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Von Schiller zu Novalis

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Schillers Erzählungen. Herausgegeben von Hans Heinrich Borcherdt. Verlag Hermann Böhlaus Nachf., Weimar 1954. 501 Seiten. Preis 22.50 DM.

Im Schiller-Jahr kommt dieser sechzehnte Band der großen Nationalausgabe, die im Auftrage des Goethe- und Schiller-Archivs und des Schiller-Nationalmuseums langsam, aber stetig wächst, gerade recht. Die üblichen Klassikerausgaben bringen außer dem „Geisterseher“ nur den „Spaziergang unter den Linden“, „Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache“, „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“, „Spiel des Schicksals“ und etwa das eine oder andere Teilstück. In der Nationalausgabe finden wir dagegen: von Schillers eigenen Dichtungen sechs; Bearbeitungen und Uebersetzungen (hier neben der Diderot-Uebertragung der „Weiblichen Rache“ vor allem die Erzählungen Charlotte von Schillers, die der Dichter korrigierte; und zu jedem Prosastück Einführung, Anmerkungen, Lesarten sowie einen Anhang „Schillers epische Pläne“ (Körners Anregung zu einem „Friedrich II.“ — wozu Schiller höchst bemerkenswert am 28. November 1791 an Körner schreibt: „Friedrich II. ist kein Stoff für mich ... Ich kann diesen Charakter nicht liebgewinnen.“) Im Druck ist der vorliegende Band mit Sorgfalt gearbeitet. (Bei den Erzählungen Charlottens ihr Text in Petit, Schillers Verbesserungen im Normalsatz.) Zu den Erläuterungen und für den Anhang der epischen Pläne sind weitgespannte bibliothekarische Nachprüfungen vorgenommen worden — Dinge, die der Fachmann entsprechend würdigt, der Laie aber meist übersieht; es sei daher auf die ausgezeichnete historisch-kritische Leistung Borcherdts nachdrücklich verwiesen. Das Buch ist mit vier Faksimilia geschmückt. Es ist übrigens nötig zu erwähnen, daß die broschierte Ausgabe 18.75 DM und bei Subskription der Werke bloß 15 DM (gebunden bei Subskription 18 DM) kostet. Man erkennt das Bestreben, diese „Nationalausgabe“ wirklich der Nation zu vermitteln.

Novalis. Werke / Briefe / Dokumente. 1. Band: Die Dichtungen. Herausgegeben von Ewald W a s m u t h. Verlag Lamber: Schneider, Heidelberg. 574 Seiten.

Diese neue Novalis-Ausgabe geht in ihrem Text auf die vom Herausgeber 1943 edierte Gesamtausgabe zurück. Die Textgestaltung folgt im allgemeinen der Gesamtausgabe von 1802, in einigen Fällen der Auflage von 1805. Sie macht sich die Flerausgeberarbeit J. Minors und P. Kluckhohns zunutze, der ja einstweilen als letzter die Handschriften einsehen konnte. Der vorliegende Band enthält alle dichterischen Werke des Novalis, die bei Lebzeiten des Dichters erschienen sind oder wenigstens hätten erscheinen sollen, wie der Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“, der erst nach dem Tode des Dichters 1826 in der 4. Auflage der „Schriften“ der Oeffent-lichkeit zu Gesicht kam. Damit ist also hier vereinigt: „Heinrich von Ofterdingen“, „Die Lehrlinge zu Sais“, „Die Christenheit oder Europa“, „Blütenstaub“, „Glauben und Liebe“, „Gedichte“ (mit „Hymnen an die Nacht“) sowie die Jugenddichtungen im Anhang. Das ist das von Novalis selbst zum Druck gebrachte Lebenswerk. Die sogenannten Fragmente sind damit, was kein Vorwurf sein soll, in die von Novalis selbst veröffentlichten und in die erst nach seinem Tode 1802 (Schriften), 1846 (Ausgabe von Bülow) und grundlegend aus dem hand-

Im Sagenwald. Neue Sagen aus Vorarlberg. Von Richard B e i 11. Montfort-Verlag Othmar Kreißl, Feldkirch. 464 Seiten.

An das seinerzeitige Wirken von Dr. Vonbun anknüpfend, hat Dr. Beitl eine nach Inhalt, Aufbau und Umfang ungemein eindrucksvolle Sammlung vorarlbergisch-alemannischen Sagengutes zusammengetragen. Er ging dabei als volkskundlich und germanistisch geschulter Forscher mit allem guten Rüstzeug der lebensnahen Wissenschaft an die Arbeit. Die Quellen, die er ausgezeichnet zu nutzen wußte, lagen ebenso in der mündlichen wie in der schriftlichen Ueberlieferung. So entstand eine große und reiche Sammlung und es ist erstaunlich, wie vielfältig die Schätze sind, wenn man sie nur, wie eben Beitl, zu finden weiß. Wir können uns wohl denken, daß dieses Buch auf Generationen hinaus befruchtend wirken wird. Man muß dem Autor zustimmen, wenn er sich entschlossen hat, die ungeheure Fülle des Zusammengetragenen landschaftlich zu gliedern. Vorarlberg bietet ja voneinander deutlich unterschiedene Landschaften, so daß die Umwelt zweifellos das Entstehen und die Bewahrung der Sagen beeinflußt hat.

