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BOECKLS GRAPHISCHES WERK

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Zeichnungen und Aquarelle Herbert Boeckls nehmen in seinem Oeuvre einen so bedeutenden Platz ein, daß sie gesondert betrachtet werden können. Denn auch in ihnen geschieht eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Natur, und auch in ihnen ringt der Künstler mit den Problemen von Form und Raum. Sie begleiten und kommentieren nicht nur seine Bilder, sie sind wesentliche Bestandteile seiner gesamten künstlerischen Existenz. Schon die Land-schaftszeichnungm des Jahres 1919 offenbaren die Qualitäten Boecklscher Zeichenkunst, seines Werkes überhaupt. Die Motive werden in der skelettierten Struktur, dem elementaren Rhythmus erfaßt, und in wenigen sich überschneidenden Kurven wird die saugende Tiefe des Raumes suggeriert. Man ist nicht nur von der spontanen Leidenschaftlichkeit des Vortrags fasziniert, der in wenigen wesentlichen Andeutungen, zeichenhaften Vereinfachungen, an die Grenzen des Gegenständlichen so weit vordringt, daß man einer freien, melodischen, gegenstandslosen Komposition gegenüberzustehen meint, sondern auch von der Kühnheit des jungen Künstlers, seiner bestimmten und souveränen Freiheit gegenüber der Natur, der es gelingt, die prekäre Balance zwischen subjektiver Erregung und objektiver Gesetzmäßigkeit der Zeichnung zu halten. In diesen Blättern, die man mit den lyrischen Improvisationen Kandinskys vergleichen kann, offenbart sich bereits auch die ganze feinnervige Sensibilität des Künstlers, die Empfindsamkeit des Malers, der in den Modulationen der Linie und in den Abstufungen des Schwarzweiß, Licht, Farbe und Atmosphäre verdichten kann, ohne daß sie das Hauptthema der Darstellung bilden.

Die Akte des gleichen und der darauffolgenden Jahre zeigen bereits die ersten Ansätze des tektonischen Gefühls des Künstlers. Wie der Hals etwa als Säule empfunden wird, die Verschiebung des Beckens im Standmotiv genau ausgewogen erscheint, die einzelnen Formabschnitte lagisch und plastisch ineinandergreifen, in wenigen subtilen Linien und Wischern die Gestalten in ihrer lichtumflossenen Körper-haftigkeit deutlich werden, das ist bereits in aller spielerischen Eleganz, die nie zur Verspieltheit und zum ästhetischen Selbstzweck wird, eine reife Leistung zeichnerischer Darstellungskunst.

In Berlin, anläßlich des Aufenthaltes im Jahre 1922, entstehen Zeichnungen, bei denen die Rohrfeder mit wilder Energie das Blatt gliedert, in rhythmischer Tektonik das Blatt mit waagrechten und senkrechten Energiebündeln teilt, bedenkenlos Tusche verspritzend und klecksend. Die Begriffe Mauer, Wand, Haus werden in diesen Stadtlandschaften in ihren grundlegenden Bestimmungen umrissen, und wer, die dann entstehenden Bilder kennt, findet in der,Zeichnung die gleichen ordnenden Kräfte wieder, die sich in den kleinformatigen Bildern mit dem märchen- und juwelenhaften Leuchten der Farben paaren.

Sizilien bringt dann 1924 nicht nur in der Malerei eine Verfestigung der Formanschauungen des Künstlers. Alles, was er bis dahin fühlend geahnt und ahnend erfühlt hatte, wird unter der südlichen Sonne und auf antikem Boden zur sichtbaren Gewißheit. Einfach bauen sich die Stilleben nun auf mit deutlichem Gefühl für Kontrapunkt. Die Formen sind nun noch größer gesehen. Sie wirken mehr denn überlebensgroß, streng unnahbar, ehem und ewig. Diese Anschauung gibt ihnen eine unheimlich berührende Erhabenheit, die sich mit der noch heftiger das plastische Leben umreißenden Linie vereint, die man förmlich mit Gewalt in den Raum dringen sieht. In den Landschaftszeichnungen werden die dominierenden Linien, die das Motiv und den Raum bestimmen, mit geradezu eherner Kensequenz gesucht, betont durchgezogen und zueinander in einfache Ordnungsbeziehungen gebracht. Die statischen und architektonischen Elemente der Landschaft sind aller Zufälligkeit entrissen, gereinigt, gesäubert und anschaulich gemacht. Ein ganz helles, klares Licht liegt über diesen Zeichnungen: das klare Licht klassischer Frühe, der Morgen einer von Meeresluft durchwehten antiken Landschaft. Natur und Menschenschöpfung verwachsen dabei oft zu einem tektonischen Gebilde, werden von den gleichen Kräften bestimmt gesehen und dementsprechend geformt. Maß und Proportion leiten den feinen Rhythmus der Formen, deren subtile Verkantungen und Verschneidungen den Zeichnungen ein in dauernder dynamischer Beweglichkeit befindliches labiles Leben verleihen.

