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"Reise ins Ich": Selbstbildnisse in der Sammlung Essl.

Werkgewordene künstlerische Selbstbefragung zeigt die Ausstellung "Reise ins Ich" in der Sammlung Essl in Klosterneuburg. 22 Künstler reflektieren in 78 Werken ihre Rolle in der Gesellschaft auf sehr unterschiedliche Weise. "Wer bin ich?" - diese Urfrage nach dem Sinn des Seins hat in der brüchig gewordenen globalisierten Welt Hochkonjunktur. Wo sich Grenzen auflösen und Sicherheiten schwinden, wird als letzte Bastion das Innere erstürmt. Künstler sind dauernd der Zerreißprobe zwischen ihrer ureigensten Ausdrucksform und den Anforderungen eines unerbittlichen Kunstmarktes ausgesetzt.

Francesco Clemente sieht Malerei und Zeichnung als Fortsetzung des Körpers, in sensiblen, farbenfrohen Aquarellen schafft er sich immer wieder neu: als traurigen Clown, negroid mit Totenschädel am Kopf. Er will den Raum zwischen innen und außen fassen, eine innere Weltlandschaft ergründen. Seine Selbstbildnisse entstehen ohne Spiegel, die leichte Aquarelltechnik entspricht der Fragilität der Haut, die die Grenze zwischen innen und Außen bildet. Voll Kraft und Originalität sind die Körperbilder der Maria Lassnig, die unerbittlich konsequent ihren eigenen Weg verfolgte. "Ich habe gemerkt, dass der Körper beim Denken stört, weil man immer Bedürfnisse hat. Der Bauch tut weh, oder man hat Hunger. Das ist das Wirkliche. Es ist eine existentielle Geschichte. Es ist auch ein sehr österreichisches Problem. Seit Egon Schiele beschäftigt man sich mit dem Körper und seiner Zerstörung. Diese Egomanie, das In-sich-Hineinschauen, ist typisch." Neue Dimensionen hat Lassnig dem Thema abgerungen, sei es mit "Woman-Power", wo sie dynamisch als Superwoman zwischen Wolkenkratzern auftaucht oder dem sehr witzigen "Sesselselbstporträt".

"Stuhlkörper" gibt es auch bei Judith Zillich: "Das Anziehende an dem Medium ist für mich das Unzeitgemäße: die zeitaufwändige Herstellung eines nicht reproduzierbaren Einzelstücks." Zillich wendet in ihren Selbstdarstellungen alte Maltechniken zeitgemäß an. Mit dem eigenen, dargestellten Körper geht sie sehr behutsam um. "Mein Leben und meine Wahrnehmung will ich mit Hilfe von Malerei verdichten. Selbstthematisierung steht in Spannung zum Widerwillen und der Angst vor Selbstprostitution."

Valie Export, die Pionierin der Video-und Filmkunst, betrachtet sich in "Touching. Body Poem" von unten: auf vier Monitoren schreiten zwei Füße. "Ich benutzte Film und Video, was mir am wichtigsten war, ich beschäftigte mich mit dem Körper", sagt sie. Der eigene Körper steht auch im Mittelpunkt der Arbeiten von Elke Krystufek. "Ich verwende eine ähnliche Strategie wie jene Medien, die den Körper zu Werbezwecken einsetzen", sagt sie. Ihr Blick auf sich selbst ist ein voyeuristischer, sei es mit Videokamera oder mit dem Pinsel. Sie setzt sich und ihren Körper der Öffentlichkeit aus, enthüllt sich schonungslos, macht sich zum Modell und behält doch Distanz. Die vors Auge gehaltene Kamera ist in "Imperial Palace - Las Vegas" zu sehen. So richtet Krystufek ihr Objektiv auf den Betrachter zurück. "Ich verwende meinen Körper als Form des Dialogs mit der Gesellschaft und spiegle diese Realität." In "Leopard Lily" oder "My Picabia" ist es eine stark von den Oberflächenstrukturen des Bildgrundes geprägte.

Strukturen durchfurchen zunehmend das große, realistisch dargestellte Gesicht des Künstlers Chuck Close. Auf einem schwarzweißen fotografisch genau dargestellten Bild ist er sofort zu erkennen, die anderen muss man aus Distanz betrachten, um das Gesicht dahinter zu sehen. In der Nähe löst es sich in unzählige, kleine, unterteilte Quadrate auf. "Wir haben nicht das Gefühl, dass wir Inspiration brauchen. Wir glauben, dass wir uns nach innen wenden müssen, um die Gefühle und Gedanken in uns selbst zu finden," sagt Gilbert vom Erfolgsduo Gilbert&George. Die beiden haben sich überdimensional in ihre bunte, assoziationsreiche Popwelt gestellt. Trister und destruktiver sind die Selbstdarstellungen von Günter Brus, unbarmherzig verfährt auch Martin Kippenberger mit sich selbst.

"Kein Weg ist zu weit, um zu sich selbst zu finden", sagt Oswald Oberhuber. "Ich als Kind" ist eines der Bilder, das als dokumentiertes Wegstück zu sehen ist. Ein deformiertes, schreiendes Etwas mit weit aufgerissenem Mund in poppigen Farben. "5 x Ich" und "Selbstporträt" zeigen in weißer, reduzierter Malerei den Erwachsenen, distanziert und selbstbewusst. Verschwommen sieht sich Siegfried Anzinger auf der Wand gegenüber. Narzisstisch dagegen Christian Ludwig Attersee: "Die Bilder sind für mich wie Bühnen", inszeniert er sich in "Freund Attersee" wie eine Pop-Ikone mit Schmachtblick und Langhaar. Ein anderer Meister der Selbstübermalung ist Arnulf Rainer: "Eine Menge dubioser personeller Ebenen spielen bei mir eine Rolle: Imageschmäh, Schmierenschauspielerei, Ambivalenzgetue, Selbstwiderspruch, Überraschungssucht, Spiegelfaxen, bildnerische Hochstapelei," die Unmenge seiner originellen Wortgebilde sei hier abgeschnitten. Das wesentliche: "Mich selbst zusammenzuklauben, mich selbst zusammenzukleben."

Ein traumatisches Lebensschicksal hat Zoran Music gezwungen, behutsam in seismographisch zarten Strichen das Eigene zu fassen. Nicht den Körper, eine innere Welt malte er in ungemein stimmungsvollen, berührenden, verschwommenen Arbeiten. Ein fragiler Mensch versucht sich durch sorgsame malerische Aufzeichnung seelischer Erschütterungen zu vergewissern, dass er noch lebt. Zoran Music hat Dachau überstanden. "Meine Bilder entstehen aus mir selbst, aus der Erinnerung. Ich muss verarbeiten, was in mir steckt. Ich male keine Porträts - warum auch? Meine Wesen entstammen dem Inneren."

Der Blick auf die "Reise ins Ich" ist wie die bildnerische Lektüre in veröffentlichten Tagebüchern, ein Stück Anteilnahme an fremdem Erleben, eine Gratwanderung zwischen intim und öffentlich. Kunstsammler Essl: "Sich mit Kunst zu beschäftigen, bedeutet, sich auf die Reflexionen anderer einzulassen, selbst dann, wenn die eigene Position dadurch hinterfragt und notfalls korrigiert werden muss. In diesem Sinn habe ich Kunst als Bereicherung und Erweiterung meiner Persönlichkeit erlebt." Die "Reise ins Ich" in Klosterneuburg sollte man auf alle Fälle antreten, sie ist auch eine Reise ins eigene Selbst.

Bis 3. Februar 2002

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