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Wer war dosef Weinheber?

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Die literaturhistorische Forschung hat sich bereits seit Jahren vergeblich bemüht, die Herkunft des Namens Weinheber zu klären. Drei männliche Namensträger des Dichterstammbaumes sind nachweisbar, mehr nicht: Josef (der Dichter), sein Vater Johann und sein Großvater Christian.

Mit Christian, einem unehelichen Kind der Anna Weinheber, beginnt am 10. März 1819 im Findelhaus zu Wien IX die männliche Linie. Weiter zurück kam die Forschung nicht. Der Name -Weinheber entschwindet. Die Matriken, Protokolle, Offkiosa meldeten — trotz heißem Bemühen seitens der Forscher — weder die Herkunft der Anna Weinheber noch ihren Verbleib nach dem Verlassen des Findelhauses. Viel weniger natürlich den unehelichen Kindesvater.

In der Suchaktion nach dem Vorkommen des Namens Weinheber vor 1819 schalteten sich in dankenswerter Weise ein: die Diözesen Wien, St. Pölten und Linz in ihren Diözesan-blättern vom September und Oktober 195 8, das Militärarchiv in Wien, das Stadtarchiv in Wien, die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft „Adler“ in Wien, die „Oesterreichische Lehrerzeitung“ und die Tagespresse mit ihren Suchanzeigen. Es fand sich keine Spur eines Weinhebergeschlechtes. Sogar gleichzeitig ausgesetzte Fundprämien zeitigten keinen Erfolg. Der Name Weinheber vor 1819 in Niederösterreich blieb unauffindbar.

WOHER HAT DER DICHTER SEINEN NAMEN?

Ein Fund unter dem modrigen Staub eines vollen Jahrhunderts erhellte kürzlich blitzartig das Dunkel, obwohl der Name Weinheber damit allerdings noch nicht völlig geklärt ist. Wohl aber, wie es scheint, derwirklicheName der Anna Weinheber.

Das letzte Wegstück der reichlich verschlungenen Pfade führt von Mödling über Laa an der Thaya nach Groß-Harras. Die vielen Zwischenstationen, obwohl sehr interessant, hier aufctitisbjen, verbietet der enge . Rahmen.

In der Heiratsmatrik von St. Othtnar in Mödling gibt am 8. Februar 1857 der Bräutigam Christian Weinheber zu Protokoll, daß seine Mutter „gegenwärtig in Groß-Harras verheiratet“ und selbst in „G r o ß-Harras erzogen worden“ ist.

Schon allein diese Aussage des unehelichen Sohnes war bereits ein großer Schritt vorwärts: „Gegenwärtig in Groß-Harras verheiratet.“ Aber nun fragte es sich: Bei wem und durch wen in Groß-Harras erzogen? Bei fremden Leuten? Oder bei der Mutter, die nun vielleicht seinem leiblichen Vater angetraut war?

Diese entscheidende Frage beantwortete fast zu 100 Prozent ein im selben Pfarramt aufgefundenes Arbeits- und Wohnungszeugnis des Christian, das er zur Heirat hatte vorlegen müssen. Aber dieses Dokument lautet auf Christian Graf. Nicht Weinheber, wie alle andern Heiratsunterlagen, sondern Graf. (Für den zweifelnden Leser: die Identität Weinheber-Graf ist erwiesen: für Details fehlt hier der Raum.)

Wieso auf einmal Graf? Warum nicht Weinheber? Nun erst konnte die systematische Suche in Groß-Harras, die bis dato stets ergebnislos verlaufen war, richtig einsetzen. Gibt es in Groß-Harras zu jener Zeit einen Namensträger Graf? Ist er mit Anna, geborener Weinheber, verheiratet?

Ja', einen Inwohner Christian Graf gibt es. Namensgleich mit seinem vermutlichen Sohne. Nach dem Alter und sonstigen Umständen ist es der Pflegevater, wenn nicht sogar der leibliche Vater des Christian Graf in Mödling. Aber die Mutter, die Anna Weinheber, war wieder nicht in den gesamten Matriken von Groß-Harras zu finden. Sondern die Gattin des Inwohners Christian Graf, des Totengräbers und Gemeindedieners von Groß-Harras, hieß Anna M a y h ö f e r. Der Name Weinheber scheint in den Matriken von Groß-Harras auch in anderer Verbindung überhaupt nicht auf, trotz der Aussage des Sohnes Christian.

