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Zeichen des Glaubens -Geist der Avantgarde

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Anläßlich des 86. Deutschen Katholikentags in Berlin wird in den Räumen der Orangerie des Schlosses Charlottenburg eine große A usstellung gezeigt, die die religiösen Tendenzen in der Kunst der letzten hundert Jahre sichtbar machen will. Die unter dem Titel „Zeichen des Glaubens - Geist der A vant-garde” stehende Ausstellung ist noch bis 13. Juli geöffnet.

Mit der Gestaltung der Ausstellung wurde Prof. Wieland Schmied beauftragt, dem es gelungen ist, zahlreiche Meisterwerke aus den besten Museen Europas und Amerikas und aus Privatbesitz zu gewinnen. Er hat auch ein Begleitbuch herausgegeben, das den Titel der Ausstellung trägt und durch seine Hauptbeiträge, die Texte von Künstlern und die reiche Bebilderung (nahezu 400 Bilder!) wohl für längere Zeit als Standardwerk zu dieser Thematik zu gelten hat (erschienen bei Klett/Cotta, Stuttgart).

Das Verhältnis der Kirchen zur modernen Kunst ist konfliktbeladen. Umso erstaunlicher und erfreulicher ist es, daß diese Ausstellung zustandege-

„Es herrscht das Voruteil, .christliche Kunst'sei zweitrangig.” kommen ist. Schon der Titel „Zeichen des Glaubens - Geist der Avantgarde” weist freilich darauf hin, daß es nicht nur Bezüge zwischen beiden Bereichen, sondern auch Spannungen zwischen ihnen gibt.

Der modernen Kunst sind vor allem zwei Vorwürfe gemacht worden: Formalismus und Anarchie. Beide kommen aus ganz verschiedenen Ecken und beziehen sich auch teilweise auf verschiedene Richtungen. Formalismus hat man vor allem der abstrakten Kunst vorgeworfen, und einige ihrer Theoretiker haben das Ihre dazu beigetragen, daß man ihn erheben konnte. Ginge es der modernen Kunst wirklich nur um Farbe und Form und sonst um. nichts, so hätten jene Kritiker recht, die meinen, solche Kunst sei elitärer Luxus, belanglose Spielerei, die niemanden helfe.

Der Verdacht, moderne Kunst wolle zersetzend wirken, bezieht sich nicht nur auf Dadaismus und Surrealismus, deren Manifeste in der Tat anarchistische Züge tragen, sondern auf die Kunst der Gegenwart als Ganze. Das Schlagwort von der „entarteten Kunst” klingt uns noch in den Ohren. Unterschwellig wirkt es noch heute weiter.

Doch auch die Kunstkritik und der offizielle Kunstbetrieb sind weithin blind gegen das Religiöse in der Kunst von heute. Es herrscht das Vorurteil, „christliche Kunst” sei zweitrangig (was auf die Werke, die im Auftrag der Kirche entstehen, meist auch tatsächlich zutrifft). Wenn man aber sagt, es gebe zahlreiche Hauptwerke der Moderne von hoher Spiritualität und hinzufügt, viele führende Künstler der letzten Jahrzehnte hätten religiöse Intentionen gehabt, so tönt es unisono: das darf nicht wahr sein!

Ziel der Ausstellung ist es, für diesen Tatbestand die Augen zu öffnen. Die Besucher sind gebeten, unbefangen die Augen zu öffnen, ohne Vorurteile anzuschauen, was zu sehen ist. Wir hoffen, daß der unbefangene Blick sich dem öffnet, worum es dieser Kunst - in ihren besten Realisationen - geht: einerseits Ausdruck der Not, der Fragen und Zweifel des Menschen unserer Tage zu sein, seiner Fragen nach dem Sinn des Leidens, des Lebens und des Todes, andererseits Ausdruck seines Versuches, sich in Einklang mit der letzten Wirklichkeit zu bringen, seiner Hoffnung auf Erlösung. Beides sind zutiefst christliche Impulse. Es ist eigenartig, daß man das bisher kaum erkannt hat!

In der Ausstellung sind diese beiden Grundtendenzen mit eindrucksvollen Beispielen repräsentiert. Gleich beim Eingang stößt man auf ein eigens für diese Ausstellung geschaffenes Objekt von Günther Uecker, ein Lebens- und Todesboot, das durch Nägel unbetret-bar gemacht ist, daneben zwei Balken, die sich zu einem Kreuz zusammenfügen lassen. Es weist auf die Situation des beschädigten, bedrohten Menschen hin. Kaum ein größerer Gegensatz dazu ist denkbar als die großen Farbtafeln von Mark Rothko im Eingangsraum, der dadurch geradezu die Festlichkeit einer Kapelle erhält, Rothkos eigenartig vibrierende, atmosphärische Farbräume wirken wie abstrakte Ikonen, Bilder einer bildlosen Wirklichkeit, Lichtschiefer vor dem Absoluten.

