Es weist auf den bürgerlichen Charakter s?iner Malerei, die sich dem Intimismus verschrieben hat. Gesicherte Wände sind um den Innenraum gezogen, in dem ein Fenster offensteht, zum Ausblick auf den Balkon und über ihn den Himmel. Diese Abgrenzung nach außen ist nötig, denn wie soll anders Größe durch Versenkung in die Tiefe gefunden werden? Es zeigt sich in ihr aber auch ein Zug, der den Maler vom ersten Tag an bestimmte: die handwerkliche Sauberkeit. Abermals eine urfranzösische Tradition, die Hingebung ans gutgemachte Werk der Hände. Sie wurde dem Knaben von seinem Vater, einem Flachmaler, von früh an vorgelebt. Wenn aber Gott im Detail steckt (wie man dazulande glaubt) und wir ihn durch allergenaueste Detailarbeit ehren wollen, dann müssen wir eine Grenze ziehen und uns mit dem Abgesteckten bescheiden.

Während der fünfziger Jahre begann Braque mit eins, sich griechischen Motiven zuzuwenden. Da brach er indes nicht aus dem Bannkreis aus, sondern zeigte, was im Grunde seit alters Frankreich mit dem Griechenland von einst verbindet. Denn auch in diesen graphischen Blättern geht die abgerundete Formel allem anderen voran. Kein Epigramm, wohlgemerkt, kein einseitiges Schlagwort, sondern die schön gefügte Definition einer Vision, die im klar umgrenzten Bildraum, was sie ausdrücken will, in eine reine Anschauungsform zusammenschließt. Sahatten zur klassischen Zeit die Griechen selbst ihre hohe Kunst, zumindest auf Vasen, geübt; in dieser Durchlichtung, die zwischen Maß und Emotion von selbst das Gleichgewicht herstellt. In ihrer Beschränkung, die ebenso abrundet wie verdichtet, atmet Braques Kunst schon lange klassischen Geist. Doch Klassik allein mit Stilisierung und Norm macht blutleer. Nur ein winziger Schritt trennt sie vom Akademismus, gerade in Frankreich beobachten wir das häufig. Einmaliger Formenfund geht da nur zu leicht in wiederholbare Regel über. Braque jedoch sagte von sich: „Ich liebe das Gefühl, das die Regel erschüttert.“ Ein Sinnspruch, der hinweist auf das Unauslotbare dieses Meisters, der im Engumzirkten, selten Veränderten von den Kräften der Welt diskret, aber unübersehbar Zeugnis ablegt.

Ich bin ein ungeduldiger Mensch! Aber ich habe mit der Zeit gelernt, in dieser wie in so mancher anderen Beziehung mit mir auszukommen. Ich glaube, das ist es, loas man als Lebensweisheit bezeichnet. Ich habe schon früh ununterbrochen die verschiedensten Einfälle gehabt, aber oft hat mir die Lust gefehlt. Schon die Tatsache, daß ich, um einen Einfall in Form umzusetzen, hier einen Bleistift, dort einen Pinsel hätte suchen müssen, hat genügt, um mir den Beginn der Arbeit und also auch deren Ausführung zu verleiden. Ich habe lange gebraucht, um diese Trägheit in mir zu überwinden. Mit den Jahren bin ich in dieser Beziehung vorsichtig geworden. Das Mittel, mit dem ich die Unlust zur Verwirklichung behoben habe, ist einfach genug: ich kann es jedem empfehlen, der in derselben Lage ist, in. der ich mich befunden habe. lcrflia\fekkäes*'tiön~ dem ichTdiineUmet daß ich es brauchen kann, um sogleich an die Arbeit zu gehen, wenn sich die Lust zu dieser in mir regt, in meiner unmittelbaren Griffnähe in meinem Atelier um mich herum angeordnet, und ich weiß von allen, auch den ausgefallensten Instrumenten, die nicht in Griffnähe liegen, genau, wo sie sich befinden. In dieser Beziehung stimmt bei mir alles.

Und was ich von den Arbeitsinstrumenten sage, das gilt auch von den Arbeiten. Ich bitte Sie: Sehen Sie sich einmal in meinem Atelier um. Viele Besucher, die zu mir kommen, meinen, ich habe meine Bilder, Aquarelle, Zeichnungen, Plastiken, Reliefs in dieser Anordnung aufgestellt, um ihnen sogleich eine Ausstellung meiner Werke vorführen zu können; ich sehe es ihnen an, daß sie so denken, auch wenn sie es mir nicht mit ausdrücklichen Worten sagen. Was für ein Unsinn! Ich stelle meine Arbeiten für mich selber so auf: weil ich auf diese Weise besser erkenne, welche von ihnen ich in diesem Augenblick, in dieser Stimmung, in dieser momentanen Laune sogar, am besten fördern kann. Was wollen Sie: auch ich bin ein komplexer Mensch! Ich arbeite an vielen Dingen zugleich und nebeneinander, und diese muß ich zugleich und nebeneinander sehen können. Aber es kommt auch vor (und zwar häufig), daß mir kein einziger von diesen Dutzenden von Entwürfen etwas sagt, daß ich mich plötzlich auf der Suche nach dem, was meiner gegenwärtigen Stimmung am besten entsprechen könnte, an eine Arbeit erinnere, die irgendwo versteckt liegt; daß ich sie, bisweilen mühsam, aus einem Haufen heraussuche, der in einem Nebenraum liegt, und dann daran zu arbeiten beginne: undmit Erfolg. Ich finde das selber manchmal sonderbar: Aber ich habe herausgefunden, daß das zu mir gehört. Mit dem Alter finden die meisten heraus, wie sie am besten vorgehen, um sich zu verwirklichen.

Sehen Sie, das hat auf der ganzen Welt noch nie jemand glaubwürdig erklärt, das wird für immer ein Wunder bleiben: die Tatsache, daß das vorher einStück des Fußbodens war: bloße Materie, und daß es nun nicht mehr ein Stück Fußboden, nicht mehr bloße Materie ist. Und warum? Weil eine Zeichnung darauf liegt: weil durch diesen einzigen Strich, den ich soeben gezogen habe, daß Stück Fußboden, das er umgibt und auch noch ein Stück des Fußbodens unmittelbar daneben, darum herum, durch ihn in beseelte, in menschlich strukturierte Substanz verwandelt wird: daß etwas in einer ganz bestimmten Art war — und nun, durch diesen Strich, in eine bestimmte andere Art verwandelt ist: in etwas, das in sich selber beruht, sichtbares Ergebnis der Äußerung einer Kraft, zugleich von dieser unabhängig, Mittelpunkt einer Kraft, die Wirkungen ausübt, Gegenkräfte weckt, Gegenwirkungen erzeugt: ob es ein bestimmtes Motiv darstellt oder Ornament bleibt. Sehen Sie: das macht mir Freude, das verschafft mir Genuß, das hat mir auch im Augenblick, da ich es ausgeführt habe, Freude gemacht und Genuß verschafft. Und das ist wieder einer der Gründe, einer der vielen Gründe, warum ich male, warum ich nie zu malen und zu zeichnen aufhören werde.

Die obenstehenden Sätze sind Ausschnitte aus einem Gespräch, das der Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka mit dem großen französischen Maler in dessen Atelier in Paris geführt hat. Sit stehen in dem ..Pariser Tagebuch“. Suhrkamp-Verlag, Berlin und Frankfurt.

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