Die Erklärung für dieses Dilemma muß leider auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, bis ein derzeit noch nicht zugängliches Archiv wieder geöffnet und geordnet sein wird. Denn eines der Heiratsdokumente Christians in Mödling, nämlich der staatliche Ehekonsens, weist auf einen mehrfachen Schriftwechsel mit der niederösterreichischen Statthalterei und auf mehrere Rekurse hin, Dokumente, die man im betreffenden Archiv zu finden hofft. Warum diese Schwierigkeiten um Christians Eheerlaubnis? Vermutlich war es die Ungeklärtheit, ob er Mayhöfer oder Weinheber oder Graf heißt, bis es schließlich bei dem Namen Weinheber verblieb.

Es hat den Anschein, daß Christian sich bis zur Heirat im Alter von 38 Jahren immer noch „Graf “nannte, entsprechend der Gewöhnung aus seiner Schulzeit in Groß-Harras. Es ist sogar möglich — aus der Mentalität seiner Ziehoder leiblichen Eltern zu erklären —, daß er seinen amtlichen Namen gar nicht gewußt hat. sondern ihn erst aus seinem Taufschein im Jahre 1857 lesen mußte. Deshalb der Schriftwechsel mit der niederösterreichischen Statthalterei um die Ehebewilligung. Vorher hatte der Lohnkutscher Christian Graf in Mödling offenbar mit staatlichen Aemtern wenig oder nichts zu tun gehabt. Wer hätte ihn auch auf das Dilemma Graf-Weinheber-Mayhöfer stoßen sollen?

Ohne den Forschungsergebnissen aus dem derzeit noch nicht zugänglichen Archiv vorgreifen zu wollen, läßt sich das mütterliche Namensdilemma Weinheber-Mayhöfer vielleicht aus den Findelhausakten befriedigend erk'Eren: Jeder Kenner der Findelhausgepflogenheiten weiß aus den Josephinischen Patenten, daß es den zur Entbindung ins Findelhaus Kommenden erlaubt war, sich einen Decknamen beizulegen. Es war ihnen, freigestellt, verschleiert das Findelhaus zu betreten und wieder zu verlassen. Volle Diskretion war ihnen zugesichert. Kein Mensch im Findelhaus durfte ihrem wirklichen Namen, ihrer Her- und Hinkunft nachspionieren. Dies alles, um die geängstigten ledigen Mütter vor Not und übler Nachrede zu bewahren, um die damals häufigen Kindesweglegungen einzudämmen. (Siehe Wiener Kommerzialschema, 1789, bei Gerold.)

Es gibt nun zwei Möglichkeiten: entweder ist Weinheber der Deckname für Mayhöfer, oder es ist ein Hörfehler, eine Verballhornung des verschwommen und im Dialekt undeutlich ausgesprochenen Namens Mayhöfer. Das Letztere ist vielleicht eher zutreffend, weil laut Taufschein die Taufe unmittelbar nach der Geburt vollzogen wurde, weshalb die von der Entbindung geschwächte Mutter weder der Taufe beiwohnen noch die richtige Namensgebung überwachen konnte. Taufpate war jeweils der Kirchendiener. Die näheren Umstände des Dilemmas Mayhöfer-Weinheber werden sich wohl niemals eindeutig klären lassen. Aber, daß Anna Mayhöfer identisch ist mit Anna Weinheber, das scheint festzustehen.

Wie dem auch sei, es waren trübe Auspizien für Christians adversus. Ob nun ein fiktiver Name obwaltet oder ein skurriles Verhängnis vielleicht: der Name Weinheber rollte ebenso wie die vielen andern Findelhaustragödien als ein düsteres Filmband ab bis zum tragischen Ende des Dichters 1945. Es ist bekannt, daß er selbst viel geforscht und herumgefragt hat nach seinem Namen, nach seiner Abstammung. Dunkle Ahnungen vielleicht? Er hat es nicht eruieren können. Hätte er alles erfahren, die Tragik seines berühmt gewordenen Namens hätte sein sensibles Wesen noch mehr bedrückt, das bekanntlich von Schwermut und bitteren Kindheitseindrücken arg belastet war. (Siehe seine Briefe I)

Ob so oder so, der dezidierte Name Weinheber bleibt trotzdem ein Rätsel. Woher kam er? Aus Niederösterreich stammt er nicht. Mitteldeutschland dagegen verzeichnet damals schon diesen Namen, und ein Ludwig Weinheber „aus Braunschweig in Sachsen“ starb 1820 in Wien, in der Leopoldstadt. Er war Heeresbeamter und Quartiermeister in Krakau gewesen. Querverbindungen von ihm zur Anna Mayhöfer, dem Wäschermädel vom Michelbeurischen Grund Nr. 30, vom Breittn-feld Nr. 43 und in der Alservorstadt 179 konnten nicht festgestellt werden.

