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Zwischen Göttern und Dämonen

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Oft, noch zu Lebzeiten des Dichters, wenn Freunde beisammensaßen, die Josef Wein-hebsr gekannt haben, wurde der Wunsch nach einer Sammlung von Weinheber-Anekdoten, vor allem seiner urwüchsigen Aussprüche und improvisierten Reden, laut. Jetzt, nach dem vorzeitigen und tragischen Tod des Dichters, war eine andere, schwierigere und verantwortungsvollere Aufgabe gestellt, die das vorliegende Sammelwerk zu lösen versucht. „Von Josef Weinheber erzählen, das heißt Urwüchsiges und Erdhaftes beschwören und dabei an den Kristall des sich Vollendenden denken“, schreibt einer der Beiträger“. Da es dem Herausgeber vor allem um das Bild des Menschen ging, ist es begreiflich, daß in den einzelnen Aufzeichnungen die menschlichen, oft allzu menschlichen Züge auf Kosten der zeitlosen Erscheinung dominieren. So werden diese, von kleinen Taktlosigkeiten abgesehen, fast immer mit Liebe und Sympathie geschildert. Gewiß war der Feind des Menschen Weinheber der Alkohol gewesen; aber in dicem Buch ist zuviel davon die Rede. Es wäre Aufgabe des Herausgebers gewesen, zu sichten oder die einzelnen Beiträger auf spezielle Themen zu lenken; man hat sich leider allzu bereitwillig an das Augenfällige gehalten. An Deutungen jenes betrüblichen Phänomens fehlt es nicht. Immer wieder wird auf das Magisch-Zwiespältige von Weinhebers Existenz hingewiesen, auf sein Leben „zwischen Göttern und Dämonen“, wie sein vorletzter Gedichtband heißt, auf die Ausbrüche von maßlosem Selbstbewußtsein, die mit tiefster Depression wechselten. „Wahrhaft ein Dionysos, überschäumend von Lebenskraft und Lebensübermut“, dann wieder „dumpf vor sich hinbrütend, trostlos einsam auf einmal, gequält von dem unbarmherzigen Dämon, dem er euch im Wein nicht entflieht“. Dieser Eindruck ist so stark, daß die Freunde Mitleid ergreift

„mit der armen Seele, mit dem armen Leibe, der dem Herrischen, Erbarmungslosen als Herberge diente“. Die Aufgabe1, die Weinheber sich stellte, den Anspruch, den er erhob, war: die Kunst, die Sprache neu zu stiften und zugleich Sprecher der Nation zu sein. Nur in diesem einen Belang ließ' Weinfieber die Parallele mit Hölderlin gelten. Von entscheidender Bedeutung für sein Werk waren, nach des Dichters eigenem Zeugnis, die römische Stoa, vor allem Marc Aurel und die aus dem Buddhismus gespeiste Weltanschauung Schopenhauers. (Weinhebers „Heroismus“ war also eigentlich tragisch und der Versuch, ihn zu Lebzeiten des Dichters in tagespolitisches Kleingeld umzumünzen, beruhte auf einem Mißverständnis.) Als Dichter bekennt ich Weinheber zu Horaz und Plato; das Plastische seiner Gedichte gehe auf Buonarotti zurück.

