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Auf der schiefen Ebene. Von Evelyn Waugh. Uebersetz von Hermen von Kleeborn. Verlag Herold, Wien. 332 Seiten. Preis 55 S.

Das eigentlich Erstaunliche an Evelyn Waughs Romanen ist die Methode, die er anwendet, um seine Thesen literatur- und gesellschaftsfähig zu machen. Er nimmt nämlich als Rohstoff seiner Arbeit nichts anderes als die figuralen und kompo-sitionellen Schablonen des Gesellschaftsromanes, und er bemächtigt sich ihrer in einer keineswegs skrupelhaften Auswahl (sie reicht etwa von Wilde über Pitigrilli bis zu den Kreuzerheften an den Kolportageständen); und wendet dann viel Mühe daran, diesen Rohstoff alchemistisch zu verwandeln. Merkwürdigerweise aber versucht er nicht, ihn zu veredeln, um gleichsam aus den nicht immer appetitlichen Materien poetisches Gold zu gewinnen — ja, er unternimmt es im Gegenteil sogar, mit einem beträchtlichen Aufwand von Geist und kühler Routine, durch die Beigabe stärkerer Effekte die Schablonen der anderen zu präzisieren und in haarscharfe Kristalle auszugliedern. Was zwischen ihnen zurückbleibt, ist dann in seiner Art ebenfalls geklärt und nicht mehr ein trübes Gemisch von Sentiment und Pikanterie, sondern fressender Säure, Satire in äußerster Konzentration und wenigstens in ihrer Erbarmungslosigkeit an Swift erinnernd.

Diese Methode ist an vorliegendem, noch verhältnismäßig frühem Waugh-Roman deutlicher als an anderen zu agnoszieren. Die Typen der versnobten, aber immer noch ihre Persönlichkeit bewahrenden Aristokraten und phantasievollen Heuchler und — wie immer — im Mittelpunkt der Handlung der eher reine als intelligente Tor, dessen Leben und Seele von den scharfen Rändern der Schablonen und Konventionen quer durchschnitten werden: sie sind aus den anderen Waugh-Büchern bekannt, hier aber in noch einfacherer und einseitigerer und deutlicherer Form geschildert. Aber wie von Waugh immer, ist man auch von dieser von ihm präparierten schiefen Ebene fasziniert, über die der Literat Vorurteile und Zivilisationsphänomene, Herzen und Figuren elegant hinunterrutschen läßt wie Zelluloidpüpp-chen, die schließlich in grausamer, aber immer noch hübscher Parabel ins Bodenlose fallen.

Ein Schloß in Oesterreich. Roman. Von Franz Turnier. Carl-Hanser-Verlag, München 1953. 610 Seiten. Preis 14.80 DM.

Es ist ein gut geschriebenes, und gerade darum ein bedenkliches Buch. Denn es spricht den Leser geschickt an und überredet ihn vielleicht, ohne sich durch ein auffälliges Wort“ zu verraten, zu einem Ressentiment, das von Uebel wäre. Die Geschichte beginnt im Juli 1939 und endet etwa 1949, umfaßt also ein Jahrzehnt, von dem der Mitteleuropäer sagen muß, daß er froh sein kann, wenn er es überlebt hat. Turnier aber hebt so an: „Dies ist die Geschichte von dem letzten Kapitel des Lebens in einem alten Haus.“ Er betrachtet also dieses bluttriefende Kapitel Weltgeschichte vom Standpunkt eines schönen, dem Untergang geweihten Schlosses in Oesterreich aus, und die Weihe geht vom Haus auf die untergegangene Macht über, ungesagt, versteht sich, aber deutlich genug. Was ist der preußische Herr von Plümeke, der Schloß Bergheim nach dem Anschluß aufkauft, doch für eine prächtige Natur, rauh, aber herzlich, detto seine Schwester Irmgard, wiewohl sie sich später alle Mühe gibt, ihre Freundin Elise mit deren Mann zu betrügen, während der auf EK und Reserveleutnant innerlich stolze und schier konservative Bruder Jochem es ohne nennenswerte Seelenpein aushält, mit der verheirateten Elise ein Kind zu haben und sich trotzdem deren Mann immer enger anzuschließen. Und erst der SD-Funktionär Vollmershaus! Er ist nicht nur gegen „diese Knallerei“, er befreit KZler, toleriert schweigend die Anwesenheit versteckter Jüdinnen im Schloß und hilft aus, wo er kann, kurzum ein karitativ tätiger Mensch, er hat nur so viel äußere Selbstbeherrschung, daß man ihn zunächst für den typischen, kalten SD-Mann halten könnte. Wer weiß, vielleicht waren die andern auch wie dieser: „Nicht unsympathisch.' (So bezeichnet ihn ein kultivierter alter Herr und Gegner des Regimes.) Aber, wie gesagt: durchaus ein gutes Buch, in hundert Jahren zum Beispiel, wenn niemand mehr leben wird, den es ärgert, daß er jene Hölle in ein so mildes Licht getaucht sieht. Aber so gut ist der Roman wieder nicht, daß er dann noch von Belang sein könnte.

