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Kunst, von der Dampfwalze überfahren

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Wenn man nach der gegenwärtigen Situation der Malerei fragt, wird man zunächst auf zwei einander diametral entgegengesetzte Spielarten des Nihilismus verwiesen werden. Dies nicht, weil sie die wirkliche Situation am treffendsten kennzeichnen, sondern weil sie die augenfälligsten Phänomene zeitigen. Für den heutigen Standort der bildenden Kunst sind sie nur insofern charakteristisch, als sie als Randerscheinungen helfen, seine Grenzen abzustecken.

Die eine Spielart ist die des jede Gestalt und jede bewußte Gestaltung verneinenden Tachismus (der in Oesterreich etwa in Arnulf Rainer einen verspäteten Ableger gefunden hat), die andere ist der Nihilismus des snobistischen Einzelgängers, eines Typs, der bisher in Bernard Buffet seine einzige bedeutende Verkörperung besitzt.

Stellte der „geometrische Stil” eines Mondrian einen in seiner zugleich ärmlichen und strengen Gesetzmäßigkeit nicht mehr zu überschreitenden Endpunkt der Malerei dar (der denn auch rasch auf benachbarte Gebiete der Kunst, etwa die Architektur, einzuwirken begann), so versuchen die Tachisten und Automatisten sich gegen diese Entwicklung aufzulehnen, indem sie ins gegenteilige Extrem verfallen: sie wollen auf der Leinwand ein beziehungs-, ort- und assoziationsloses Chaos herstellen, indem, sie Farbkübel gegen die Unterlage, die längst keine Bildfläche mehr ist, schütten und herabrinnen lassen oder mit breitem Anstreicherpinsel verschmieren.

Ein Chaos könnte an sich Rohstoff sein für eine neue Schöpfung, ein Ausgangspunkt: würden sich die Tachisten und Automatisten nicht mit Händen und Füßen (dem Verstand mißtrauen sie wohl mit Recht) dagegen wehren, diesen Ausgangspunkt zu verlassen. Alles Schöpferische, alles Gestaltschaffen ist ihnen zutiefst verdächtig. Sie verkriechen sich ins eigene chaotische Nichts: nur da fühlen sie sich geborgen.

War die alte abstrakte Malerei nur auf eine Zerschlagung und Auflösung der Gegenständlichkeit, also der sichtbaren Welt gerichtet, so zielt der Tachismus auf eine Zerschlagung und Auflösung jeglicher künstlerischer Form.

Der andere Grenzfall der gegenwärtigen Malerei sind die Bilder Bernard Buffets. Wie die Leinwände der Tachisten sind sie nicht an sich, sondern nur durch ihre Stellung am äußersten Rande dessen, was herkömmlich als bildende Kunst gilt, von Interesse.

Auch sie entspringen in ihrer kahlen, phantasielosen Gegenständlichkeit einer nihilistischen Gesamtgestaltung. Lebensmüdigkeit, Ueberdruß, Langweile, Snobismus, Weltverachtung sprechen aus ihnen. So wie den Tachisten die Gesetzmäßigkeit Mondrians und des „Stijl” einfach „zu fad” wurde, wurde Buffet — und das ist ihm keineswegs zu verargen — die ganze abstrakte Malerei „zu fad”.

Welchem Ausstellungsbesucher geht es nicht ebenso: Abstraktion in der zweiten und dritten Generation, Abstraktion aus dritter und vierter Hand, Abstraktion links, Abstraktion rechts — das muß auch dem aufgeschlossensten Menschen mit der Zeit auf die Nerven gehen. Man sehnt sich nach der guten alten Gegenständlichkeit der Kubisten und Expressionisten, oder nach imaginären Welten, die durch neue Formerfindungen entstehen. Der Durchschnittsbesucher auf jeden Fall möchte endlich wieder auf der Leinwand etwas „erkennen” können — und sei es durch das malerische Temperament des Künstlers noch so „verzerrt”.