Von der besonders in Sizilien erworbenen gesteigerten Formanschauung künden dann die späteren Zeichnungen bis 1929. In massiger Selbstverständlichkeit umreißt oft der in verschiedensten Stärken angesetzte Strich Kopf oder Gestalt, dabei in einfachen Begriffen gliedernd. Die plastische Form wird nun so knapp und wesentlich gesehen wie die sizilia-nische Berglandschaft — einfach, bestimmt und klar. Alle ist auf das Wesentlichste reduziert, ja mit geradezu archaischen Darstellungselementen angereichert, die auch im Spätwerk Boeckls auftauchen und damit eine Verbindung zum Frühwerk herstellen.

In den Jahren bis 1930 meldet sich in den Zeichnungen aber auch schon die spezifische Dynamik, die in diesen Jahren die Bilder erfaßt und die sich in ihrer größeren farbigen Differenzierung, der aufgelockerten Form und Bewegtheit kundtut. In den Zeichnungen deutet sich selbst in der Schwarzweißdarstellung das neue Verhältnis zum Licht, zum Raum und zur Farbe an, die Formen werden noch knapper, mit fast gotischer Herbheit charakterisiert und verdichtet. Diese Art der Formulierung kennzeichnet auch das „Anatomische Skizzenbuch“ von 1931 (in der Albertina), in dem die Körper manchmal in starker Verkürzung gegeben werden. Wie Billardkugeln wölben sich da manchmal die Hirnschädel; die Leiber liegen wie volle Säcke, und dürre Beine stoßen wie Holzscheite in den Raum hinein. Deutlich ist in diesen Zeichnungen schon das Bestreben zu spüren,bei aller Wahrung der „Treue“ zur Natur durch die Betonung ihrer plastischen Elemente ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen, das der Künstler in der Gleichnishaftigkeit ihrer Formen sieht. Dadurch, daß er Leiber wie pralle Säcke, Beine wie Scheite und Schädel wie Billardkugeln empfindet und dieses Gefühl durch die prägnante Ausformung des Wirklichkeitsbildes in der Umsetzung auf dem Zeichenblatt verstärkt, erweitert er auf fast oder scheinbar unmerkliche Weise unseren eigenen Vorstellungsbereich. Die Form wird so gewissermaßen zum Träger einer Metapher; ihre vielfältigen Bedeutungen und Beziehungen werden sichtbar gemacht und zugleich erläutert.

Viele Aktzeichnungen entstehen in den dreißiger Jahren, die immer wieder mit wenigen Linien Plastizität und Form suggerieren; herrliche Architekturzeichnungen, die die Liebe des Künstlers zur Architektur verraten, und Landschaften, die immer wieder die imanente Tektonik unter der Vegetation aufzeigen.

Die Zeichnungen der letzten Epoche sind weniger zahlreich geworden, sie demonstrieren aber eindringlich, welche Verdichtung auch in ihnen, verglichen mit dem übrigen Werk, erreicht wurde. Die Erzberglandschaften führen nun bei aller Beibehaltung der plastischen Form dais Motiv der künstlerischen Verwandlung noch deutlicher durch, und auf einer Tuschzeichnung erscheint der van oben gesehene Berg wie ein gefalteter Rock, eine Kasel, und wird damit zum schlagenden Beispiel, wie Herbert Boeckl zu dieser Zeit durch die imaginative Transposition eines Natureindruckes auf die Fläche das Sehbild zum Gleichnis erweitert und zur Demonstration der inneren Anschauung macht.

