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Weisheit der Heiterkeit

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Ernst Schönwiese, Lyriker, Essayist, Erzähler, Übersetzer, Herausgeber einer Literaturzeitschrift, Verleger und Rundfunkfachmann, entstammt einer Generation, der Spezialisierung ebenso fremd ist wie die Anfälligkeit für Schlagwörter der Mode, für literarische Knüller. Deswegen geht es nur schwer an, das Werk des am Dreikönigstag des Jahres 1905 in Wien Geborenen einfach als engagierte Literatur zu bezeichnen. Und doch durchzieht alle seine Arbeiten unverkennbar das Bemühen um Gestaltung des Menschen nach humanistischen Grundsätzen und Idealen. Vielfältig sind seine Tätigkeiten. An den Wiener Volkshochschulen unterrichtete er nach Absolvierung seiner Universitätsstudien als Dozent; gleichzeitig hat er Eingang in den Kreis um Franz Blei gefunden, gibt auf dessen Anraten ab 1935 die Zeitschrift „das silberboot” heraus, dessen eminent politischer Auftrag es ist, deutschen Abonnenten die damals bereits verbotene Literatur wieder zugänglich zu machen; in einer Anthologie sammelt er Gedichte der im Jahr ihres Erscheinens noch kaum bekannten Dichter Hermann Broch, Benno Geiger, Robert Musil, Heinz Politzer und Ernst Waldinger.

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Ernst Schönwiese, Lyriker, Essayist, Erzähler, Übersetzer, Herausgeber einer Literaturzeitschrift, Verleger und Rundfunkfachmann, entstammt einer Generation, der Spezialisierung ebenso fremd ist wie die Anfälligkeit für Schlagwörter der Mode, für literarische Knüller. Deswegen geht es nur schwer an, das Werk des am Dreikönigstag des Jahres 1905 in Wien Geborenen einfach als engagierte Literatur zu bezeichnen. Und doch durchzieht alle seine Arbeiten unverkennbar das Bemühen um Gestaltung des Menschen nach humanistischen Grundsätzen und Idealen. Vielfältig sind seine Tätigkeiten. An den Wiener Volkshochschulen unterrichtete er nach Absolvierung seiner Universitätsstudien als Dozent; gleichzeitig hat er Eingang in den Kreis um Franz Blei gefunden, gibt auf dessen Anraten ab 1935 die Zeitschrift „das silberboot” heraus, dessen eminent politischer Auftrag es ist, deutschen Abonnenten die damals bereits verbotene Literatur wieder zugänglich zu machen; in einer Anthologie sammelt er Gedichte der im Jahr ihres Erscheinens noch kaum bekannten Dichter Hermann Broch, Benno Geiger, Robert Musil, Heinz Politzer und Ernst Waldinger.

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Nach seiner Rückkehr aus dem Exil knüpft er an die unterbrochene Tradition in erster Stunde wieder an, gründet einen Verlag, und redigiert weiter seine Zeitschrift. In der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot und später dann im ORF ist er maßgeblich für die Literaturprogramme verantwortlich. Diese vielfältigen Tätigkeiten werden zusammengebunden und beherrscht von dem Willen, über dem rein Formalen der jeweiligen Aufgabe zum eigentlichen Zentrum sinnerfüllten Handels vorzustoßen, Anstoß zu schöpferischem Erleben, Genießen und Denken zu geben. Das soll jedoch nicht heißen, daß der formale Auftrag von Literatur bei Ernst Schönwiese zu kurz kommt. Im Gegenteil: schon die Gedichte des Dreißigjährigen zeichnet ein sehr raffiniertes Formbewußtsein aus — ein Formbewußtsein, das sich gegen die Zeitströmungen stellt und stemmt. In gewissem Sinne soll also gerade das Formale, das Festhalten an historische Strophenformen zum Auslöser des Erlebnisses werden. In diesem Stadium der streng und kunstvoll gefügten Strophen fließen philosophisch-weltanschauliche Gehalte gleichsam unter der Hand und wie nebenbei in den Text ein. Allmählich erst bekommen sie konsequente Kontur, verselbständigen sich und werden zum ausschließlichen Thema der Dichtung.

Ist also das Anknüpfen an die formale Tradition instinktiver Protest des Künstlers gegen Verfallserscheinungen der Zeit, so bekommen im weiteren Verlauf seiner Entwicklung die zeitkritischen Inhalte noch zusätzliche Impulse aus der politischen und sozialen Situation. Doch liefert gerade das eschatologische Element in Schönwieses Werk keine platten Heilsaussichten und Zukunftserwartungen; es erweist sich vielmehr verknüpft mit einer Art von skeptischem Realismus, der in dem Auseinanderfallen von analytisch-ratio- idem Intellekt und der Fähigkeit zu ganzheitlicher Schau den Ursprung aller gesellschaftlichen und weltanschaulichen Fehlentwicklungen erkennt.

