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Begegnungen mit NVeirilieker

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Zu einem eigentlichen Briefwechsel zwischen Weinheber und mir ist es nicht gekommen. Sobald mich nämlich eine Karte, ein Brief von ihm erreichte, machte ich mich auf und fuhr zu ihm.

Bis zum Dezember 1934 lebte ich in Klosterneuburg. Weinheber, der ja im Postdienst stand, konnte genau abschätzen, wann ich sein Schreiben erhalten werde. Er konnte sicher sein: drei, vier Stunden später saß ich schon neben ihm vor seinem Schreibtisch in Wien.

Unsere Begegnungen damals waren Arbeitsbegegnungen. Es waren die entscheidenden Jahre unmittelbar vor und nach Erscheinen von „Adel und Untergang“, die ertragreichsten Jahre unserer Freundschaft. Jede dieser Begegnungen hatte daher einen vorbestimmten Zweck.

Als ich knapp vor Weihnachten 1934 ganz nach Wien, in die Nähe von Schönbrunn, übersiedelte, wurde unsere Verbindung noch einfacher. Er rief mich an, und ich fuhr sofort zu ihm in den dritten Bezirk, „auf die Landstraße“, hinüber.

Dann und wann versuchten wir auch, die Lösung eines knifflichen Problems gleich am Telephon zu finden. Ich erinnere mich eines Anrufs von ihm, der sage und schreibe einen Beistrich zum Anlaß und Inhalt hatte. Da wir hüben wie drüben ein jeder immer wieder ein Buch aus der Bibliothek heranholten, der eine wie der andere eine weitere Belegstelle für seine These, mußten wir das Gespräch zweimal verlängern. Wenn ein Außenstehender mitgehört hätte, er hätte uns wohl für verrückt gehalten.

Weinheber wußte vor mir, daß ich ein Landkind gewesen, auf dem Lande aufgewachsen war und daß ich auch in Klosterneuburg jeweils ein Gartenzimmer bewohnte. Nun hatte ich es in Wien zum Glück wieder so gut getroffen, daß ich die Großstadt überhaupt nicht verspürte: den Blick vorne hinaus in einen Park, hinten hinaus in zwei Privatgärten und ein Pfarrgärtlein, in die Sonne, ins Grüne.

Er selber wohnte „in den Steinen“, auf dem kleinen Rudolf-von-Alt-Platz, an dem ich freilich außer seiner verhältnismäßigen Stille immer nur den Namen schätzte, weil dieser mich an einen meiner Lieblingsmaler erinnerte. Weinheber hatte es trotzdem vorzüglich verstanden, seine Wohnung innen so gemütlich und ansprechend wie möglich zu gestalten, ein richtiges, warmes Daheim für lange Winterabende. Gegen den Umstand allerdings, daß die Wohnung fast lichtlos hinaus in einen Schachthof ging, vermochte er nichts.

Bei unseren Arbeitsbegegnungen im Frühling, Sommer oder Herbst stellte sich zumeist diese Abfolge ein: Ich kam gegen vier Uhr bei ihm an, und wir nahmen mit Hedwig die Jause. Sogleich nach der Jause rückten wir aus, nicht ohne versprochen zu haben, um sieben zum Abendessen wieder daheim zu sein.

Was wir brauchten, nahmen wir mit: etwas Schreibpapier, in diesem und jenem Sack ein Bleistiftstümpfchen, ein paar seiner Gedichte, die wir durchgehen wollten, ein Fachbuch allenfalls, ein kleines Nachschlagewerk oder auch einmal eine lyrische Neuerscheinung, einen Zeitschriftaufsatz, Buchbesprechungen, bedeutende Briefe, die er inzwischen erhalten hatte, oder auch einmal gar nichts, wenn wir — während der Jahre seiner Erfolglosigkeit — nur wichtige Pläne zu schmieden hatten, uns- darüber klar werden mußten, was jetzt als nächstes in unserem Feldzug gegen die blinde, taube und lahme Öffentlichkeit zu geschehen hatte. Daß wir dabei manchmal richtig in Rage kommen konnten und wie die Rohrspatzen zu schimpfen begannen, begreift sich leicht. Wenn wir in solcher Stimmung jemandem begegneten, der uns nicht kannte, mußte er denken: zwei Aufgeregte! Nun, wenn sich das euch nur nicht auf die Nieren schlägt! — Meistens aber wurde Weinheber von den Leuten in der Nachbarschaft ohnehin erkannt, und die schmunzelten uns dann ihr „Eh-schon-Wissen!“ zu. Denn wir gingen fast immer den gleichen Weg aus der Stadt hinaus ins Offene, Freie: die untere Löwengasse hinab und links um die Ecke ein paar Schritte die restliche Marxergasse entlang, über die Rotundenbrücke hinüber, und schon waren wir im Grünen, im Prater und Unteren Prater. Wir durchquerten nämlich die Jesuitenwiese, gingen dann am Heustadlwasser entlang bis zu dessen Ende, benützten auf dem Rückweg die Hauptallee bis vorn zum Konstantinhügel, dort bogen wir seitwärts ab, und — am Teich mit seinen Booten und Schwänen vorbei — ging's wieder heimzu über die Rotundenbrücke. Im Wandern und da und dort auf einer Bank, auf einem Baumstamm besprachen und erledigten wir unser Arbeitsvorhaben, genossen wir die von uns zu allen Jahreszeiten geliebte Landschaft. Manche Baumgruppe ließ uns überdies an Alt, an Waldmüller denken.

In den Jahren der Verlassenheit hat sich mir auf diesen zweisamen Wande-derungen Weinheber ganz aufgeschlossen. Seine Sorge um das Werk, seine Bitterkeit, sein Trotz, sein Stolz, seine Verzweiflung wurden hier laut. Das für mich Erregendste waren die peinigenden Selbstzweifel des großen Künstlers, seine Zwangsvorstellung, ich könne mich mit meiner positiven Beurteilung seiner Lyrik irren und in Wirklichkeit hätten vielleicht seine Gegner recht, die ihm höchstens ein Dutzendtalent zubilligten und die seine von ihm bisher errungene, ohnehin bescheidene Geltung auch noch einzuschränken trachteten mit dem Hinweis darauf, daß ihnen dieses oder jenes an seiner Lebensführung mißfalle. Dann war es an mir, seinem wunden Herzen wieder die Ruhe zu geben und dem erschütterten Selbstvertrauen mit den Argumenten, die meinen Lyrikkenntnissen zu Gebote standen, wieder aufzuhelfen. Gegen die Tugendheuchler aber wurde ich heftig. Ein Kunstwerk und das empirische Ich seines Schöpfers seien nicht ohne weiteres kongruent. Obendrein sei unser innerstes Wesen ein Geheimnis, uns selber verschlossen und schon gar nicht einem anderen erfahrbar, erfaßbar. Unsere letzten Antriebe würden überhaupt nur jenem Einzigen offenbar, der unser Schöpfer und unser aller Richter sei. Außerdem wußte Weinheber, was ich gerade darum von den Lebensbeschreibungen hielt, noch von den besten und umsichtigsten, für wie trügerisch ich die Hoffnung hielt, daß das fleißige Zusammentragen und Zusammensetzen von tausend Lebensbruchstücken (ja selbst von allen, wenn uns der Zufall diese bescherte), daß so ein mühsam gesammelter Scherbenberg jemals wieder ein Ganzes oder gar „die Wahrheit“ ergebe. Ein Welt aber, die hämisch nur unsere Niederlagen registriert und von unseren Siegen über uns selbst nicht einen einzigen zur Kenntnis nimmt, sei als Richterin zu befangen und darum unmaßgeblich. Wenn er, ruhiger geworden, plötzlich stehenblieb und mir stumm die Hand drückte, wußte ich, daß ich ihn etwas hatte trösten dürfen. Mich selbst aber erfüllte dann ein stürmisches Glücksgefühl.

