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Weinheber — neu

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5 Bände umfaßte die (zum Teil auch neu aufgelegte) Ausgabe der sämtlichen Werke Josef Weinhebers des Otto-Müller-Verlages, Salzburg. 1970 erschien nun der 4. Band Prosa I (Theoretische, Erzählende und Autobiographische Schriften), 1972, zum Gedenkjahr, der 2. Band unter dem Titel „Die Hauptwerke“, beide neu gestaltet von Dr. Friedrich Jenaczek. Der am 9. März 1892 in Wien geborene Weinheber verstarb unter tragischen Umständen am 8. April 1945, von vielen in seiner Dichtung angezweifelt, von nicht wenigen als der „bisher größte deutsche Lyriker unseres Jahrhunderts“ gepriesen, so daß eine diesbezügliche Klärung wünschenswert schien. Das Verdienst der seinerzeitigen, von Josef Nadler und Hedwig Weinheber besorgten Ausgabe war bekanntlich die Veröffentlichung der frühen Lyrik Weinhebers, der Nachteil die Schwäche, das Niohtgerecht-werden gegenüber dem reifen Werk des Dichters (von „Adel und Untergang“ bis „Hier ist das Wort“, 1934 bis 1945). Diesem Mangel begegnet die neue Ausgabe, da jetzt in einem Band alle Gedichte vereinigt sind (auch das „Vereinsamte Herz“ und die Epigramme, Impressionen und Glossen aus den Jahren 1917 bis 1945), die der Dichter selbst als seine Sämtlichen Werke bezeichnet hat. Da die gleichzeitigen Prosaschriften in engem Zusammenhang mit diesem Hauptwerk stehen, sich auf dasselbe beziehen, bilden die beiden Bände für sich eine vom Thema gestiftete Einheit. Dazu kommt noch, als gewaltige wissenschaftliche Leistung, der im Kleindruck 150 Seiten umfassende Anhang, ein minutiöser Apparat von geradezu unheimlicher Akribie, der freilich noch zu manchen Auseinandersetzungen Anlaß geben wird. So bilden Band II und IV der auf sieben Bände geplanten Gesamtausgabe für Forscher und Käufer eine sachliche Einheit. Der Bearbeiter Dr. Friedrich Jenaczek entstammt 1918 einer altösterreichischen Familie (lebt seit 1950 als Studienrat in München), erblickte also noch als „Österreicher“ das Licht der Welt, entspricht der Forderung einer „österreichischen“ Literatur, die nicht mit gewöhnlichen deutschen Kategorien gemessen werden kann. Und dies am schwierigen Fall Weinheber dokumentierend, so daß Edwin Hartl von einer „neuen Sicht“ spricht und Curt Hohoff in den Ruf ausbricht: „Auch Weinheber war Krausianer!“ In der Verkleidung eines pedantischen Federfuchsers und Schreibtischmenschen hat Jenaczek eine gigantische und bitterböse Satire gewagt: er stellt das Bild jenes Dichters, welcher anscheinend völlig dem Zeitgeist verhaftet schien, richtig, ja setzt ihn sogar zu demselben in Opposition. Dann wäre, was wohl zutreffen könnte, die Lyrik jenes Mittel Weinhebers (richtig, oder sagen wir: nach Jenaczek, verstanden), durch das er den Gewalthabern trotzte und sich entzog. Freilich nach einem Schlüssel, den der prpfunde Kr,aus-Kenner Jenaczek entdeckte: die Sprachauffassung Karl Kraus' findet sich auch bei Weinheber, daher allerdings nicht nur beider „Verständnis“, sondern ebenso Mißverständnis, wobei wir Rilkes Rede auf Rodin hinzufügen können, daß Ruhm sei die „Summe von Mißverständnissen, die sich um einen großen Namen legen.“ Da Kraus bis

heute nicht begriffen wird, teilt unser Dichter sein Schicksal. Jenaczek bringt Beweise genug, fast zuviel (um nicht ironisch juridisch zu formulieren: qui nimium probat, nihil probat); ein emotionell vorgegebenes Denkschema läßt sich ebenfalls nicht übersehen (eine quasi gewaltsame Entnazifizierung des völkischen Heros). Dennoch gibt es eine Fülle echter Informationen, dem bisherigen (auch literaturhistorischen) Mythos werden Tatsachen entgegengestellt, der Versuch unternommen, Weinheber richtigzustellen. Zumal der Band „Zwischen Göttern und Dämonen“ enthält, unterschwellig, eine massive Polemik gegen das Dritte Reich. Weinhebers Schuld ist es ja zweifellos nicht, von falschen „Freunden“ in Beschlag genommen worden zu sein (so etwas geschieht häufig), er konnte sich (damals und heute) nicht wehren.

Jenaczek weist — interessant! — darauf hin, daß Weinheber keineswegs dem heldischen Menschenbilde huldigte, sondern durchaus dem sündigen, gefallenen, erlösungsbedürftigen, das freilich auch von sich aus zu Anstrengungen bereit sein muß; die Schuld impliziere geradezu die außerweltliche Hilfe. Wie Goethes Bekenntnis als „Heide“ isl Weinhebers gleichlautendes keineswegs wörtlich zu nehmen. Denn zui selben Zeit bezeichnet er sich (Frau Maria Mahler gegenüber) als „gläubigen Katholiken“. Seinem matrikenmäßigen Kirchenaustritl stellt die Witwe eine Reversion „ir corde“ gegenüber; in Wirklichkeil dürfte sich innerlich so oder sc wenig geändert haben, Weinhebei blieb sich in der religiösen Substanz gleich. Daß er Rücksichten (Feigheiten?) walten ließ, wird man kaum bestreiten; außerdem war er ein Mensch, der sich jeweils dem persönlichen Umgang anpaßte. So war er offenkundig dem Priesterdichtei Heinrich Suso Waldeck rührend zugetan, der allerdings ein selten weltzugewandter Vertreter seines Standes war.

Man wird Jenaczek nicht in allem zustimmen (er ist im einzelnen kaum zu widerlegen, eher in der Konzeption), doch war seine Arbeit unbedingt notwendig. Das weit auseinanderklaffende Für und .Widej:imuß endlich einer — buchstäblich — gerechten Beurteilung weichen. Es geht in der Lyrik, als Ausdruck der Seelentiefe einer Persönlichkeit, nicht ohne Charakter. Jenaczek hat vielleicht zum erstenmal Weinheber für die österreichische Dichtung gewonnen, dafür muß ihm Dank und Anerkennung gezollt werden.

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