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ZWISCHEN FLÜGELN UND DORNEN

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Die europäische Lyrik des 20. Jahrhunderts bietet keimen bequemen Zugang. Sie spricht in Rätseln und Dunkelheiten. Aber sie ist von einer auffallenden Produktivität. Das Werk der deutschen Lyriker vom späten Rilke und von Traikl bis au Gottfried Benin, der französischen von Apollinaire bis zu Saint-John Perse, der spanischen von Garcia Larco bis zu GuiMen, der italienischen von Palazzeschi bis zu Unigarettbi, der angelsächsischen von Yeats bis zu T. S. Eliot kann in einer Bedeutung nicht mehr angezweifelt werden. Es zeigt, daß die Aussagekraft der Lyrik für die geistige Lage der Gegenwart nicht geringer ist als die Aussagekraft der Philosophie, des Romana, des Tlheaters, der Malerei und der Musik.

Der Leser macht 'bei diesen Dichtern eine Erfahrung, die Ihn, auch ehe er sich darüber Rechenschaft ablegt, sehr nahe an einen Wesenszug solcher Lyrik heranführt. Ihre Dunkelheit fasziniert ihn in gleichem Maße, wie sie ihn verwirrt. Ihr Wortzauber und ihre Geheimnishafltiigkeit wirken zwingend, obwohl das Verstehen desorientiert wird, „Poesie kann sich mitteilen, auch ehe sie verstanden ist“, bemerkt T. S. Eliot in seinen Essays. Man darf dieses Zusammentreten von ■ Unverständlichkeit und Faszination eine Dissonanz nennen. Denn es erzeugt eine mehr nach der Unruhe hansürebende Spannung. Dissonanltische Spannung ist ein Ziel moderner Künste überhaupt. Strawänsky schreibt in seiner Poetique musdcale (1948): „Nichte nötigt uns, die Befriedigung immer nur in der Ruhe zu suchen. Seit mehr als einem Jahrhundert häufen sich die Beispiele für einen Stil, worin die Dissonanz sich selbständig gemacht halt Sie wurde zu einem Ding an sich. Und so geschieht es, daß sie weder etwas vorbereitet, noch etwas ankündigt. Die Dissonanz ist ebensowenig ein Träger der Unordnung wie die Konsonanz eine Gewähr der Sicherheit.“ Das gilt in vollem Umfang auch für die Lyrik.

Ihre Dunkelheit ist vorsätzlich. Schon Baudelaire schrieb: „Es (fegt ein gewisser Ruhm daran, nicht verstanden zu werden.“ Für Benn heißt Dichten „die entscheidenden Dinge in die Sprache des Unverständlichen erheben, sich hingeben an Dinge, die verdienten, daß man niemanden von ihnen überzeugt“. Ekstatisch redet Saint-John Perse den Dichter an: „Zweisprachiger unter zwiefach spitzen Dingen, Du selbst ein Streit zwischen allem Streitenden, redend im Vieldeutigen wie einer, der irreging im Kampf zwischen Flügeln und Dornen!“ Und wieder nüchterner Mentale: „Keiner schriebe Verse, wenn das Problem der Dichtung darin bestünde, sich verständlich zu machen.“

Man wird dem Willigen zunächst nichts anderes raten können, als daß er seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen sucht, die moderne Lyrik umhüllt. Überall beobachten wSr ihre Neigung, so weit wie möglich von der Vermütlt-•lung eindeutiger Gehallte fernzubleiben. Das Gedicht will vielmehr ein sich selbst genügendes, in der Bedeutung vdelstrah-Higes Gebilde sein, bestehend aus einem Spannungsgeflecht von absoluten Kräften, die suggestiv auf vonratöonale Schichten einwirken, aber auch die Geheimniszonen der Begriffe in Schwingung versetzen.

Jene disisonanitische Spannung des modernen Gedichts äußert sich auch in anderer Hinsicht. So kontrastieren Züge 'archaischer, ■mystischer, okkulter Herkunft mit einer scharfen Intellekitualiität, einfache Aussageweise mit Kompliziertheit des Ausgesagten, sprachliche Rundung mit gehaltlicher Un-gelöstheit, Präzision mit Absurdität, motivische Geringfügigkeit mit heftigster Stälbewegung. Das sind teilweise formale Spannungen und oft nur als solche gemeint. Aber sie treten auch in den Gehalten auf.