Daß der Verlauf der geschichtlichen Entwicklungen einen Verfall der Ordnung, den fortschreitenden Zerfall der Werte und einen allmählichen Verlust des Wertsinnes überhaupt mit sich gebracht hat, gehört mit zu des Dichters „eisernem Bestand” an kulturkritischem Vokabular. Und konsequent zu dieser Geschichtsphilosophie bedeutet ihm Dichtung ein Rückbesinnen auf das vergessene Wort, in überkonfessionellem Sinn also religio, die Rückbindung an verlorengegangene Wahrheiten. Diese vergessenen Werte wieder zu entdecken, sie buchstäblich aus den diffusen Einzelerscheinungen herauszuschälen und sie den Menschen unserer Zeit von neuem und in neuen Zusammenhängen zugänglich zu machen, dazu bietet das Sprachkunstwerk mit der Doppel- und Mehrdeutigkeit seiner semantischen Beziehungen sich als adäquates Mittel an.

Den Mystikern folgend, versucht der Dichter den egoistischen Anspruch des Willens durch Kontemplation auszuschalten und In der Aufgabe des bewußten Ich zur Schau des Wesens zu gelangen. Denn jedes Einzelwesen ist unmittelbar mit dem Sinn der Welt verknüpft. Nur ist diese Verknüpfung längst verschüttet, dem einzelnen nicht mehr bewußt, verdrängt. So soll also Erkenntnis aus einer Art Selbsterkenntnis herauswachsen, indem sich die Aufmerksamkeit der Vernunft von den diffusen Einzelerscheinungen abwendet und auf das erkennende Subjekt zentriert. Ziel und Inhalt der Erkenntnis sind demnach im Erkennenden selbst angelegt und damit zugleich auch die Bewegungsrichtung der didaktischen Impulse eines solchen Gedichts angedeutet: Es will Anstoß zur Veränderung geben, zur Selbstverwirklichung anregen. Unschwer ist hierin eine Verwandtschaft zu Goethes formelhafter Forderung „Werde, der du bist” zu erkennen.

In diesem Sinn können die Gedichte von Ernst Schönwiese auch als Lehrgedichte aufgefaßt werden — freilich als Lehrgedichte mit einer ganz selbständigen, in der abendländischen Tradition noch recht vereinzelt stehenden Charakteristik. Fehlt ihnen doch nahezu alles Anschauliche, Demonstrative; nur das allernotwendigste Inventar ist ihnen mitgegeben. Sie sind wortkarg, oft gegen Wohllaut und Melodie gerichtet, von schmuckloser Sprödigkeit, ganz auf atemlose Mitteilung reduziert, Warnsignalen nicht unähnlich.

Als solche geben sie zwar keine konkreten Anweisungen, setzen keine Imperative, wohl aber signalisieren sie den Zustand des Bewußtseins oder markieren mögliche Absturzstellen:

Sie können nicht sagen, daß sie blind sind.

Sie sehen alles.

Niemand hat sie des Lichtes beraubt. Man hat ihnen alles gesagt, was sie wissen müssen.

Und sie wissen es.

Es ist nicht wahr, daß sie nicht können, sie tun es nur nicht.

Ihrer allein ist die Schuld!

Der Signalcharakter dieser Lyrik bedingt, daß konkrete Anweisungen so gut wie ganz fehlen. Anders als in anderen Lehrgedichten konzentriert sich ihre evokatlve Energie weniger auf einen konkreten gesellschaftlichen Zustand, den es zu erreichen, als vielmehr auf eine Bewußtseinsqualität, die es freizusetzen gilt. Darum fehlt ihnen auch ganz der suggestive Ton, der Lehrgedichten, zumal Lehrgedichten der europäischen Tradition, durchwegs eignet Teil ihrer Eigenart ist es, dem Leser Reaktionen gleichsam als Antwort abzufordern. So gesehen, setzen sie die Stellungnahme eines Publikums notwendig voraus; denn ohne diese Stellungnahme bliebe nur die eine, die eindeutig fixierte sprachliche Form des Gedichts ausgeführt, deren offene und mehrdeutige Vollendung in der jeweiligen Interpretation geleistet werden ipuß. Auf diese Dialektik von Konzeption und Rezeption hin sind nahezu alle Texte Ernst Schönwieses entworfen; nie ist ihnen ein bestimmtes Modell eines Lösungsvorschlages mitgegeben:

Wenn ich in den Spiegel sehe, weiß ich jetzt, wer mich anblickt.

Ich sehe den, der so lange vergessen war, weil er sich selber vergessen wollte. Mit meinen Augen sieht er sich selber an.

Ich spreche von zweien; aber nur einer von ihnen lebt.