An die in klarem Stil erzählten Einzelstücke schließt sich eine „Sagenkunde“ an; sie bringt eine wertvolle Gliederung und Deutung des Stoffes vom psychologischen, kulturgeschichtlichen und historischen Standpunkt. In dem großen instruktiven Anhang mit Anmerkungen vermissen wir allerdings hochdeutsche Uebertragungert mancher dem fernestehenden Leser unverständlicher mundartlicher schriftlichen Nachlaß erst durch Minor zum Vorschein gekommenen zerteilt. Zu Lebzeiten des Novalis sind die in diesem Bande abgedruckten Fragmente „Blütenstaub“ (Athenäum 1798) und „Glauben und Liebe“ (Jahrbücher der preußischen Monarchie) als einzige erschienen. Damit soll bekundet werden, daß Wort und Tat des Dichters in der Anlage dieser Ausgabe über allem zu stehen habe. Die Grundtendenz darf eine kulturpädagogische genannt werden: Der noch zu gewinnende Leser wird zunächst zum reinen Wort des Dichters selbst hingeführt. Der Herausgeber, der auf verdienstvolle Weise bemüht ist, für Novalis zu werben, betont mit Recht, daß der Krongedanke des Novalis nicht etwa die vielberufene blaue Blume ist, sondern vielmehr in der prophetischen Schau eines goldenen Zeitalters der Zukunft (!) zu suchen sei, in dem der Mensch wieder in Harmonie mit der Natur leben darf. Welche Menschenzeit könnte dieser Gedanke, voll schaurig-süßer Erlösungshoffnung, betörender um die Ohren schmeicheln, als gerade unserer Epoche? Es ist ja gerade unsere furchtbare Lebensnot, daß der Mensch „dieser Zeit“ aus dieser Bindung herausgenommen ist und dem „entfesselten Ungeheuer“, wie Goethe einmal die Natur nennt, wehrlos gegenübersteht. Wehrlos, weil ohne Glauben. Man müßte gerade die Romantiker einmal von dieser Seite her neu entdecken, haben sie doch fast alle Naturentfremdung und heilsgeschichtliche Schau der johanneischen, verjüngten Kirche gegenübergestellt. Ihr Zukunftsbild ist nichts anderes als unsere von unserer Gegenwart erläste Epoche. Damit ist auch Novalis wahrhaft „zeitnahe“. Ob der magische Weg des Novalis, seine apokalyptische Geschichtsschau, der „rechte Weg“ ist, ist eine sehr zarte und heikle Frage. Ist es doch der schmale Grat zwischen Christentum und einer Lebensreligiosität, auf dem dieses schmale Lebenswerk voll versteckter Sprengkraft aufgebaut ist. Die vorliegende Ausgabe empfiehlt sich durch besondere Sorgfalt von Textgestaltung, Druck und Ausstattung und kann jedem Lieb-h?ber des Dichters auf das wärmste empfohlen werden. Mögen die noch ausstehenden Bände in rascher Folge erscheinen.

Heinrich Suso Waldeck und Oberösterreich. Zeugnisse einer Begegnung. Von Aldemar Schiff korn. Amt der oberösterreichischen Landesregierung, Linz.

Der Priester Augustin Popp, der sich nach der Mutterseite den Dichternamen Waldeck beilegte, wurde am 3. Oktober 1873 in Wscherau bei Pilsen geboren und starb am 4. September 1943 im Kloster von St. Veit im Mühlviertel. Er war einer der bedeutendsten Lyriker der neueren Zeit — empfing für sein Werk bekanntlich nicht allein den Preis der Stadt Wien, sondern auch den österreichischen Staatspreis. Im Spiegel von Briefen, die Waldeck schrieb und empfing, offenbart sich eine gütige und verstehende Natur; vielen Aeußerungen ist dokum-tarischer Wert beizumessen — namentlich durch die Kommentierung und den verbindenden Text des mit philologischer Exaktheit arbeitenden Verfassers. Vielleicht trägt Schiffkorns Mühe endlich Lohn insofern, daß man sich besinnt, die beim ersten Bande anscheinend steckengebliebene Gesamtausgabe der Werke Suso Waldecks fortzuführen, und zwar von Staats wegen. Oder wartet man wieder auf das Land Oberösterreich?

Wendungen und Ausdrücke. Ein gut formuliertes Namen- und Sachveizeichnis erhöht den Wert des Werkes — nicht zu vergessen die in bescheidener Zahl eingefügten köstlichen Zeichnungen.

Die schwarze Perle. Tagebuch einer Kriegskameradschaft. Von Josef Mühlberge r. Bechtle-Verlag, Eßlingen. 90 Seiten. Preis 2.80 DM.

Diesem sudetendeutschen Erzähler, der das Prädikat eines Dichters mehr als viele andere in Anspruch nehmen kann, geht ein vornehmer Ruf voraus. Sein Roman „Der Galgen im Weinberg“ ist vielleicht das einzige objektive, weil von einem ruhigen, gottoffenen Humanismus gesteuerte Buch über das böhmische Grauen von 1945. Seine außerordentliche Begnadung, auch in den fühllosesten Kollektiverlebnissen immer wieder das Unverwechselbare und Kostbare des Einzelmenschen zu sehen, geleitet ihn auch bei dieser Kriegserzählung, die ihn in der Gestaltung Carossas „Rumänischem Kriegstagebuch“ nahebringt. Es gibt wenig Bücher, die dem Leser so unmittelbar die Gewißheit des „integer v i t a e“ mitteilen, die wir alle in der Schule auswendig lernten und die so vielen von uns angesichts der entfesselten chaotischen Gewalten in der Wirklichkeit abhanden kam. Wenn man Mühlberger liest, beginnt man wieder an die Wichtigkeit und die sinnvolle Wirkkraft der eigenen, schlichten Einzelhandlung zu glauben. Und das ist sehr, sehr viel.

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