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DIE BLAUE BLUME BLÜHT WEITER

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Romantikei unter den Malern des 20. Jahrhunderts

„Die Malerei ist die Enkelin der Natur und verwandt mit Gott,“ (Leonardo da Vinci.)

T\ ie Kunst der Romantik weist mit der unserer Zeit zahlreiche Parallelen und Verbindungen auf, wie sie dem mit den geschichtlichen Entwicklungsphasen künstlerischen Schaffen nicht vertrauten Beobachter häufig entgehen. Im Grund ist die Theorie modernen Malens schon in der Romantik festgelegt und vor allem im deutschen Raum folgerichtig weiterentwickelt worden. Prüft man heute die romantischen Ideen und Thesen über das Wesen künstlerischer Tätigkeit nach, so erkennt man staunend, wieviel modernes Gedankengut schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vorgeprägt wurde und wie genau man bestimmte Entwicklungsphasen schon vorhergesehen hatte. Damals wie heute war dem künstlerischen Ausdruck die Flucht aus der Gegenwart und Wirklichkeit immanent.

Damals wie heute stellten die Maler ihre Bilder der Zeit und Wirklichkeit gegenüber, kämpften sie mit ihren Werken gegen deren Widersinn und eine veräußerlichte, ungeistige Welt an, schufen sie Bilder, die von ganz anderen Gesetzen gespeist und geleitet wurden, als die rationalistisch-profane Realität. Gemeinsam war ihnen der Drang zur Abstraktion, das Bemühen, die irrationalen Kräfte der Natur und des Gefühls zu bannen, einen Ausdruck für die ihnen innewohnende unendliche Sehnsucht zu finden. „Kunst und Wissenschaft sind eigentlich ein Heimweh“ — damit drückte Ludwig Richter dieses Empfinden sehr schön aus; ein Heimweh nach einer in sich bestehenden und ruhenden Welt ist die Kunst bis heute für eine Reihe von Malern geblieben, die vor allem in unserem Raum leben und lebten.

Denn so, wie die Romantik im deutschen Raum ihre stärkste Ausprägung fand, so ist auch ihre Nachblüte hauptsächlich in ihm beheimatet. Franz Marc mit seiner Tierliebe und seiner „mystisch-innerlichen Konstruktion der Welt“, seinem Suchen nach der reinen Seele, steht hier mit an erster Stelle: „Die Welt ist tief; und tiefer als der Mensch gedacht. Das ist nicht Mystizismus von mir, sondern das ist unser heiligstes Lebensgefühl.“ Im „Blauen Reiter“, dem er angehörte, schufen auch Lyonel Feininger, Paul Klee und der Märchenerzähler Heinrich Campendonk. Mit ihnen verwandt ist einer der ersten „Abstrakten“, Adolf Hoelzel, von dem man heute zu Unrecht kaum noch spricht. Auch der skurril-phantastische Alfred Kubin gehört natürlich hierher, aber auch ein Außenseiter wie der melancholisch-klassische Carl Hofer. Haftmann hat erkannt, daß das Geheimnis der Wirklichkeitsvorstellung, die im „Blauen Reiter“ ihren Ausdruck suchte, aus dem romantischen Herzen Mitteleuropas kam. Feiningers kristalline Aufbauten und lichtdurch-wobenen prismatischen Zergliederungen, sein Einbeziehen des Atmosphärischen gleicht ja in vieler Hinsicht der Weltraummalerei Caspar David Friedrichs (die ja auch schon Elemente der „pittura metafisica“ eines Chirico enthält), der vor 120 Jahren gestorben ist. Von dessen „Verunglückter ,Hoffnung' “ zu Feiningers Küstenlandschaften und ätherischen Architekturbildern scheint ein direkter Weg zu führen. Und das Werk Paul Klees ist überreich an romantischen Assoziationen und Kristallisationen, vor allem die romantische Ironie kommt in zahlreichen seiner Bilder erst richtig zum Ausdruck.