In einer Zeit des Dilettantismus vertrat Weinheber mit Leidenschaft das Handwerkliche seiner Disziplin und bekannte sich — extremen Sprachexperimenten wie denen des Expressionismus entschieden abgeneigt — zu den historischen Formen der Poetik. Unermüdlich, unaufhörlich sprachliche und formale Probleme in seinen Gedanken bewegend oder im Gespräch erörternd, erwarb er sich eine erstaunliche Virtuosität. „Ich konnte“, be-zeiigt er selbst, „bei fast gelöschtem Bewußtsein, im Halbschlaf Verse mit den schwierigsten Metren niederschreiben.“ Aus diesem Vollgefühl und Bewußtsein seiner Virtuosität ist auch sein befremdliches Angebot zu erklären, auf ihm völlig fremde Personen gegen entsprechend hohe Beträge wirkungsvolle Hymnen zu schreiben. So müssen wir auch Aussprüche verstehen wie: „Die Kunst und i, mir san nämlich identisch!“ Oder, nach einer Vorlesung eigener Verse, der Hausfrau auf ihr Lob replizierend: „Was sagen Sie da, gnädige Frau, großartig? Das dürfen S' net sagen. Erschütternd müssen S' sagen!“ — Dann kam der Ruhm, auf den er ein halbes Leben lang gewartet hatte. „Ruhm und Macht sind furchtbare Charaktergifte, schreibt einer seiner Freunde, und ein anderer erklärt: „Sein „Menschliches hat den Aufstieg aus der Tiefe der Verbitterung in die Höhe des Ruhmes nicht ganz vertragen. Er verlor das Gleichgewicht, etwas Schwankendes, Unausgeglichenes haftete ihm an, von dem er sich nicht mehr befreien konnte.“

Ob der Kreis, in dem sich Weinheber während der letzten zehn Jahre seines Lebens bewegte und der jetzt von ihm Zeugnis ablegt (etwa durch die Namen Alverdes, Baumann, Blunck, Brehm, Claudius, Grengg, Hohlbaum, Jelusich, Kolbenheyer, Ortner u. a. gekennzeichnet), immer der für die Entwick-dieser genialen Begabung glücklichste gewesen ist — diese Frage mag als müßig abgetan werden; sie sei trotzdem gestellt.

Wie sehr Weinheber unter der Zeit gelitten hat, welch zwiespältige Gefühle es ihm verursachte, „in den Kreis der Mächtigen“ hineingezogen zu werden, davon zeugen der nach dem Tod des Dichters erschienene Band „Hier ist das Wort“ und zahlreiche Briefe („Wenn man mich in Ruhe gelassen hätte, wäre ich wohl ein großer Künstler geworden“). Legen wir zu dieser Selbstbezichtigungen die Worte, die ein Pfarrer dem Andenken Weinhebers widmete: „Er war ein Freund von Volk und Heimat... Das Neue Testament kannte er so genau wie sein Lieblingsbuch, die Selbstbetrachtungen Marc Aurels, die er in die christliche Ethik eingebaut wissen wollte. Allerdings für die Dichtung erschienen ihm nur Bruchstücke der christlichen Ideenwelt verwendbar, da diese sich jenseits der Tragik befände“, so rundet sich das Bild seiner Persönlichkeit, in dem Züge vorherrschen, die man nicht ohne Erschütterung betrachtet.

Die Neuauflage des Gedichtbandes „Späte Krone“, des siebenten in der Reihe, des vierten berühmten Buches von Weinheber, bedarf keiner besonderen Präsentation. Es ist wie das Erinnerungsbuch sorgfältig und in jeder Hinsicht friedensmäßig ausgestattet und macht dem Verlag alle Ehre.

Dr. H. A. Fiechtner

Der Regengott weint über Mexiko. Roman. Von Läszl6 P a s s u t h. Leykam-Verlag, Graz-Wien. 656 Seiten.

Dieser Roman — er handelt von der Eroberung Mexikos durch Cortes — besticht durch die Ubereinstimmung von Autor und Werk. Passuth ist ein männlich-herbes, von einem gesunden und lebendigen Intellekt beherrschtes Temperament, und dazu ein Schriftsteller, dessen Stil Glanz und Farbe besitzt. Mit der Materie in jeder Hinsicht bestens vertraut, ist in diesem Buch, zu seinem Vorteil, dennoch von Gelehrsamkeit und Besserwisserei nichts zu finden. Zeit und Ereignisse sind stark erlebt und sachlich, klar und straff dargestellt. Heimlich, und wie es den Szenen eines historischen Romans wohl ansteht, Schwebt ein müdes und stilles Licht über dem Ganzen, der wehmütige Schein der Vergänglichkeit, der schmerzliche Gesang von der Kürze des Dasein und der Vergeblichkeit irdischen Strebens. Dieser Hauch zwischen den Zeilen verleiht dem Buch einen . eigenen Reiz, und was Passuth zu einem großen Autor oder einer bemerkenswerten künstlerischen Persönlichkeit fehlt, das ersetzt er durch Noblesse, Kultur und einen ungemein sauberen und sympathischen Zug des Herzens.