Wenn das moderne Gedicht Wirklichkeiten berührt — der Dinge wie des Menschen —, so behandelt es sie nicht beschreibend und nicht mit der Wärme eines vertrauten Sehens und Fuhlens. Es führt sie ins Unvertraute, verfremdet sie, dieformiert sie. Das Gedicht will nicht mehr am dem gemessen werden, was man' gemeinhin Wirklichkeit nennt, 'auch wenn es sie, als Absprung für seine Freiheit, mit einigen Resten in sich aufgenomm'en hat. Die Wirklichkeit ist aus der räumlichen, zeitlichen, sachlichen und seelischen Ordnung herausgelöst und den — als präjudiizterend verworfenem — Unterscheidungen entzogen, wie sie einer normalen Weltorientie-rung notwendig sind: zwischen schön und häßlich, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Licht und Schatten, zwischen Schmerz und Freude, zwischen Erde und Himmel. Von den drei möglichen Verhaltensweisen lyrischen Dichtens — Fühlen, Beobachten, Verwandeln — dominiert in der Moderne die letztere, und zwar sowohl hinsichtlich der Welt wie hinsichtlich der Sprache. Nach einer an der romantischen Poesie abgelesenen (und sehr zu Unrecht verallgemeinertem) Bestimmung gilt Lyrik vielfach als die Sprache des Gemüts, der peisönlichen Seele. Der Begriff des Gemüts deutet auf Entspannung durch Einkehr an einen seelischen Wohnraum, den auch der Einsamste rollt alilen teilt, die zu fühlen vermögen. Eben 'diese kommunikative Wohnllichkeit ist im modernen Gedicht vermieden. Es sieht ab von der Humanität tai herkömmlichen Sinne, vom „Erlebnis“, vom Sentiment, ja vielfach sogar vom persönlichen Ich des Dichters. Dieser ist an

seimem Gebilde nicht als private Person beteiligt, sondern als dichtende Intelligenz, 'als Operateur der Sprache, als Künstler, der die Verwamdlumgsakte seiner gebieterischen Phantasie oder seiner irrealen Seh weise an einem beliebigen, in sich selbst bedeutungsarmen Stoff erprobt. Das schließt nicht aus, daß ein solches Gedicht dem Zauber der Seele entspringt und ihn weckt. Aber das ist etwas anderes als Gemüt. Es ist eine Vielstimmigkeit und Unibedingtheät der reinem Subjektivität, die 'nicht mehr im einzelne Gefühlswerte zerlegbar ist. „Gemüt? Gemüt habe ich keines“, bekammte Gottfried Bemm von sich. Wo gemütsähnliche Weichheiten sich einstellen wollen, fährt ein Querschläger dazwischen, zerreißt sie mit harten, disharmonischem Worten.

