6562987-1949_15_13.jpg
Digital In Arbeit

Vom Abstrakten zum Abstrusen

Werbung
Werbung
Werbung

Die dreißig französischen Künstler, deren Aquarellen die Akademie der bildenden Künste derzeit Gastfreundschaft gewährt, hängen durchwegs der abstrakten und gegenstandslosen Richtung der modernen Malerei an. Sie sind altersmäßig die Nachfolger jener Generation, der Picasso, Bracque oder Matisse angehören — und Nachfolger sind sie auch im Schöpferischen und in der Erfindung, insofern nämlich, als ie aus dem vielgestaltigen Werk der Vorgänger nur die abstrakte Seite herausgriffen und mit ihr weiterarbeiteten. So wie sie sich uns vorstellen, bilden sie gleichsam eine Schule, eine Akademie der abstrakten Kunst; das Wort vom „abstrakten Akademismus“, das in letzter Zeit aufgetaucht ist, kann auf sie angewendet werden, denn eine gewisse fatale Neigung zum Formelhaften, zur Abwandlung bestimmter Typen, Charakteristika eines jeden Akademismus, ist in der Tat nicht zu übersehen. Das muß nicht unbedingt Schuld der Künstler sein, sondern entspricht vielleicht dem Wesen der Sache selbst; da die abstrakte Kunst nicht mit Begriffen zu tun haben will, kann ie auch keine Werthierarchie bilden, die ja ohne Begriffe nicht möglich ist. Dementsprechend sind im allgemeinen abstrakt Bilder einander ziemlich gleichwertig und eigentlich nur durch die Art des Vortrages unterscheidbar. Die abstrakte Kunst arbeitet wie ein Spielzeugkaleidoskop: die Bilder gleichen einander nie und sind einander immer ähnlich, nicht die schaffende Phantasie, sondern eine schematische Variation immer derselben farbigen Einzelteilchen ist am Werk. Wenn das Kind die Mechanik dieses Vorganges erkannt hat, legt es das Kaleidoskop weg.

Nun hat natürlich, allen Einwänden zum Trotz, die abstrakte Entwicklungsphase der modernen Kunst ihre Berechtigung gehabt und hat sie teilweise noch; sie bietet die Gelegenheit, den Formen und Farben, diesen Bausteinen jeder Malerei, ihre rein quantitativen, beziehungslosen Wirkungen abzulisten, ohne daß sie durch Gegenständliches verändert wären. Die Künstler sammeln hier Kenntnisse und Erfahrungen, die sich erst nach einiger Zeit als fruchtbar erweisen werden. Solchermaßen wird man diese Kunstrichtung — bedeutenderer Ein- zeileistungen unerachtet — nur als interessantes und wahrscheinlich notwendiges Experiment großen Stils werten können. Entscheidendes vermag sie nicht zu leisten, denn da sie Farbe und Form lediglidi als Quantitäten, also von einem materialistischen Gesichtspunkt aus betrachtet, wird sie weder die eine noch die andere jemals vergeistigen oder gar transzendieren können, sehr im Gegensatz zu jener Form der Abstraktion, die, vom Konkreten und Organischen ausgehend, etwa Symbole schafft.

Vielleicht sind nur die Franzosen jener intellektuellen Kälte, jener treffsicheren Formulierung fähig, ohne weldie die abstrakte Kunst nicht zu beherrschen ist. Und außerdem wissen sie, was diese Ausstellung weder einmal bezeugt, daß Raffinement und Eleganz durchaus mit der Vorstellung von künstlerischer Qualität vereinbar sind und unter Umständen sogar das im eigentlichen Sinne des Wortes Nichtssagende abstrakter Aquarelle angenehm verkleiden können.

Unsere Künstler werden sich mit der abstrakten Kunst, wie sie uns die Franzosen vordemonstrieren, sicherlich aüseinander- setzen, und man darf gespannt sein, zu welchen Folgen dies führen wird. Hier und dort haben sie es bereits getan, und es hat sich, was nicht zu verwundern ist, erwiesen, daß die besten Resultate erreicht wurden, wenn sie die Abstraktion dem Gegenständlichen einzuordnen verstanden, sie also nicht als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck auffaßten. Wo sie indessen der reinen Abstraktion huldigten, gerieten sie unvermittelt in dürre Nachahmerei, der noch dazu der Witz und die Eleganz der Franzosen fehlt. Und wo sie schließlich den Drang Zur Spekulation, das Suchen nach Beziehungen, diese Eigenschaften aller nicht romanischen Kunst, in den Dienst der Abstraktion stellten, taten sie unfehlbar den Schritt zum Abstrusen. Einen solchen für einen Kulturpsychologen wahrscheinlich sehr interessanten Fall stellt das Werk dar, das Kurt Steinwendner im Rathausamt für Kultur und Volksbildung zeigt — eine Maschinerie aus Plexiglas, die mit ähnlichen Mitteln wie das bekannte Taylorsche System zur Rationalisierung von Arbeitsvorgängen, nämlich durch farbige Glasplättchen, welche die sich vorwärtsbewegenden Körperteile eines Menschen markieren, eine einfache Bewegung im Raum darstellen will. Wie er sagt, will er damit auf künstlerische Weise eine wissenschaftliche. Erkenntnis sichtbar und deutlich machen — die Abstraktion soll also auf diese Weise in Beziehung zum Leben der Gesellschaft gesetzt, sie soll funktionell werden. Dieser Gedankengang, der das Wesen der Abstraktion ebenso verkennt wie den Zweck des Kunstwerkes und der höchstens einem Erzeuger von Lehrmittelbehelfen Freude bereiten wird, führte notwendigerweise zum Abstrusen, und das, was durch ihn entstand, ist folgerichtig eine Monstrosität. Mit Kunst hat das nichts mehr zu tun, und wenn eine freundliche Kritik angesichts Steinwendnerscher Werke die 15.000 Jahre alten Höhlenmalereien von Altamira und Hoggar (Zentralsahara) zum Vergleich aufruft, so führt sie die ersteren damit besser ad absurdum, als es eine platzraubende Untersuchung all der Trugschlüsse und Fehlspekulationen tun könnte, denen Steinwendner mit staunenswerter Beharrlichkeit zum Opfer fällt.

Im Nebenraum und fern von allen Auseinandersetzungen der zeitgenössischen Kunst hat Arno Lehmann eine Kollektion von Keramiken und Glasschmelzarbeiten ausgestellt, ausgezeidmete und materialschöne Arbeiten, die trotz manchen urzeit- lichen Reminiszenzen durchaus modern wirken: Kunsthandwerk der besten Art.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung