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Gute Unterhaltung

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EWALD TRAGY. Von Rainer Maria Rilke. Im Insel-Verlag. 54 Seiten. Preis 2.30 DM.

Diese Jugenderzählung Rilkes, vermutlich 1898 geschrieben, erscheint jetzt zum erstenmal in einer öffentlichen Ausgabe. Die empfindsame Geschichte des jungen Pragers kann als Vorstufe zu „Malte Laurids Brigge“ angesehen werden, an dessen „Manier“ auch die realistischen Schlaglichter erinnern, die in das Dämmer dieser behutsamen Prosa fallen. Die wichtigsten Leitmotive der späteren Rilke-Dichtungen sind bereits angeschlagen. Darin besteht der Hauptreiz dieser kurzen Erzählung.

TRAUMFÄHRTE. Von Hermann Hesse. Suhr-lcamp-Verlag. 192 Seiten. Preis 12.80 DM.

In der Reihe „Gesammelte Werke in Einzelausgaben“ (bisher 2o Bände) ist nunmehr auch diese Sammlung von Erzählungen und Märchen erschienen. Von den zwölf Prosaphantasien sind besonders zwei, „Die Kindheit des Zauberers“ und „Kurzgefaßter Lebenslauf“, für die Erkenntnis des Menschen und Dichters Hermann Hesse von Bedeutung. Vor allem aber 6ind alle diese Stücke echte Prosadichtungen, und man bewundert immer wieder, wie sich auch der sprödeste Stoff, den H. H. berührt, in reinstes Sprachgold verwandelt.

DER UNWÜRDIGE LIEBHABER. Von Rudolf Borchardt. In Rohwohlts „Klassikern der Weltliteratur“. 134 Seiten. Preis 1.90 DM.'

Daß der hochgelehrte Humanist, Pindar- und Dante-Übersetzer auch einen richtigen Unterhaltungsroman geschrieben hat, wissen wohl die wenigsten. Borchardt nannte dieses während des Jahres 1929 in zwölf Tagen geschriebene Werk eine Novelle, vielleicht mit dem Blick auf Kleist, an dessen Prosastil die Sprache orientiert ist. Die Träger des dramatischromantischen Konfliktes gehören dem verarmenden preußischen Adel an, und auf die genaue Kenntnis der dort waltenden Sitten kann sich der Autor ebensoviel zugute tun wie auf die bis zum Mimikri nachgebildete Sprache, einschließlich des Französischen, in das man gerne hinüberwechselte, wenn ein gesellschaftlich heikles Thema zu behandeln war. Diese elegante und gehaltvolle Art, zu schreiben, ist im Deutschen nicht gerade häufig anzutreffen. Beste Unterhaltung. Mit einem lesenswerten Nachwort von Wolfgang von Einsiedel.

GLÄSERNE BIENEN. Von Ernst Jünger. Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart. 180 Seiten. Prei 7.80 DM.

Ein echt Jüngersches Thema: Der noch in der alten Ordnungswelt vor dem ersten Weltkrieg aufgewachsene Held, seines Standes „leichter Reiter“ a. D., gerät in die Machtsphäre Zapparonis, des Großmanagers, eines Gewaltigen der modernen Arbeitswelt und der totalen Automation. Die bizarren Symbole dieser neuen Macht sind die gläsernen Bienen, kleine, fliegende Automaten in Walnußgröße, „Insekten vom Mond“, wie von einem Demiurgen geschaffen. Wer über solche Völker verfügt, ist vielleicht mächtiger als ein anderer, der über die gleiche Zahl Flugzeuge gebietet: eine Idee Jüngers, originell und ein wenig verschroben, wie manches in dem schmalen Band, den man aber mit besonderem Interesse — und immer auf der Jagd nach solchen Dingen — durchliest.

RUSSISCHE ERZÄHLER. In Rowohlt Klassiker der Literatur und Wissenschaft. 3 54 Seiten. Preis 3 DM.

Eine Anthologie von Meisternovellen des 19. Jahrhunderts, von Puschkin über Gogol, Turgenjew, den im Westen weniger bekannten Saltykow, Tolstoj und Dostojewski bis Ljeskow, Korolenko und Tschechow (der vor genau 100 Jahren als Sohn eines Leibeigenen geboren wurde). Die einfühlsame Übertragung durch den Balten Otto Freiherr von Taube vermittelt ein echtes Stück alten Rußlands. Hans Rothe schrieb Kurzbiographien der neun Dichter und gab sachkundige Einführungen in jede Erzählung.

IN DANIELS LAUBE. Israel Tales. Albert Lan-#gen-Georg Müller, München. 177 Seiten. Preis 12.80 DM.

Vier Erzählungen aus dem heutigen Israel: drei noch ziemlich traditionell und europäischen Vorbildern verpflichtet, die Titelnovelle von Jizchak Schenhar (1905—1959) schon echt, gewissermaßen bodenständig. Sie schildert sehr realistisch, ohne Schönfärberei, aber mit einem unterschwelligen Nationalstolz, die Problematik und Tragik des Lebens in dem jungen Staat. Wir erfahren leider nicht, in welcher Sprache diese vier Erzählungen geschrieben wurden. Der von Johannes Piron aus dem Englischen übertragene Band ist schön ausgestattet und mit drei Zeichnungen von Ludwig Meidner geschmückt.

REISE NACH JAVA. Von Harold Nicolson. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München. 342 Seiten. Preis 16.80 DM.

Im Jänner 1957 fuhr der 70jährige Harold Nicolson (Sohn eines Diplomaten, Essayist und wichtiger Mann im Londoner Rundfunk) per Schiff mit seiner Frau, der Schriftstellerin Victoria Sackville West, von England über Kapstadt, Coloinbo und Singapur nach Java. Die Reise dauerte zwei Monate. Da 6ind also zunächst Impressionen eines helläugigen Schriftstellers von der Seereise und von verschiedenen Landaufenthalten. Aber wenn ein Schriftsteller reist, so liest und schreibt er. Nicolson verschlingt unterwegs eine kleine Bibliothek, und wir sind interessierte Zeugen dieser Leseimpressionen. H. N. hat sich nämlich vorgenommen, das Phänomen der „grundlosen Melancholie“ im Hinblick auf Englands „zornige junge Männer“ zu studieren, und er findet ihre Wurzeln bei Novalis, Byron, Rousseau, in Amieis Tagebuch und bei Kafka. Der Reiz des Buches besteht im Wechselspiel von Lektüre, Meditation, an Bord geführten Gesprächen und Welterleben. Das Namensregister am Ende des Bandes umfaßt vier Druckseiten und reicht von Adenauer über Eliot und de Gaulle bis Virginia Woolf. Jutta und Hans Theodor Knust haben das unterhaltsame Buch in gutes Deutsch übertragen.

ZWISCHEN PETERSBURG UND MONTE CARLO. Von Raoul G u n s b o u r g. Verlag Albert Langen-Georg Müller, München. 232 Seiten. Preis 12.80 DM.

Ein Memoirenwerk in Anekdoten, Erinnerungen aus der Welt von gestern, aus dem Kreis der Künstler jener Zeit und der oberen Zehntausend, aufgezeichnet von einem fast 100jährigen. Raoul Gunsbourg wurde nämlich als Enkel eines Zadik (mütterlicherseits) und Sohn eines Franzosen im Jahre 1861 in Bukarest geboren. Sein abenteuerlicher Weg führte ihn über Paris nach St. Petersburg. Dort wurde er Leiter eines Privattheaters und macht die Bekanntschaft des Zaren Alexanders III., der Gefallen an Gunstourg findet und ihn zum Leiter der staatlichen Bühnen ernennt. 1890 wird er Direktor des Theaters von Monte Carlo, das er bis 1952 leitet, und in dieser Zeit lernt Gunsbourg fast alles kennen, was im europäischen Kunstleben der ersten Jahrhunderthälfte Rang und Namen hat. Hierüber berichtet er mit der Anschaulichkeit und der Phantasie eines orientalischen Märohenerzählers. Das meiste mag stimmen, so unwahrscheinlich es ist (aber wir bewegen uns ja in einer besonderen Sphäre), von anderem könnte man nachweisen, daß und warum es sich nicht so abgespielt haben kann (Mayerling, die Entstehung der „Boris“-Partitui, die Lebensumstände Ravels usw.). Aber schließlich: Wer wollte mit einem Mann um Details rechten, der Wagner und Liszt, Tolstoj und Oscar Wilde, Puccini und Caruso, den Zaren und Sarah Bernhardt, Schaljapin und Johann Strauß persönlich gekannt hat! Eine erheiternde Lektüre.

FENSTERPLATZ. Von Alfred P o 1 g a r. Rowohlt-Verlag. 216 Seiten. Preis 14.80 DM.

Aus einem halben Dutzend Bücher hat Wolfgang Drews diese Auswahl von 2; Feuilletons getroffen: über das Cafe Central, einen Theaterabend, einen Dienstmann, über das Schicksal und die Einsamkeit und verschiedene Zeitgenossen, wie Friedeil, Molnar, Altenberg, Grete Wiesenthal und Joachim. Ringelnatz. Polgar sitzt am Fenster, aber keineswegs als Unbeteiligter. Jemand schrieb einmal. Polgar ei bissig, wedle aber dabei so treuherzig . .. Seine Bisse schmerzen nicht mehr. Heute hätte Polgar andere Aggressionsobjekte, und man beneidet ihn um die seinen. Der Stil ist der des scharfäugigen Miniaturisten. Er ist mit der Zeit, deren Ausdruck er war, untergegangen. Diese kleinen Prosastücke sind quicklebendig und ein wenig verstaubt zugleich, so wie die zwanziger Jahre. Aber gute Unterhaltung sind sie geblieben.

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