6746252-1967_09_14.jpg
Digital In Arbeit

ZEITLOSE EXPRESSION

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem vollendete in Innsbruck der akademische Bildhauer Prof. Pontiller sein 80. Lebensjahr. Wenn man sein reiches Lebenswerk überblickt, wird man feststellen, daß Pontiller zu allen Zeiten seines Wirkens als durchaus moderner Künstler angesprochen werden kann. Und tatsächlich hat es dieser Bildhauer verstanden, stets den Forderungen der jeweils zeitgenössischen Plastik gerecht zu werden und die in der Zeit wirksamen Strömungen und Tendenzen aufzuspüren und zu verarbeiten. Es ist ihm dies gelungen, ohne daß er sich jemals kurzlebigen stilistischen Experimenten verschrieben hätte. In jeder seiner Arbeiten ist das solide handwerkliche Können spürbar sowie die ernsthafte und konzessionslose Auseinandersetzung mit der plastischen Gestaltung im Hinblick auf eine konsequente und kontinuierliche persönliche Entwicklung.

Pontillers Schaffen umfaßt im weitesten Sinne jenen zeitlichen Bereich, in welchem in der europäischen Kunst die vielfältigen Erscheinungsformen des Expressionismus wirksam sind. Zugunsten des künstlerischen Ausdrucks und einer autonomen Wirkung des Werkes erfahren in dieser Zeit die naturalistischen Tendenzen insoferne eine Veränderung, als die Natur nicht mehr das unmittelbare Vorbild abgibt, sondern gleichsam nur ein Medium zur Gestaltung abstrakter Begriffe darstellt. Der seelische Ausdruck, das Aufzeigen emotionell bedingter Werte überwiegt die Forderung nach wie immer gearteter natürlicher, topographischer Erkennbarkeit. Pontiller hat jedoch im Rahmen des Expressionismus niemals die völlige Abkehr von der Natur vollzogen oder durch Zerstörung der Form die naturgesetzliche Ordnung aufgehoben. Für ihn bleibt, wie für alle großen Künstler des Expressionismus, die Natur Ausgangspunkt und Voraussetzung einer neuschöpferischen Gestaltung. Die menschliche Gestalt, als Hauptanliegen von Pontillers Schaffen, bleibt in ihrer anatomischen Funktion unangetastet, sie wird aber erfüllt von einem starken inneren Leben und sie wird zum Träger transzendenter Stimmung.

Diese Grundhaltung zeichnet Pontillers Gesamtwerk aus. Durch die persönliche Entwicklung freilich kann man auch einen stilistischen Wandel feststellen. Bereits bei den frühesten Arbeiten, wie etwa dem überlebensgroßen, in Holz gearbeiteten „Waffenschmied“ in Steyr, spürt man Pontillers Bekenntnis zur individuellen Existenz des Menschen. Und in den späten Arbeiten, zum Beispiel dem 1966 entstandenen Selbstporträt, liegt, wohl gesteigert, dieses gleiche Bekenntnis vor. Gleich, ob es sich um die Gestaltung eines religiösen oder profanen Motives handelt, stets ist eine fast heilige Ehrfurcht vor dem Menschen deutlich.

Pontiller weist eine vielseitige Begabung auf. Er arbeitet gleichermaßen in Stein, Bronze und Ton, und er beherrscht die Freiplastik genauso wie das Relief. In seinen Werken zielt der Künstler nicht nur auf die plastische Erfassung und die Wirkung des Volumens hin, sondern er läßt auch die Silhouette als wesentlichen Akzent mitsprechen. Oft ist es so, daß die Kontur ein fast autonomes Eigenleben führt. Er vermag seinen Arbeiten auch eine starke Spannung zu geben, etwa bei der 1955 entstandenen Bronzestatuette der „Europa“. Psychologische Momente finden ihren Ausdruck sowohl in den Physiognomien wie auch in Haltung und Bewegung der Figuren. So ist die „Madonna aus der Gedächtniskapelle am Bergisel“ in ihrem Ausdruck ganz nach innen gerichtet, während die Beziehung zum Betrachter durch den Gestus des Jesuskindes vermittelt wird.

Größte Beachtung verdienen die ins Monumentale gesteigerten Werke, der 1955 geschaffene „Schmerzensmann“ (Holz) und die 1954 entstandene „Große Pietä“ (Holz). Ergreifend ist die Verlassenheit des Schmerzensmannes, und die Zeitlosigkeit der Pietä erreicht die Herbheit vorgotischer Werke.

Immer wieder erscheint im Oeuvre des Künstlers der weibliche Akt. Er liegt in großformatigen Arbeiten wie in Kleinplastiken vor. Stets aber steht hier trotz aller Zusammenfassung der Formen eine große Ehrlichkeit der Wirklichkeit gegenüber im Vordergrund. Der Künstler verzichtet auf jeden Effekt, die Bewegungen und Haltungen der Akte sind ruhig und selbstverständlich, die Details der großen Konzeption untergeordnet. — Ein Gebiet, in dem sich Pontiller immer wieder bewegt, ist die Bildniskunst, Trotz vielfacher Vereinfachung wird er seinen Modellen gerecht, indem er die äußere Erscheinung wahrt, zugleich aber auch in die psychischen Bezirke des Dargestellten einzudringen weiß. Er erfaßt den Menschen nicht in einer einmaligen und bestimmten Situation, sondern verleiht ihm eine größere Gültigkeit, indem er nicht typisiert, sondern die individuellen seelischen Strukturen in der Physiognomie aufscheinen läßt.

Allen seinen Arbeiten ist die Stille und Unaufdringlichkeit eigen. Die selbstverständliche Art der Darstellung entspricht dem innersten Wesen von Professor Pontiller, der um die Schattenseiten des Lebens weiß und auch den menschlichen Unzulänglichkeiten des Lebens Verstehen entgegenbringt. Die Schwermut in seinem Werk ist nur eine scheinbare — viel deutlicher spricht eine befreiende Resignation aus den Schöpfungen des Künstlers, der voll Vitalität und Schaffenskraft noch immer aktiv an der Gestaltung des kulturellen Bildes des heutigen Tirol teilnimmt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung