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Weinheber in neuer Sicht

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Die von Josef Nadler und Hedwig Weinheber 1925 bis 1956 editierte fiinfbändige Weinheber-Ausgabe war schon veraltet, als sie herauskam. Die Anordnung vielfach unzweckmäßig, manche Gedichtfassung letzter Hand nicht im Text, sondern in den Anmerkungen eines folgendes Bandes, die Briefauswahl unsachlich, der Kommentar zu knapp, wobei gerade das Wesentliche übersehen blieb. Denn Nadler konnte zwar als leidlicher Weinheber-Kenner, in keiner Weise aber als Kraus-Kenner gelten, und das Naturtalent Weinheber war durch die stilkritischen und poetologischen Untersuchungen von Karl Kraus mit dem entscheidenden sprachkünstleri- schen Impuls gesegnet worden. Friedrich Jenaczek, der Bearbeiter der Neuausgabe, ist beides: Spezialist für Karl Kraus und Josef Weinheber.

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Die von Josef Nadler und Hedwig Weinheber 1925 bis 1956 editierte fiinfbändige Weinheber-Ausgabe war schon veraltet, als sie herauskam. Die Anordnung vielfach unzweckmäßig, manche Gedichtfassung letzter Hand nicht im Text, sondern in den Anmerkungen eines folgendes Bandes, die Briefauswahl unsachlich, der Kommentar zu knapp, wobei gerade das Wesentliche übersehen blieb. Denn Nadler konnte zwar als leidlicher Weinheber-Kenner, in keiner Weise aber als Kraus-Kenner gelten, und das Naturtalent Weinheber war durch die stilkritischen und poetologischen Untersuchungen von Karl Kraus mit dem entscheidenden sprachkünstleri- schen Impuls gesegnet worden. Friedrich Jenaczek, der Bearbeiter der Neuausgabe, ist beides: Spezialist für Karl Kraus und Josef Weinheber.

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Trugen die Bände II und IV noch den Vermerk „Nach Josef Nadler und Hedwig Weinheber neu herausgegeben von Friedrich Jenaczek“, so hat der Band V das geänderte Impressum: „Neu herausgegeben von Friedrich Jenaczek“. Damit wird lakonisch das Ende einer langen Vorgeschichte angedeutet.

Nach dem Band IV, „Prosa I“(1970) und dem Band II, „Die Hauptwerke“ (1972) liegt nun Band V, „Prosa II“ (1976) der neuen Ausgabe vor, „Sämtliche Werke“ von Josef Weinheber in sieben Bänden ankündigend. Folgen sollen noch die „Jugendwerke“, weitere „Gedichte“, „Briefe“ und „Aus dem Nachlaß“ Entwürfe, Lesearten und Nachträge.

Band V enthält im „Anhang“ (72 Seiten) nicht nur die üblichen Anmerkungen, er zählt auch „zur Geschichte von Josef Weinhebers literarischem Nachlaß“ daten- und faktenmäßig auf, was sich vom Tode des Dichters am 8. April 1945, über den Tod seiner Witwe am 5. September 1958 bis zur Beendigung des längsten Erbschaftsstreites der Zweiten Republik im Oktober 1973 und der Herausgabe des restlichen literarischen Nachlasses im Jänner 1974 an Schwierigkeiten dem Unternehmen sntgegenstellte, den authentischen Wortlaut von Weinhebers Lebenswerk zu eruieren.

Er hatte testamentarisch verfügt: „Wenn meine Frau mich überlebt,

gehört ihr bis zu ihrem Tode mein gesamter Besitz Im Falle ihres Todes gehen diese Rechte an meinen Sohn über.“ Die Witwe hat mit imponierender Konsequenz ein Weinhe- ber-Bild nach ihren Ideen zu verewigen unternommen, mit Nadler als willfährigem Ausführungsorgan. Seine sofort umstrittene Weinheber-Biographie und die Gesamtausgabe mußten vertuschen, was nicht zum „heroischen Dichter“ paßte, zum Beispiel sein geheimes Entsetzen über das NS-Regime (er plante 1938 allen Ernstes eine Emigration), besonders aber, daß er einen 1941 geborenen unehelichen Sohn hatte. Der war als endgültiger Universalerbe bestimmt, nach dem Tode der Gattin, die „zu ihren Lebzeiten alle Rechte und Nutznießungen aus meinen Büchern, Druckwerken und aus meiner geistigen Arbeit“ behalten sollte.