Im Gefolge der Arbeit in Seckau und am Gobelin entstehen ganze Reihen von Studienblättern, leicht hingezeichneten Improvisationen, die einerseits menschliche Gestalten — Mönche — mit Architekturelementen verbinden, anderseits phantastische Formphantasien darstellen. Aus der Natur stammende Formen, Blatt und Blütenelemente, Kristallines, Organ- und Tierformen werden in seinem dauernd wechselnden Spiel miteinander kombiniert und meist um eine symmetrische Achse angeordnet. Ganz nebenbei entsteht so eine Reihe von Formversuchen, die einer abstrakten Kombinatorik — die aber 6tets auf die Natur Bezug nimmt — gleichkommt. Sie zeugt Fabelwesen und nie gesehene Blüten und Pflanzen, Gebilde, die manchmal aus dem Werk von Hieronymus Bosch zu stammen scheinen: ein phantastisches Kompendium, in dem den Ausdruckselementen, der Aussage der verschiedensten Formmöglichkeiten spielerisch und doch mit tiefem Ernst nachgegangen wird. Es sind die Randglossen einer unermüdlichen Phantasie und eines nie erlahmenden Schaffensdranges, der sich damit eines Formrepertoires versichert, das sich in den Details des Freskenwerkes, der Gobelins, des Tryptichons und der Bilder niederschlagen wird. Auch diese Blätter sind von der Idee der Metamorphose getragen, in den sich immer wieder erneuernden Kombinationen, in denen sich die verschiedensten Elemente verbinden,suchen und finden, das Assoziative der abstrakten Form auf seine Tragfähigkeit hin untersucht und abgetastet wird.

Einiges wäre noch zu den Aquarellen der letzten Epoche zu sagen. Immer wieder greift Herbert Boeckl in dieser Zeit zu jenem so unendlich schwierigen Medium, um vor der Natur und vor Kunstwerken seine Gestaltungsmöglichkeiten zu erproben. Das kann kein Zufall sein. Die Transparenz der Aquarellfarbe, die den weißen Grund des Papiers durchwirken lassen soll, die Spannungen, die sich auf dem Blatt schon aus der Setzung von Flecken ergeben, stellen eine äußerste Herausforderung an die Konzentration, die handwerkliche Geschicklichkeit und die Imagination des Künstlers dar, der gezwungen ist, in stets unwiderruflichen Setzungen aus einem kontrollierten lyrischen Impuls heraus zu handeln. Das Aquarell fordert ein Äußerstes an Verdichtung, knappster Mitteilung und absoluter Reinheit der Mittel. Boeckl erprobt sie in dieser Phase alle. Strukturen und Flecken werden genauso verwendet wie die rein flächig hingehauchte Farbe, um einen verwandelten Natureindruck wiederzugeben. Aus der souveränen Verwendung von Lasuren entstehen herrliche Blätter, wie etwa der „Erzberg“ oder die dekorativeren Gesetzen folgenden Landschaftsabstraktionen, die poetische Gleichnisse für Empfindungen werden. Die Blätter, die gleichzeitig mit den „Alten Mühlen“ reifen, zeigen hingegen eine immer stärker werdende Konzentration auf das Wesentlichste der Formelemente, die in wenigen Farbflecken und Farbformen, die sich rhythmisch auf das Papier verteilen, gegeben werden. In ihren Spannungen erinnern sie ganz fern an Kandinsky, und zwar darin, wie der elementare Ausdruck der Formen, die hier aber Raum und Natur suggerieren sollen, gegeneinander als Kontrapunkt und Kontrapost erlebt wird, und in der letzten poetischen Reinheit der Farbwerte, die nun chromatische Klarheit erreicht hat. Damit schließt sich ein Kreis.

Die Bedeutung der Aquarelle ist auch im Hinblick auf die Arbeit in Seckau und am Gobelin nicht zu unterschätzen. In ihnen vollzieht sich die Lichtung und Säuberung der Farbe zu höchster Transparenz, und die mit äußerster Delikatesse verwendeten Lasuren geben auch dem Freskenwerk an entscheidenden und weiten Stellen seine raffiniert schwebende Farbigkeit. Genauso wie die Aquarelle verlangten die Fresken schon rein technisch die unmittelbare Setzung der Farbe und der Form im ersten Anlauf. In einem gewissen Sinn sind damit die Techniken wesensverwandt, auch in der Art, wie die Mauer durch die Freskofarbe durchwirkt, sie beleben und steigern kann. Beide Möglichkeiten wurden von Herbert Boeckl bis in ihre letzten Möglichkeiten, in ihrer ganzen poetischen Kraft ausgeschöpft und gemeistert

Auch. in die Ölbilder hinein wirkt das, was der Künstler im Medium der Wasserfarben erlebte und erkannte. Auch in ihnen ist der Farbauftrag stellenweise sehr dünn und schwebend geworden; auch sie wurden von der in ihnen vorbereiteten Aufhellung ergriffen und gestaltet. Damit schließt sich zeichnerisches und malerisches Werk in der letzten Epoche erneut zu einer überzeugenden Ganzheit, in der in einer geschlossenen Vorstellung einem letzten Ziel zugestrebt wurde.

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