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Buchmesse mit blauem Auge

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Ein Ende der weltweiten wirtschaftlichen Talfahrt ist keineswegs abzusehen, aber zumindest eine Branche hat nicht zu klagen. Und ausgerechnet jene, die das Klagen bisher immer am besten beherrschte. Die Bücherbranche, um Verlagswesen und Buchhandel unter einem Überbe-griff zusammenzufassen, ist aber vorerst noch kein Reiter über den, sondern mitten auf dem Bodensee — und einer, der es genau weiß.

Die Stimmung der Frankfurter Buchmesse war in diesem Jahr von einem gewissen Staunen ob des eigenen relativen Wohlbefindens gekennzeichnet. Man ist vorerst mit einem blauen Auge davongekommen. Kommt der Bücherbranche in einer wirtschaftlichen Situation, in der Stagnation und freiwillige Konsumenthaltung einen noch immer nicht durchbrochenen Teufelskreis bilden, ein gewisser Umsteigereffekt (Bücher statt kostspieliger Vergnügungen) zugute? Oder liegt es daran, daß jene Schichten, von denen sie lebt, die Krise noch überhaupt nicht verspüren? Ernten die Verlage, und mit ihnen der Buchhandel, nun etwa die Früchte einer Programmpolitik, die sich stärker an den Bedürfnissen dieser Schichten orientiert? Apropos — Bildungsbürgertum, gibt es das überhaupt noch? Freut es sich etwa gar einer unangefochtenen Existenz?

Wenn die beiden großen Maschen des vergangenen Jahrzehnts, zuerst die Hypertrophie der linken Theorie, dargeboten auf soziolagenchinesisch, und dann, teilweise überlappend, die nackte Welle, der Bücherbranche neue Kunden zuführen sollten, haben sie dies bestenfalls teilweise, jedenfalls nicht im erhofften Ausmaß, getan. Man könnte heute meinen, derlei habe es nie gegeben. Keine Nackten auf der ganzen Messe. Und linke Theorie höchstens im gleichen Ausmaß wie vor 1968. Immerhin, man reflektiert heute politisch auf einem höheren Niveau, ökonomisch ist nichts geblieben als Makulatur — linke Theorie läßt sich heute selbst zu tiefstreduzierten Preisen kaum noch an den Mann bringen. Auch, wo sie solches Schicksal keineswegs verdient hätte.

Auf der Strecke bleibt eine Anzahl einschlägig spezialisierter Verlage. Aus dem ewigen Kommen und Gehen der Kleinen und Kleinsten wird unter dem doppelten Handikap des Modetrends und der Konjunktur wohl nur noch ein Gehen. Um manchen dieser Verlage ist nicht schade, um manchen um so mehr. Sehr bedauerlich ist die Nachricht, daß der Frankfurter Makol-Verlag mit Jahresende seinen Betrieb Ginstellen wird — ohne Ausgleich oder gar Konkurs, aber es geht nicht mehr. Viele Menschen kennen seine Produktion aus Zusammenarbeiten mit dem Fackelträger-Verlag. Schwanen-gesank des Makol-Verlages ist der — nolens volens — letzte Band seiner George-Grosz-Reihe, die Neuauflage des „Ecce homo“. George-Grosz-Aus-gaben kann so mancher Verlag herausbringen — seine Funktion und die kleiner Verlage überhaupt bewies der Makol-Verlag jedoch etwa mit der Untersuchung „Leonardo da Vinci — der Maler-Philosoph“ von Joachim

Schuhmacher, der Frucht von dreißig Emigrations jähren an amerikanischen Universitäten. Der aus Kostengründen notwendige Verzicht auf jede Bildbeigabe beeinträchtigt nicht, sondern unterstreicht die Wichtigkeit dieses Textes.

Der große Trend der Entwicklung: Auf den ersten Blick (Statistiken für 1975 liegen noch nicht vor) keine Reduzierung der Verlagsprogramme. Doch vor allem eine weitere Tendenz-

Verlagerung von der Belletristik zum Sachbuch. Diese Entwicklung muß keineswegs nur negative Aspekte haben. Sicher wird es schwerer, den hoffnungsvollen Erstling unterzubringen. Anderseits aber ist das Sachbuch eine in bestimmten Grenzen nach Bedarf und Kalkül produr zierbare Ware, die, trotz oder oft sogar gerade infolge klugen und richtigen Kalküls, durchaus auch an literarischer Qualität gewinnen kann. Ein guter Schreiber kann jedes Jahr ein gutes Sachbuch schreiben. Nicht so der Romancier. Reduzierung der Belletristik könnte auch eine Einschränkung der Karnickeldichtung zur Folge haben, des Ein-Buch-nach-dem-anderen-Schreibens, nur weil eines einmal ein Erfolg war. Sachbuchautoren werden oft von Euch zu Buch besser. In der schönen Literatur ist es meistens umgekehrt.

Trotzdem ist der diesjährige Sim-mel, dem Vernehmen nach ein schwächerer Simmel, nicht der Vielschreiberei, sondern dem guten Wollen des Autors zum Opfer gefallen — Simmel ist nicht der erste, der gerade bei der Behandlung eines ihm besonders wichtigen Themas — hier der körperbehinderten Kinder — nicht ganz auf gewohnter Höhe stand. Dafür brach Sandra Parettis Roman „Der Wunschbaum“ — wie Simmel bei Droemer —, ein sehr langatmig anhebendes Buch, aber die Leute haben das gerne, der Autorin die Bahn zum Welterfolg.