Am Eingang der beiden Teilbereiche der Ausstellung zur Linken und zur Rechten des Rothko-Raumes ist jeweils eine Plastik postiert, die sozusagen wegweisenden Charakter hat. Links findet sich „die Hand Gottes” von Auguste Rodin, aus der nicht nur die Materie, sondern auch ein Menschenpaar hervorgeht. Diese expressive Geste weist in den Teil der Ausstellung, der Werke zeigt, in denen das Ausdrucksmoment führend ist. Das sind die zeitlich früheren Arbeiten - aber keineswegs ausschließlich. Die Linie wird bis zur unmittelbaren Gegenwart durchgezogen.

Am Eingang der Räume zur Rechten ist der wie ein Pfeil nach oben zielende „Vogel”, eine Bronze von Constantin Brancusi, aufgestellt. An ihm vorbei führt der Weg zu den Werken meditativer Strahlkraft, anfangend mit Bildern von Paul Klee, Alexej Jawlensky und Oskar Schlemmer und ebenfalls bis zur unmittelbaren Gegenwart führend.

Es ist unmöglich, hier auf die über 300 Exponate im einzelnen einzugehen. Nur auf einige „Highlights” sei hingewiesen. Der zeitliche Beginn wird mit Gauguin, von dem die „Polynesische Weihnacht” zu sehen ist und mit den Symbolisten, gesetzt, mit Werken von Maurice Denis, Paul Sarusier und Gustave Moreau. Mit ihnen hat ja der Aufstand gegen die Oberflächlichkeit

„Es ist auffällig, wie viele

Österreicher in dieser

A usstellung vertreten sind.” des Naturalismus und die Hinwendung zum Religiösen begonnen.

Das war in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also vor nahezu hundert Jahren. Van Gogh ist mit der Piet'a nach Delacroix repräsentiert, einem der wenigen Bilder mit einem religiösen Sujet, das er gemalt hat. Offensichtlich hatte er eine große Scheu, in religiöse Klischees zu verfallen, die damals (und zum Teil heute noch) die „christliche” Kunst verdarben. Dennoch wirken seine Bilder allesamt religiös; sie sind von einem Licht durchstrahlt, das ihnen eine andere Dimension verleiht.

Einer der Höhepunkte der Ausstellung sind drei Bilder von Emil Nolde. Auch bei ihm sind Farbe und Licht Hauptausdrucksmittel; sie geben seinen Bildern etwas Visionäres. Immer wieder stellt er Christus mit den Jüngern dar: wo er gegewärtig ist, strahlt sein Licht auf alle aus, die sich davon erfassen lassen. Nolde, der von sich sagte, er habe „ein unwiderstehliches

Verlangen nach Darstellung von tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit”, hat echte Erlösungsbilder unserer Zeit geschaffen, voller Hoffnung und Freude.

Dasselbe gilt von Georges Rouault: bei ihm sind nicht nur die großen Christusdarstellungen, sondern auch die Landschaften so in erlösendes Licht getaucht, daß aus jeder von ihnen eine „Paysage biblique” wird.

Im Gegensatz dazu hat Corinth Bilder der Passion Christi geschaffen, die das Schreckliche des Leidens zu Darstellung bringen. Fast gespenstisch wirkt die Kreuzabnahme von Beckmann, wo der fahle, erstarrte Leichnam Zeichen eines Endes, nicht neuer Hoffnung zu sein scheint. Noch schockierender sind freilich Werke aus den letzten fünfzehn Jahren: bei Francis Bacon ist Jesus am Kreuz nur noch ein Klumpen Fleisch, aus dem ein Schrei klingt; bei Baselitz und Schönebeck ist er verstümmelt bis zur Unkenntlichkeit.

Der zweite Teil der Ausstellung ist, wie gesagt, der stärker abstrahierenden, meditativen Kunst gewidmet. Auf Werke der klassischen Moderne von Jawlensky, Klee, Kandinsky und Schlemmer folgen die großen monochromen Tafeln von Yves Klein. Die Kreuzesübermalungen von Arnulf Rainer sind Bildern von Tapies gegenübergestellt. Auf die stillen Bilder von Mark Tobey folgt ein eigener Raum mit dem Kreuzweg von Barnett Newman, der zum erstenmal in Europa gezeigt wird, in der Stadt, von der das Unheil ausgegangen ist, das den Juden Newman bitter berührt hat. In den großen Tafeln geht es um den Kampf von Licht und Finsternis; am Ende steht der Sieg des Lichtes.

Dieser Raum gehört zu den absoluten Höhepunkten der Ausstellung. An Werken von Graubner, Vostell, Bissier, Albers, de Maria und Ad Reinhardt vorbei führt der Weg zu einem Environment von Beuys, das nicht zu seinen überzeugendsten gehört.

Es ist auffällig, wie viele Österreicher in dieser Ausstellung vertreten sind: nicht nur Kubin, sondern auch Fuchs, Hausner, Hrdlicka, Pichler und Rainer. Der Gründe dafür gibt es sicherlich viele. Einer davon heißt: Otto Mauer. Auch Wieland Schmied fühlt sich ihm verpflichtet. Im Einverständnis mit allen Mitarbeitern hat er diese Ausstellung seinem Andenken gewidmet.

(HS-Prof. DDr. Günter Rombold leitet das Institut Tür Philosophie und Kunst der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese Linz.)

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