Wohl aber hatte Christian Graf als Tag-löhner in Wien stets mit ihr zusammen die gleichen drei Wohnungen (Unterkünfte?) inne, bis sie am 29. Juni 1828 in der Alservorstadt heirateten, um dann offenbar nach Groß-Harras zu ziehen, wo der Mann die Stelle eines Totengräbers und Gemeindedieners bekommen hatte. Das Kind Christian zog mit, ohne in die Ehe geschrieben zu werden. Aber die Weinheber:

Christian (Vater), Christian (Sohn), Johann und Josef, alle vier zusammen waren zuständig nach Groß-Harras. Also dürfte es mit der Vaterschaft des Totengräbers Christian Graf schon seine Richtigkeit haben.

Der obengenannte Ludwig Weinheber ist, außer dem einjährigen Christian, der einzige nachweisbare männliche Namensträger in Wien um 1820; aber er war nicht Wiener, nicht Oesterreicher.

Der Name Weinheber taucht erst ab 1890 wieder im Wiener Lehmann auf, und zwar sind es durchweg jüdische Handelsleute aus Polen, die sich in der Leopoldstadt ansässig gemacht haben. Ihre jetzt wieder in Wien lebenden Nachfahren leiten ihre ursprüngliche Abstammung auch aus Mittel- und Westdeutschland her. Eine merkwürdige Parallele mit dem obengenannten Ludwig Weinheber. Und doch noch keinerlei Erklärung dafür, woher Anna Weinheber diesen reichsdeutschen Namen aufgegriffen haben sollte, falls er überhaupt ihrer Initiative entsprungen ist.

Es gibt viel Dunkles um den Dichternamen Weinheber, von seinem Auftauchen 1819 an bis zum Versinken 1945. Ein Komet, der lodernd im letzten Kriegsbrand verglühte, nachdem er, aus dem nebelgrauen Dunkel herausgetreten, seine leuchtende Bahn gezogen war. Seinen - Glanz' und seirrert“Nachruhm- soll und kann das pfljes““sefher'“ “Herkunft“ aber nicht ver-tfuirren?e! ;n,k?ow tv od naJisrioifrhJiM

Eine interessante Tatsache verdient noch des besonderen Hinweises: Josef Weinheber und Ann Tizia Leitich, die Wiener Schriftstellerin, sind Blutsverwandte. Zwei wortschöpferische Naturen, in denen ein von einer gemeinsamen Ahnenreihe aufgestautes künstlerisches Erbe fast gleichzeitig zum Durchbruch kommt.

Die Blutsverwandtschaft beider geht zurück auf Matthias und Albert Leithich, zwei Brüder, die um 1800 in Heiligeneich ansässig waren. Von Matthias stammt über seine Großmutter Josef Weinheber, von Albert stammt direkt Ann Tizia Leitich ab.

Letzten Endes kommen die Leitichs in direkter Linie bis vor 1700 zurück aus Sichelbach, Gemeinde Kirchstetten, wo Josef Weinheber 1945 seine letzte -Ruhestätte gefunden hat. Ein örtlich und zeitlich weit gespannter Lebenskreis. Oert-Iich: von Sichelbach ausgehend über Kirchstetten, Heiligeneich, Zwebendorf, Schwadorf, Mödline. Groß-Harras und Wien wieder zurück nach Kirchstetten. Zeitlich: über 250 Jahre durch sieben Generationen.

Interessant ist auch die stets wechselnde phonetische Schreibung des heutigen Namens Leitich in den Pfarrmatriken von Kirchstetten, Heiligeneich und Zwentendorf: Leihtich, Leithich, Leidi, Laidy, Leidy. Leitig, Laidig usw. — ein Dutzend Schreibweisen; aus denen uns die damalige Gepflogenheit „Schreib, wie du es hörst!“ anspricht. Es war die Zeit der berühmten „drei Kreuzchen“, die Zeit, da die wenigsten Leute lesen und schreiben konnten, die gute ältere Zeit, in der keine Dokumente, keine Beglaubigungen vom kleinen Mann verlangt wurden. Was blieb dem Matrikenführer anderes übrie, als „aus dem Gehör“ zu schreiben? So ähnlich, wie wahrscheinlich im Falle Mayhöfer-Weinheber f

Ist es nicht verwunderlich, daß unser Dichter wieder in dieselbe heimatliche Erde zurückkehrt, aus der vor 250 Jahren sein großmütterlicher Urahn Caspar Leihtich hervorgegangen war? Der Kre;s schließt sich.

Ein Kreis, der uns unwillkürlich an Goethes „Das Göttliche“ denken läßt: „Nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden.“

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