Mit Recht ist das Werk bereits in die spanische und englische Sprache übersetzt.

Die Übertragung ins Deutsche ist flüssig und treffsicher, entbehrt aber jeder stilistischen Eigenart, was, wenn man dem eigenen Gefühl Glauben schenken darf, der künstlerischen Persönlichkeit des Autors nicht ganz gerecht wird. Franz T a s s i e „

Die Sternenspur. Neue Gedichte von Martha H o f m a n n. Verlag Oprecht, Zürich 1949.

„Wahr und schön sind ewig Eins.“ Dies ist die Grunderkenntnis, die als schwebender Orgelpunkt unter allen Gedichten Martha Hofmanns liegt. „Die Sternenspur des Schönen“ auch noch bis tief in das Dunkel des Leides zu verfolgen, das der Dichterin, die das bittere Schicksal der Emigration auf sich nehmen mußte, wahrlich nicht erspart blieb, hat sie sich zur Aufgabe gemacht. Die lyrische Ernte dieses Bemühens aus den Jahren 1935 bis 1944 liegt nun in dem Gedichtband „Die Sternenspur“ vor ins. In vier Abteilungen („Das uralte Meer“, „Spiegelungen“, „Westöstliches Bilderbuch“ und „Lieder des Abschieds“) ist die große und die kleine Welt, das tiefe Innenleben und das harte Draußen der Wirklichkeit bewältigt und gestaltet. Wäre unsere Zeit nicht jedem lyrischen Empfinden so abhold, sie könnte sich aus mancher Verszeile dieser Gedichte Trost holen. Erst wenn der Schrei der Not Gestalt wird, hat er die kathartische Wirkung. Diese ist bei Martha Hofmann erreicht.

Dr. Viktor Suchy

Einkehr in Paris. Roman von Karl Adolf Mayer. Leykam-Verlag, Graz-Wien. 225 Seiten, Preis S 36.—.

Während ich dabei war, Mayers Buch zu lesen, blätterte ich zur Titelseite zurück, um mich zu überzeugen, ob er seine „Einkehr in Paris“ tatsächlich als Roman bezeichnet hatte. Ich wollte es kaum glauben. Das Buch, episch nur in Ansätzen, ist ein empfindsamer Führer durch Paris und Umgebung, mit außerordentlichem Verständnis, vor allem für die Dinge der Kunst, geschrieben: es wird denen, die Paris kennen, eine Seelenweide sein. Die Handlung: Ein verwitweter Grazer Kunsthistoriker verbringt seine Ferien in Paris an der Seite der Ubersetzorin seines letzten Werkes. Er kommt ihr innerlich nahe, aber doch nicht nahe genug, um über den Altersunterschied hinweg wirklich zu ihr zu finden. Gewiß gibt der Autor dem aufgeschlossenen Leser sehr viel. Nirgends bleibt er an der Oberfläche. In vollendeter Kunst des Gedankens und des Ausdrucks verbindet er das lebendig Menschliche dem Uberzeitlichen, das Visuelle dem Wurzeltiefen. Dennoch wäre zu erwägen, ob hier Form und Inhalt einander nicht zu sehr widersprechen. Die Situation der Literatur ist heute eine so ernste, daß die Menge der gutwilligen Leser nicht verwirrt und enttäuscht werden darf. Eine strenge Abgrenzung zwischen belletri-“ stischem und wissenschaftlichem Schrifttum muß wohl im Interesse beider Richlungen verlangt werden. Ungeachtet dieser Eiriwihde kann gesagt werden, daß Mayers Budi, überaus still in unserer lauten Zeit, für einen eng umschriebenen Kreis eine durchaus empfehlenswerte und wertvolle Lektüre bildet.

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