Man kann von einer aggressiven Dramatik modernen Dichtens sprechen. Sie waltet im Verhältnis zwischen dem Themen oder Motiven, die mehr gegeneinander gerichtet als aufeinander zugeordnet werden, fenner im Verhältnis zwischen diesen und einer unruhigem Stilführung, die Zeichen und Bezeichnetes so weit wie möglich auseinandertreibt. Aber sie bestimmt auch das Verhältnis* zwischen Gedicht umd Leser, erzeugt eine Schockwirkung, deren Opfer der Leser ist. Er fühlt sich nicht gesichert, sondern alarmiert. Zwar war dichterische Sprache schon immer umterschiedem von der normalen Sprachfunktion, Mitteilung zu sein. Von einzelnen Fällen abgesehen — Dante etwa oder Göngora —, handelte es sich aber um einen maßvollen, graduellen Unterschied. Plötzlich, in der zweiten Hälfte des 19. Jahnhunderts, wird daraus eine radikale Verschiedenheit zwischen üblicher und dichterischer Sprache, eine übermäßige Spannung, die, im Verein mit den dunklen Gehalten, Verwirrung hervorruft. Die dichterische Sprache erhält den Charakter eines Experiments, dem Kombinationen entsteigen, die nicht vom Sinn geplant wurden, vielmehr den Sinn erst erzeugen. Das geläufige Wortmaterial tritt in ungewohnten Bedeultungem auf. Wörter, die entlegenstem Spezialistentum entstammen., werden lyrisch elektrisiert. Die Syntax entgliedert sich oder schrumpft zu absichtsvoll primitiven Nomlnalaussagen zusammen. Die ältesten Mittel der Poesie, Vergleich und Metapher, werden in einer neuen Weise gebamdhabt, die das natürliche Vergleichsglied umgeht und eine irreale Vereinigung des dinglich und logisch Um\rereinbaren erzwingt. Wie in der modernen Malerei das autonom gewordene Farben- und Formengefüge alles Gegenständliche verschiebt oder völlig beseitigt, um nur'sich selbst zu erfüllen, so kann in der Lyrik das autonome Bewegumgs-gefüge der Sprach, das Bedürfnis nach sinnfreien Klangfolgen umd Intemitatskurvem bewirken, daß das Gedicht überhaupt nicht mehr von seinen Auseageinhalten her zu verstehen ist. Denn sein eigentlicher Gehalt liegt im der Dramatik der äußerem wie inneren Farmkräfte. Da ein derartiges Gedicht immerhin' noch Sprache ist, aber Sprache ohne mitteilbaren Gegenstand, hat es die dissonantische Folge, daß es den, der es vernimmt, zugleich lockt und verstört.

Solchen Erscheimiungön gegenüber setzt sich beim Leser der Eindruck der Abnormität fest. Dazu stimmt, daß ein Grundbegriff moderner Theoretiker der Dichtung lautet: Überraschung, Befremdung. Wer überraschend 'befremden will, muß sich abnormer Mittel .bedienen. Gewiß, Abnormität ist ein gefährlicher Begriff. Er erweckt den Anschein, als gäbe es eine zeitlose Norm. Immer wieder stellt sich ja heraus, daß das „Abnorme“ einer Epoche zur Norm der nächsten wurde, sich also assirnilieren ließ. Dies freilich gilt nun nicht für diejenige Lyrik, 'mit der wir es hier zu tun haben. Es gilt schon nicht mehr für ihre französischen Gründer. Rimbaud und Maliarme sind von einem größeren Publikum nicht mehr assimiliert worden, noch heute nicht, so viel auch über sie geschrieben wird'. Die Nichfasstoifarbarkeit ist ein chronisches Merkmal 'auch der Modernsten geblieben.

Indessen wallen wir die Bezeichnung „Abnormität“ heuristisch gebrauchen, ebenso wie die Bezeichnung „normal“. Ohne Rücksicht auf geschichtliche Verhältnisse setzen wir als normal diejenige Seelen- und Bewußtseinslage an, die etwa einen Text von Goethe oder auch von Hofmannsthal zu verstehen mag. Dies gestattet, um so deutlicher diejenigen Erscheinungen zeitgenössischer Lyrik au erkennen, die so weit von einem Dichten in der Art der Genannten abweichen, daß sie als abnorm bezeichnet werden müssen. „Abnorm“ ist kein Werturteil und heißt nicht „entartet“; das kann nicht kräftig genug unterstrichen werden. Der unkritische Bewunderer moderner Dichtung pflegt sie im Schutz zu nehmen gegen bürgerliche Befangenheit, gegen Scbul-und Hausgeschmack. Das ist kindisch, trifft auch gar nicht den Antrieb solcher Dichtung und beweist im übrigen Ahmungslosigkeit gegenüber drei Jahrtausenden europäischer Literatur. Moderne Dichtung (umd Kunst) ist nicht vorsätzlich zu ibesltaunen und nicht vorsätzlich zu verwerfen. Als eim beharrliches Phänomen der Gegenwart hat sie das Recht, von der Erkenntnis gewürdigt zu werden. Aber der Leser bat auch ein Recht, seine Maßstäbe älterem Dichten zu entnehmen und sie so hoch wie möglich anzusetzen.

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