T Tber diese Maler, zu denen noch August Macke und teilweise sogar die Brückemaler, auch Emil Nolde, gezählt werden können, führt ein direkter Weg zur reinen Vergeistigung, wie sie etwa in Kandinskys Werk ihre erste große Ausprägung fand.

Novalis hat diesen Weg schon vorhergesehen, wenn er über den Maler an sich sagt: „Sein Bild ist nur seine Chiffre — sein Ausdruck — sein Werkzeug der Reproduktion.“ Über die Abstraktion schrieb er: „Vor der Abstraktion ist alles eins, aber eins wie das Chaos; nach der Abstraktion ist wieder alles vereinigt, aber diese Vereinigung ist eine freie Verbindung selbständiger, selbstbestimmter Wesen. Aus einem Haufen ist eine Gesellschaft geworden, das Chaos ist in eine mannigfaltige Welt verwandelt.“

Tn Wien etwa könnten die Arbeiten Anton Lehmdens auf der einen und die Gerhard Swobodas auf der anderen Seite so betrachtet werden. Und in den letzten Ausstellungen begegnete man immer wieder durchaus romantischen Stimmungs- und Gefühlswerten in den Bildern zahlreicher neu auftauchender, vor allem junger Kräfte. Romantik lebt vor allem in den Bildern der Maler, die aus dem Osten kommen und dessen Mystik in ihren Werken aufleben lassen. „Man müßte imstande sein, den Gesang der Nächte, das Schweigen, die Geräusche der Luft hörbar zu machen“ — dies war der Wunschtraum Millets, den er nie realisierte. Aber ist nicht in Chagalls Bildern der „Gesang der Nächte“, macht nicht er das Unendliche greifbar?

Diese mannigfaltige Welt im Chaos findet sich vor allem in den neuesten Ausprägungen zeitgenössischer Malerei, findet sich in den Bildern einiger überdurchschnittlicher informeller Künstler, unter denen Wols neben Schumacher, Tobey neben Pollock und auch Soulages oder Schneider zu nennen wären. Die mannigfaltige Welt im Chaos festzuhalten und in eine Form zu bringen, ist überhaupt das Ziel zeitgenössischer Malerei, nicht nur der romantisierenden. Welche Ähnlichkeiten und Verbindungen tun sich zum Beispiel auf, wenn man den Surrealisten Max Ernst neben Caspar David Friedrich stellt, der wie C. G. Carus in gewisser Hinsicht ja als Vorbereiter romantisch-surrealer Malerei angesehen werden kann. Sowohl Ernst wie Friedrich ist das Thema Wald geläufig — das düstere und weite, erdverbunden-verwobene, märchenhafte, in all den verschiedenen Ausprägungen und Möglichkeiten seiner Darstellung. Eine ganze Reihe von Titeln, die Friedrich seinen Bildern gab, könnten direkt auf Werke Max Emsts übertragen werden: „Sträucher und Bäume im Schnee“, „Waldwasser“, „Alte Weide“, „Rabenbaum“. Aber die Verwandtschaft beschränkt sich natürlich nicht nur auf derartige Äußerlichkeiten, wie sie sich hier aufweisen lassen Max Emsts Waldbilder in ihrem großartigen, geschlossenen Aufbau und ihrer verdichteten, in aller Klarheit reichen Formgebung stehen den Land- . Schäften Friedrichs in, ihrem. StimmungsgchaJt so nahe wie möglich. Auch die Weiten, das All, die Unendlichkeit mit einbeziehenden Malereien anderer Surrealisten oder die absolute Einheit des Bildes suchender Künstler enthalten viele romantische Attribute.