Hedwig Weinheber hatte aber als ihre Alleinerbin eine Nichte eingesetzt, die getreulich im Sinne der Tante einen erbitterten Erbstreit um die Abgrenzung des „literarischen Nachlasses“ gegen«das „bewegliche Gut“ der Dichterwitwe führte. Durchaus unbeabsichtigt wurde so dem Ansehen des Dichters großer Schaden zugefügt. Er gilt als simpler NS-Barde, und gerade das war er nicht. Weinheber verachtete das Regime, hielt ihm allerdings (voll privater Scham) zugute, daß es ihn als Dichter anerkannte. In den an geblich „Sämtlichen“ Werken der fünfziger Jahre fehlten nicht nur die betrüblichen Versbeispiele seines Kniefalles vor den Machthabern und umgekehrt die hämischen Epigramme gegen vorbehaltlos mitmachende Schriftstellerkollegen, es waren unter anderem auch die Briefe Weinhebers an seine erste Frau weggelassen (eine Jüdin, die ihn nachhaltig literarisch beeinflußt hat) und erst recht die Korrespondenz mit der Mutter seines Sohnes, sowie der Abschiedsbrief für diesen.

Im „Apparat“ der bisher erschienenen drei Bände korrigiert der Herausgeber auf 160, 117 und 72 Kleindruckseiten durch neue Hinweise und Belege die Fehlleistungen seiner Vorgänger. Zum Teil ist auch die Anordnung der Bände eine andere geworden. So wird der frühe Roman „Das Waisenhaus“ nun in den Band „Jugendwerke“ (Lyrik, Drama, Prosa) aufgenommen und nicht in die spätere Prosa I und II, führt der früher als „Nachwuchs“ gedruckte Roman jetzt den Manuskripttitel „Paradies der Philister“, enthält der jüngst herausgekommene Band V auch den Erst- d ruck zweier Romanfragmente - kurz, es wird endlich der greifbar gewordene Nachlaß Josef Weinhebers aus gewertet, Friedrich Jenaczek ist nicht mehr (wie es bei den Bänden II und IV leider noch der Fall war) auf die fünfbändige Erstausgabe der „Werke“ als Vorlage angewiesen. Daher auch das geänderte Impressum.

Der Schreiber dieser Zeilen hat schon in der ersten Fassung seiner Untersuchung über „Weinheber und Karl Kraus“ (Jahresgabe 1958 der Josef- Weinheber-Gesellschaft) auf den fundamentalen Zusammenhang aufmerksam gemacht, der bis dahin einfach ignoriert worden war. Der fachkundige und immens genaue Herausgeber der vorliegenden Ausgabe beweist nun an zahllosen inhaltlichen und formalen Einzelheiten die grundlegende Richtigkeit jener damals nur mit wenigen Beispielen belegten Behauptung. Die Sprachmelodie des Lyrikers Weinheber ist eine andere als die von Karl Kraus, aber sie versucht spätestens seit 1927 seiner poetischen Regeldetri zu genügen. Und schon 1917 beginnt „Die Fackel“ Weinhebers Ansichten und Schreibweise zu beeinflussen. Das reicht bis in die präzise Zitattechnik bei den Romanen, die weltenweit von der Welt eines Karl Kraus entfernt sind. Aus der Neuausgabe der „Werke“ geht das alles endlich hervor.

SÄMTLICHE WERKE II, IV, V. Von Josef Weinheber, neu herausgegeben von Friedrich Jenaczek. Otto Müller Verlag, Salzburg, 828, 792 und 768 Seiten, pro Band öS 550.-.

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