Kinder der Nacht. Roman von Jean Cocteau. Verlag Kurt Desch, Wien-München-Basel 1953. 207 Seiten, Preis 2.40 DM.

Hier liegt eine biegsame deutsche Uebersetzung (Friedhelm Kemp) von Cocteaus fast ein Vierteljahrhundert alter Geschichte („Les enfants ter-ribles“)-einer seltsamen Geschwisterliebe vor, die sich an Leben und Tod verschwendet. Art und Unart Cocteaus ist schon in diesem Gesellenstück eines klassischen Snobismus mit Händen zu greifen: das Aroma der berühmten Schneeballschlacht auf der einen und das genießerische Herumgeheimnissen mit Sterben, Tod und Fortleben auf der anderen Seite, das damals noch Tristanzüge trug und später in die filmisch rasante Todesfahrt des Orpheus münden sollte.

Friede bei den Tieren. Von C o 1 e 11 e. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 1953. 191 Seiten, Preis 44 S.

Hier erweist sich die Meisterin des intimen körperlichen Porträts als Miniaturistin von hohem Rang. Ihre poetische Zoologie flimmert von gescheiten und wehmütigen, dämonischen und sentimentalen Lichtern. Wenn auch das Herz der Pariserin letztlich den Katzen gehört, schließt diese Liebe, diese pax humana, doch auch die anderen ein: Bärin und Eichhörnchen, Schmetterlinge und Goldfische. Kleine Meisterwerke, Juwelen von berückender Fassung sind: „Poum“, „Der Bär und die alte Dame“, „Eine kleine Hündin ist zu verkaufen“. . •

Narren des Glücks. Von O. Henry. Verlag Otto H. Heß, Berlin-Dahlem 1953. 224 Seiten.

Niemand in Amerika kennt O. Henry (1862 bis 1910) unter seinem bürgerlichen Namen William Sydney Porter. Denn er streifte ihn selber ab wie alles Bürgerliche und trat als Vagabund und Abenteurer — Cowboy, Verleger, Bankbeamter, Landstreicher und Zuchthäusler — in die Literatur ein. „Narren des Glücks“, sein Hauptwerk (Original „Cabbages and Kings“) ist ein Schelmenroman aus den ewigen Revolutionen Mittelamerikas, locker und lose, stellenweise hohen Vorbildern nahe (Mark Twain und Jack London), im ganzen aber doch ohne jene letzte geistige Ordnung, die gerade solche ironische Weltbilder erfordern. •

Die Liebe eines Lebens. Iwan Turgenjew und Pauline Viardot. Von AIja Rachmanowa. Verlag Huber u. Co., Frauenfeld 1953. 399 Seiten, Preis 18 DM.

AIja Rachmanowas Turgenjew-Roman darf schon deshalb Interesse beanspruchen, weil er nach den eigenen Worten der Autorin „als die literarische Frucht aus dem Stamme eines umfangreichen wissenschaftlichen Werkes über die ,Literatur und Geistesgeschichte Rußlands im 19. Jahrhundert' zu betrachten“ sei, an der AIja Rachmanowa mit ihrem Manne, Dr. Arnulf von Hoyer (der auch den Turgenjew-Roman übersetzte), arbeitet. Der vorliegende Roman bietet, neben persönlich-intimen Romanzügen, eine Fülle kulturgeschichtlicher Details, die dem angekündigten Werk zustatten kommen sollten.

Mörder vor dem Anruf. Roman von Guido P i o-vene. Verlag Styria, Graz-Wien-Altötting 1953. 266 Seiten, Preis 57.30 S.

In einer gescheiten Vorrede entwickelt der Verfasser die Absicht des Romanes, das zynische Wort von den Tugenden, die bloß verborgene Laster seien, positiv abzuwandeln, so zwar, daß die Laster an der äußersten Grenze die Tugend erahnen lassen, bisweilen auch wirklich ermöglichen. Der Roman selbst, stark belastet durch eine eigentümlich verwirrende Technik ineinandergeschachtelter, subordinierter Handlungen, hat leider nicht den großen Atem dieser kühnen Idee. Das ist nicht die Schuld der guten Uebersetzung des (italienischen) Originals, sondern des Schriftstellers selber, dessen „Hamburgische Dramaturgie“ eben bedeutend hinter seiner „Emilia Galotti“ zurückblieb.

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