Nun, auf einem solchen Rundgang sind wir aber auch einmal in einer heiteren Angelegenheit übereingekommen. Ende Mai 1936 waren Weinheber und Hedwig bei mir in Meidling zu Besuch gewesen. Weinheber brachte viele Gedichte mit; denn er legte damals seine „Späte Krone“ zusammen. Weinheber las also Gedichte vor. Dieses eine und einzige Mal aber entging auch ich meinem Schicksal nicht. Hedwig ließ nicht locker. Sie erklärte es zu meiner Hausherrenpflicht, daß ich nun meinerseits einige Gedichte lese. Bei allen meinen Arbeitsbegegnungen mit Weinheber war nämlich bisher über meinen ausdrücklichen Wunsch von mir überhaupt nicht die Rede gewesen. Ich las also einige wenige meiner neueren Gedichte vor. Darunter auch die „Parabel“. In der Ur-fassung dieses Gedichtes standen die beiden Verse:

Luft und Duft von Salbei und Kamille übferkroch ihn, selig arm und bloß.

Die Fügung „Salbei und Kamille“ und mein Reimwort „Stille“ wurden in Weinheber zum Keim eines neuen Gedichts. Ein paar Tage nachher entstand eines der herrlichsten Gedichte in deutscher Sprache, Weinhebers Lied „Im Grase“. In diesem Lied aber war nun das „Salbei und Kamille“ schon rein klanglich ein integrierender Bestandteil, ja die Urzelle geworden. Was tun? Ich bat, da ich verreiste, Weinheber brieflich, er möge, bis ich wiederkomme, einstweilen darüber nachdenken, wie wir sein oder mein Gedicht an dieser Stelle ändern könnten. Bei meinem nächsten Besuch und auf unserem gewohnten Rundgang trat ich ihm dann den „Salbei“ ab und erklärte, meinen Vers abzuändern in:

Luft und Duft von Minzen und Kamille,

In dieser Fassung nahm ich mein Gedicht in „Maß und Schranke“ und später in „Das Buch der Mitte“ auf. Daheim aber holten wir uns rasch aus der Inselreihe das entzückende „Kräuterbüchlein'' her und blätterten zur Vorsicht nach, ob das mit unserem Wiesenflor wirklich noch alles jahreszeitlich zusammenstimme. Damit wir keinen .Plutzer“ machtenl

Verlangte jedoch eine Arbeit von un strengste Konzentration und Klausur, wie die gemeinsame Redaktion von .Adel und Untergang“, so blieben wir in den vier Wänden. Dabei vergingen uns Hören und Sehen für alles andere. Hedwig hatte es dann mit uns nicht leicht. Das schönste Essen wurde ihr zweimal welk und kalt.

Übrigens habe ich auch einen Abschnitt meines Begleittextes zur Erstausgabe von .Adel und Untergang“ gleich in Weinhebers Wohnung geschrieben, er betrifft Weinhebers allmähliches Fortschreiten im Formalen vom nur Musikalischen über das Plastisch-Gestaltige zur strengen Architektur seiner Odensprache. Ich hatte hiezu ein mir zum Teil noch unbekanntes Material zu bearbeiten, und da die Zeit drängte und der Setzer schon auf meinen Aufsatz wartete, machte ich mich gleich an Ort und Stelle darüber. Ich zog mich also in Weinhebers hinterste Stube, die ihm als Schlafraum diente, zurück, während er selbst vorn in seinem Arbeitszimmer an der Schreibmaschine saß. Ich studierte, schrieb, entwarf mehrmals den Text und kam endlich mit dem fertigen Abschnitt wieder nach vorn, um ihn Weinheber vorzulesen. Weinheber stimmte ihm lebhaft zu.

In der Nachkriegszeit, nach meiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft, bin ich einmal an einem Sonntag im Vorfrühling unseren einstigen Rundweg zum Teil wieder gegangen, mit meiner Frau, hinunter bis zum zerstörten Lusthaus, an dem immerhin schon gebaut wurde, und herauf bis zum Volksprater mit seinen Brandruinen. Wie machte dieser Weg mich traurig, wo jeder kleine Pfad und jeder alte Baum — Bänke standen nirgends mehr — mich an den toten Freund gemahnten. Nur das steigende Jahr, das sich sein Recht nicht mehr nehmen ließ, milderte etwas das Bedrückende dieses Erinnerungsganges. Wie die Natur hier zur Auferstehung rüstete, genau so, wußte ich, wird Weinhebers Gestirn, das zeitweilig unter den Horizont versunken war, sich zu neuem, dauerndem Glanz für uns alle erheben.

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