Insofern Buffet dieses Bedürfnis richtig einschätzte, ist er ein echter Modemaler und wird als solcher eine Zeitlang „modern” gelten. Der junge Maler, 1928 in Paris geboren, hält sich heute neben einem Kammerdiener einen Rolls Royce und etliche andere Wagen; Magazine und Illustrierte haben ihm rasch zur Berühmtheit verhülfen. Er ist gut ins Geschäft gekommen. Die Nachfrage ist so groß, daß er täglich mindestens ein Bild malen muß. Das fällt ihm nicht schwer, denn ein Bild in seiner resignierenden Wiederholung von schirmlosen Lampen, vorhanglosen Zimmern, leeren Pfannen und halbleeren Aschenbechern kostet ihn nicht viel mehr Anstrengung, als die Tachisten darauf verwenden, auf der Leinwand einen Farbkomplex herzustellen.

Nach der Generation der großen Pioniere der Moderne, der Picasso und Kandinsky, Braque und Gris, Klee und Marc, Chagall und Matisse und der zweiten Generation redlicher Sachwalter ist nun die ‘ Generation derer zum’ Zug gekommen, die es sich leicht machen. Zu leicht…

Es ist meine Ueberzeugung, daß die Malerei wieder zu einer echten Gegenständlichkeit, also zu einer ‘ neuen Weltbeziehung und Welthältigkeit finden wird: Ansätze sind vielfach nachzuweisen. Die uns gegebene Welt und die uns umgebende Wirklichkeit wird wieder als Aufgabe begriffen werden. Denn Kunst ist ja, in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden, der Versuch, dieser Welt zu ; begegnen, ihr standzuhalten, sie zu deuten und zu läutern, und sie schließlich zu erweitern und transparent zu machen.

Etwas von dieser echten Tendenz zu neuer Gegen- ständlichkeit mag auch Buffet verspürt haben. Aber er wollte auf das, was langsam und im Verborgenen wachsen und reifen muß, nicht warten. Er wollte es sofort haben. Er wollte Ergebnisse, die vielleicht erst in Jahrzehnten da sein werden, vorwegnehmen, sie in einem Schnellsiederkurs gewinnen. Was anderes konnte dabei herauskommen als eine klägliche Frühgeburt?

Bernard Buffet malt am liebsten tote und ausgenommene Tiere, düstere Interieurs, ärmliche Stilleben und immer wieder Selbstbildnisse. Er hat einen deutlichen Hang zur Selbstbespiegelung. Schon die unreife, eckige Handschrift, mit der er seinen Namenszug sehr groß auf jedes Bild setzt, zeigt seinen introvertieren Charakter.

Buffet zeigt uns eine Welt, über die gerade eine Dampfwalze gefahren ist, die sie plattgedrückt hat. Seine Figuren, aber auch die Gegenstände, Tisch, Sessel, Bettgestell, wirken spitzig, dürr, verhungert — alles ist von zerquetschter Hohlheit. Auch die Farben sind ärmlich. Es sind Farben der Dämmerung, kurz bevor šie ganz vergehen und sich endgültig auflösen in Grautönen.

Intellekt, Fleiß, Spürsinn und Anleihen bei den Meistern (wie zum Beispiel Modigliani oder Utrillo) haben eine eintönig-stilisierte Welt geschaffen (richtiger wohl: arrangiert), die einem der Abstraktion entfliehenden Publikum für eine kleine Weile eine Schnaufpause bieten mag. Bleiben wird wenig von diesem Werk; wahrscheinlich nichts.

Neben dem Münchner Kunstverein, der uns an die hundert Bilder von Bernard Buffet in einer gut gehängten Ausstellung präsentiert, liegt die höchst geschmackvoll eingerichtete Galerie Wolfgang G u r 1 i 11. Sie bietet in diesen Tagen eine kleinere und weniger aufregende, dafür aber sehr gediegene Ausstellung von Bildern Eugen Spiros.

Spiro, der heute in Amerika lebt, hat seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in Deutschland ausgestellt: so ist Wolfgang Gurlitt dieses Wiedersehen, das für viele zu einer ersten Begegnung wurde, besonders zu danken. Spiro verkörpert die heute so seltene, beinahe schon fossil anmutende Porträtkunst. Neben den gemalten Bildnissen und einigen duftigen Landschaften stehen die Lithographien, die das Bild berühmter Zeitgenossen bewahren: der Vortragende Thomas Mann, der dirigierende Toscanini — treffliche Beispiele subtiler Charakterisierungskunst.

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