Allerdings ist unschwer zu erkennen, daß diese Offenheit nicht durch Verzicht auf semantische Beziehungen erkauft worden ist; sie erscheint somit nicht als Leerstelle in die beliebig austauschbare Bedeutungsmuster einsickern können, sondern entsteht im Spannungsfeld mehrdeutiger Begriffe. Und folgerichtig beschränkt sich diese Mehrdeutigkeit auch nicht darauf, Sprachmuster zu zerstören, stumpf metaphorisches Denken zu schärfen oder Realitätsreste im Spiel aufzusuchen oder zu tauschen: sie ist vielmehr eine Art Auslöser für den Prozeß der Gedichtentstehung, der erst im Leser zum Abschluß kommt. Zunächst oszillieren die Sinnebenen im Gegeneinander der verschiedenen Bedeutungskomplexe, durchdringen einander, machen Verständigung unsicher.

In dem voranstehenden Gedicht gipfelt diese Unsicherheit, die Feststellung der Identität und zugleich der Nicht-Identität des poetischen Subjekts, in der Verszeile: „Mit meinen Augen sieht er sich selber an.” Doch schon in der nächsten erfolgt der Umschlag, die scheinbare Aufhebung des einander Widersprechenden. Dieses „Ich spreche von zweien” verspricht Ordnung, nimmt das beunruhigend Vieldeutige in eine überschaubare Polarität zurück. Und vollends dann der Schluß mit seiner Annäherung an die Ausgangslage, in dem das ursprüngliche Bild wieder hergestellt erscheint: der sich in den Spiegel Blickende und sein Abbild.

Damit entsteht eine eigene Realität, die Wirklichkeit nicht mehr spiegelt, sondern in der Realität als Spiegelung erkannt wird. Das Gedicht übersteigt sich selbst und wird zu einem Ausgangspunkt für eine Kette von Meditationen, die aus der konkreten Substanz seines Inhalts nicht mehr restlos sich ergeben — ja, gelegentlich in einem paradoxen Verhältnis zu dieser stehen. Wir kennen das Paradoxon als ein Mittel östlicher Weisheitslehren, Erkenntnis in Gang zu setzen. Diese tritt — wenn überhaupt — zumeist schlagartig ein und ist als neue Qualität aus den Inhalten der Sprüche und Koans nicht mehr unmittelbar abzuleiten. In gewissem Sinn sind sie allerdings mehr oder minder notwendige Auslöser des Bewußtseinsprozesses, wenn sie gelegentlich auch das anvisierte Ziel zu verunklaren oder den, der sie nachzuvollziehen sucht, in die Irre zu leiten scheinen. Denn die Versuche von Wahrheitsfindung und Irrtum sind nah verwandt und eigentlich Voraussetzung des Suchens.

Im Ganzen: die späte Lyrik von Ernst Schönwiese läßt entschieden eine mehr als zufällige Nachbarschaft zu den Weisheitssprüchen, Haikus und Koans des Femen Ostens erkennen. Während in seiner frühen Lyrik die weltanschaulichen und religiösen Gedanken in eine zuweilen recht sinnliche Metaphorik eingekleidet sind, verzichtet der Dichter in den letzten drei Gedichtbänden darauf und versucht, durch Reduzierungen, durch äußerste Verknappung und Aussparungen ein Maximum an Intensität der Aussage zu erreichen. Wenn damit bereits auch im äußersten Aufbau und im Klang eine Annäherung an Formen erreicht wurde, die der Zen-Buddhismus hervorgebracht hat, so wird es hier freilich notwendig, festzuhallen, daß Emst Schönwiese diese For men durchaus nicht im Gefolge modischer Trends nach vollzogen hat: die ganze Geisteshaltung des Dichters hat sich nach und nach und in Auseinandersetzung mit esoterischen Traditionen des Westens, aber auch des Ostens, vom sinnlichen Gedicht weg- und zu einer Verdichtung und Verwesentlichung der Erlebnisfähigkeit hinentwickelt. Diese Entwicklung entspringt ganz unverkennbar dem Bedürfnis, die Wurzeln von Dichtung für eine Zeit wiederzuentdecken, die sich in der Anstrengung der Selbst-Behauptung, sowie in der dünnen Luft formaler Experimente erschöpft hatte. Wie wenig diese Rückbesinnung jedoch mit Religion in konfessioneller Sicht zu tun hat, geht nicht zuletzt daraus hervor, daß seine Rufe immer an den einzelnen gerichet sind und daß sie die Weisheit der Heiterkeit beschwören:

Jeder Mensch ist der erste Mensch. Mit jedem beginnt die Welt von neuem:

Paradies und Vertreibung, Brudermord und Sintflut,

Turmbau zu Babel und Sprachenverwirrung.

Jeder Mensch wird ans Kreuz geschlagen.

Jeder könnte der Erlöser sein.

Aber keiner kehrt ins Paradies zurück.

Warum macht ihr nicht ernst mit der Welt:

und werdet endlich heiter!

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