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Die Autonomie der österreichischen Malerei

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Ein bösartiges Vorurteil besagt, daß man die österreichisch Malerei und Graphik unserer Zeit nicht mit strengsten Maßstäben messen dürfe, daß Österreich in diesem Punkte durchaus „Künstprovinz“ sei. Hervorgerufen wurde es durch allzu große Bescheidenheit der Künstler, durch den Snobbismus eines Teiles des Publikums und schließlich durch eine gewisse Spezies von Kritikern, die mit der Mode zu gehen glaubt. Es sitzt fest, dieses Vorurteil, es sitzt sogar in den Köpfen der Künstler fest, was freilich merkwürdig genug ist. Denn wenigstens sie sollten wissen, daß die österreichische Malerei der Moderne und dieser schon „nachmodernen" Jahre jedem Vergleich gewachsen ist — auch mit dem, was Paris, die gefeierte Metropole der zeitgenössischen Kunst, hervorgebracht hat. Was für sonderbare Situation: unsere stärksten Könner schicken ihre besten und letzten Bilder oder Plastiken, ehe sie noch in Wien oder Österreich gezeigt werden, nach Paris, um dort das erste und, wie sie glauben, entscheidende Urteil zu empfangen! Und zweifeln womöglich an sich selbst, wenn die Pariser Kritiker mit diesen ihnen völlig fremden, vielleicht unverständlichen Kunstwerken wenig anzufangen wissen und bestenfalls einige höflich-kühle Worte murmeln ...

Und doch ist die österreichische Malerei — worunter wir hier auch die Graphik verstehen wollen — im Laufe der letzten hundert Jahre kaum durch fremde Einflüsse berührt worden. Im Gegenteil — sie hat die ganze moderne Entwicklung mit Einschluß der „Ismen“ durchgemacht, ohne daß sie jemals vom Auslande Anstoß zu erhalten brauchte, mehr noch, sie hat manche Entwicklungsphasen vorweggenommen, ehe sie anderswo überhaupt noch zur Diskussion standen, wie etwa das Beispiel des Wiener Impressionismus zeigen möge. Der sezessioni- stische Jugendstil, der Wiener Expressionismus, die Malerei dieser Tage — organisch, ohne scharfe Unterbrechung — entwickelte sich völlig selbständig„-eins aus dem anderen.

Zu dieser organischen Entwicklung der österreichischen Malerei gehört eine organische Struktur; sie hat stets Künstlerpersönlichkeiten besessen, die schulbildend wirkten. Nicht, indem sie es kleineren Geistern überließen, aus ihrem Werk kleine Münze zu schlagen oder ihnen ihre eigene Formensprache aufzwängen, sondern, indem sie neue Weg künstlerischer Spekulation eröffneten, auf denen ein anderer weitergehen konnte, indem sie neue Bezugssysteme entdeckten, neue Ebenen erschlossen. Man denke nur an Kubin, den man für einen einzelgängerischen Traumspezialisten halten könnte und der doch Dutzenden junger Begabungen die Richtung gewiesen hat, ohne daß auch nur ine von ihnen der bloßen Nachahmung anheimgefallen wäre; oder an Boeckl, von dem sich ähnliches behaupten läßt.

Ununterbrochene Zusammenhänge der Tradition; die innere, nicht an Formen haftende Verwandtschaft der Zeichner und Maler, die aus der gleichen Schule hervorgegangen sind, eine Anzahl starker Könner und eine Unzahl beachtenswerter Talente: es genügt, um der österreichischen Malerei ein unverwechselbares und eigenartiges Gepräge zu verleihen. Kurz gesagt: Unsere Malerei, unsere Graphik hat einen eigenen, einen österreichischen Stil. Sie ist autonom. Wir wollen die Frage offen lassen, ob es außer Frankreich und Österreich noch andere Länder oder Nationen gibt, die heute noch mit Recht dasselbe von ihrer Malerei behaupten könnten.

Die Meinung, daß unsere Maler die Kunst des Auslandes genau zu beachten hätten, hatte 1945 ihr Berechtigung: ein Abwägen,

ein Vergleichen der gegenseitigen Positionen und des beiderseitigen Niveaus war notwendig. Die Aufforderung hingegen — die bis heute nicht verstummt ist —, von der zeitgenössischen Kunst der Italiener, der Franzosen, der Amerikaner zu lernen, erwies sich als überflüssig. Wenn sie heute noch bisweilen laut wird, muß sie dem, der um die Dinge einigermaßen Bescheid weiß, sogar als peinlich erscheinen. Denn es hat sich deutlich genug gezeigt, daß unsere Maler von außenstehenden Stilen nur wenig lernen können. Was sollten sie beispielsweise von der immer wieder als Vorbild zitierten französischen Malerei dieser Jahre lernen? Gewiß, die Probleme sind hier wie dort die gleichen — aber sie müssen hier wie dort anders gelöst werden, denn es ist nun einmal so, daß der französische Künstler unter anderen Voraussetzungen arbeitet als sein österreichischer Kollege. Er denkt grundsätzlich von der Oberfläche her, er denkt formalistisch und schließt von der äußeren formalen Gestaltung erst auf den Sinn, der vielleicht hinter ihr stecken könnte und auf den zu verzichten er ohne weiteres bereit ist. Die französische Malerei exerziert in Akademien, als die man die letzten

„Ismen" recht gut bezeichnen kann, alle Möglichkeiten der formalen Gestaltung regelrecht durch, ihre Künstler — auch der komplexeste unter ihnen, nämlich Picasso — sind in gewisser Hinsicht Ingenieure und Theoretiker der Form. Dies erklärt unter an- dererfl, warum sie so sehr zum gegenstandslosen Dekorativum neigen, in dem sich jegliches Formexperiment leicht und unbehindert von einem „Sinn“ abführen läßt.

Bei uns geht der Künstler stets vom inhaltlichen Problem aus. Er ist an einer Erkenntnis interessiert. Hat er sie gefunden, so malt er sie oder besser mit ihr — die formale Gestaltung hat sich anzupassen oder ist selbst Folge eines Erkenntnisaktes. Die Neigung zum Dekorativen ist deshalb bei ihm verhältnismäßig gering, sie wurde wohl auch im Jugendstil schon vorweggenommen. Ebensowenig wird unsere Kunst auf das Gegenständliche jemals Verzicht leisten oder seine malerische Variation bis zum „Unverständlichen“ treiben wollen, sicherlich aber jederzeit bereit sein, es nur als äußerliche Figur zu behandeln, die Wichtigeres andeutet.

Damit sind die Unterschiede gerade nur Umrissen; es würde zu weit führen, aufzuzeigen, wie sehr sich nicht nur die grundsätzliche Einstellung , sondern auch di Produktionen der Künstler beider Nationen voneinander abheben. Eine Vermischung ist unmöglich; man konnte das an einigen kleinen Wiener Malergruppen feststellen, die sich unter dem Druck des öffentlichen Vorurteils „Ismen" französischer oder italienischer Provenienz ergeben haben — sie mußten das mit einem raschen Qualitätsverlust teuer bezahlen ...

Die Bedeutung der französischen Malere! sei nicht unterschätzt: wir sind aber überzeugt, daß die österreichische Malerei zwar nicht an Umfang, wohl aber an Qualität als gleichwertig betrachtet werden darf. Für ihr Ansehen und ihren Einfluß ist die Zeit freilich noch nicht gekommen. Aber es scheint bisweilen, daß es nur einer geringen Drehung des Rades der Entwicklung bedürfte, um die österreichische Malerei zu einer in jedem Sinne europäischen zu machen.

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