Runge, Carus und Kersting, aber auch Turner und viele andere romantische Maler fanden eine späte und zum Teil erst vollendete Fortsetzung ihres Strebens und ihrer Ziele. Es ist gewiß kein Zufall, daß man Turners Werk heute wieder besonders schätzen gelernt hat. Unter den neueren Malern muß übrigens vor allem noch Fritz Winter mit seinem Werk bis etwa 1950 genannt werden. In seinen zutiefst romantisch empfundenen Bildern gelangt die blaue Blume der Romantik noch einmal zu reichster Entfaltung und Blüte. Seinen Werken, unter denen die kleineren, vor allem die Folge der „Triebkräfte der Erde“ einen besonderen Platz einnehmen, merkt man nicht zuletzt auch die Schule Paul Klees an, der — echt romantisch fühlend — sagte: „Unser pochendes Herz aber treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund, weil wir nicht nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben, sondern geheim Erschautes sichtbar machen.“ Damit ist Klee der frommen und hingebungsvollen Betrachtungs- und Denkungsweise Friedrichs wieder sehr nahe: „So betet der fromme Mensch und redet kein Wort, und der Höchste vernimmt ihn, und so malet der fühlende Künstler, und der fühlende Mensch versteht und erkennt es, aber auch der Stumpfere ahnet es wenigstens.“

Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur“, schrieb Philipp Otto Runge; „aber auch ihr ist durch ähnliche dunkle und geheime Wege eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen.“ Wir begegnen dieser wunderbaren Kraft stets vor Bildern, deren stilles und geheimnisvolles Leben uns in ihren Bann nimmt und zur persönlichen Zwiesprache nicht nur mit dem Werk allein, sondern auch mit dem Göttlich-Übernatürlichen, das hinter ihm steht, verleitet. Denn „der edle Mensch (Maler) erkennt in allem Gott, der gemeine Mensch (auch Maler) sieht nur die Form, nicht den Geist“, sagte wiederum C. D. Friedrich.

Auch der romantische Drang in die Ferne, von dem viele moderne Künstler erfaßt worden sind, wäre hier zu erwähnen. Gauguin, Pechstein und Nolde fuhren in die Südsee, Klee und Macke fanden erst in Kairouan so recht zu sich selbst und zum ersten Höhepunkt ihres Schaffens. Heute ist das Reisen und Einbeziehen großer Teile irdischer Erfahrensmöglichkeiten in das Bildgefüge eher noch gewachsen. Der sehnsüchtige Ruf der Ferne, dem der Künstler wie einem Sirenenklang folgt, ohne je die erhoffte Befriedigung und Ruhe zu erlangen, die seinem Werk ja auch den Todesstoß versetzen würde, findet nicht allein in der Malerei, sondern auch in der Literatur unserer Zeit ihren Ausdruck.

In der Romantik wurde unser Ideal vom guten, vollendeten Bild und vom wahren, wahrhaftigen Künstler geboren, der für uns der moderne, in unserer eigenen Zeit lebende, und uns mehr als alle Kunstgeschichte angehende ist. „In überrationalistischen Zeiten, wie zum Beispiel im 18. Jahrhundert“, sagt Rene Huyghe in seinem Buch „Die Antwort der Bilder“, „diente das Bild den Dichtern und Malern nur dazu, abstrakte Begriffe im nachhinein in sichtbare Sprache umzusetzen. Der wahre Dichter hingegen, der wirkliche Künstler, fühlt es in sich auf . tauchen als Antwort auf die Erwartung, ein Verlangen, ein Bedürfnis. Dann, und nur dann ist es eigenständig... Die Kunst ist, im eigentlichen Sinn, jenes Ins-Werk-Setzen: ob nun die Bilder von der Außenwelt dargeboten sind oder unserem geheimen Vorrat entsteigen, gilt gleich, sie sind nur das zur Ausarbeitung in Vorschlag gebrachte Material.“ Diese innere Sprache nun lehrte der romantische Dichter und Künstler, dessen Wirken ein ganz neues künstlerisches Weltbild gebar, in dem das unsere stärker wurzelt, als uns bewußt werden mag. Das romantische Erbe lebt weiter.

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