Das „Geschäft des Jahres“ machte Droemer, der 200.000 Dollar (an die vier Millionen Schilling) für die Memoiren von Muhammad Ali hinblätterte, der sich dem Vernehmen nach auch schon wieder gelegentlich Cas-sius Clay nennen läßt. Ein nicht unerheblicher Teil davon ist durch den Verkauf von Vorabdruckrechten (Spiegel) und Taschenbuchlizenzen schon wieder herinnen.

Man redet in Frankfurt sehr gerne über Beträge, die man an andere, vorzugsweise amerikanische Verleger, für Rechte überwiesen hat. Informationen über hohe Einnahmen durch den Verkauf der Nachdruckrechte deutschsprachiger Autoren werden nur dort genannt, wo Autoren noch Werbung brauchen. Hingegen wird eine Nachricht wie etwa die Bezahlung von 180.000 Dollar für die amerikanischen Rechte eines keineswegs besonders hervorstechenden deutschen Autors fast wie ein Staatsgeheimnis gehandelt. Wer weiß, ob deutschsprachige Autoren in anderssprachigen Ländern wirklich so un-terrepräsentieft sind, wie es oft den Anschein hat. Es legt nur mancher Autor (oder auch Verlag) wenig Wert darauf, daß die Steuerbehörde vor Ablauf der letzten Frist für die Steuererklärung Wind von einer hohen Einnahme bekommt. Auch der ehrlichste Steuerbürger drängt sich nicht nach Vorschreibungen für hohe Steuervorauszahlungen (lieber läßt er das Geld so lang wie möglich auf seinem Konto).

Auf dem zeitgeschichtlichen Sektor wird die unbewältigte Vergangenheit langsam, aber sicher, zur guaten, alten Zeit. Herausragt hier wie ein erratischer Block das „Spandauer T&-gebuch“ von Albert Speer. Hier wird nicht beschönigt, ist vielleicht von manchem nicht die Rede, wovon die Rede sein könnte, aber dieses Spandauer Tagebuch, entstanden in der Isolation des Gefängnisses, läßt sich denn doch in keiner Weise in die Vergangenheits-Apologetik einbauen. Aber was soll man davon halten, wenn bekanntgegeben wird, daß Werner Maser, einst ein ernstzunehmender zeitgeschichtlicher Autor, das Vorwort zur Selbstbiographie der Heydrdch-Witwe (die noch dazu eine schreibgewandte Dame sein soll) zu verfassen gedenkt?

Ein sehr bemerkenswerter und positiver Trend: Umfangreiche Werkausgaben in Taschenbuchformat. Am wichtigsten wohl die billige zehnbändige Tucholsky-Gesamtausgabe bei Rowohlt, die nicht nur reichhaltiger ist als die vergriffene große Ausgabe, sondern auch nur einen Bruchteil (702 Schilling) kostet. Bei dtv erscheint nach der Taschenbuchausgabe des Kindlerschen Literaturlexikons (die eine große verlegerische Tat ist) demnächst ein kompletter Benn, S. Fischer bringt das erzählerische Werk von Thomas Mann, Insel 12 Bände Rilke, bei Hanser wiederum kosten 10.000 Seiten Jean Paul (ebenfalls 12 Bände) keine hundert Mark.

Der Erfolg dieser Ausgaben deutet darauf hin, daß das Bildungsbürgertum, wie immer man es ideologisch diffamiert, weit davon entfernt ist, auszusterben. Offensichtlich wollen wieder einmal viele Bücherschränke mit Klassikern aufgefüllt werden. Aber die Klassik rückt immer näher an unsere Zeit heran. Auch Tucholsky ist ein Klassiker, wenn auch noch lange kein wirkungsloser, und alles andere als ein konservativer.

Die Österreicher halten sich glänzend. Handke registiert mit dem „Wunschlosen Unglück“ seinen bisher größten Übersetzungserfolg (14 fremdsprachige Ausgaben, unter anderem Portugiesisch und Katalanisch), Innerhofer ist nunmehr als etabliert zu betrachten. Suhrkamp bringt eine Taschenbuchausgabe des im Salzburger Residenz-Verlag erscheinenden Österreichers, Übersetzungen ins Französische, Polnische, Holländische und Italienische sowie eine amerikanische Ausgabe sind unter Dach und Fach. Auch sein zweiter Roman „Schattseite“ wird seinen Weg machen.

Eigentlich unglaublich, daß es einem winzigen Verlag gelingt, ein noch niemals ins Deutsche übersetztes Hauptwerk aus der Vorgeschichte der französischen Revolution zu entdecken — der Chef des Achenbach-Verlages (Gießen) erfuhr aus einer

Fernsehsendung (!), daß Reinhard Seufert „Die Ketten der Sklaverei“ von Jean Paul Marat erstmals ins Deutsche übertragen und sich mit seinem präsumptiven Verleger zerstritten hatte. Ein Telephongespräch brachte dem Achenbach-Verlag den Ruhm einer echten Entdeckung. Ha-bent sua fata libelli — als Buch erschien zuerst 1774 in England und erst 1792, „im ersten Jahr der Republik“, in Frankreich.

Es gibt auch wieder einen Gabriel Garcia Märquez — seinen Erstling „Laubsturm“ (bei Kiepenheuer und Witsch). Märquez ist einer jener Autoren, die immer wieder zur Frage veranlassen, wie ein aklatanter

Nichterfolg angesichts solcher literarischer Bedeutung und erzählerischer Potenz möglich ist. (Auch unser Peter Marginter gehört ja in dieses Kapitel.) Es gibt die große, klassische Biographie — „Seneca, Kaiser ohne Purpur“ von Hubertus Prinz zu Löwenstein (bei Langen Müller).

Es gibt das große, einen zeitgeschichtlichen Blindfleck erhellende Schlüssel werk: Melton S. Davis schrieb „Söhne der Wölfin“ (Deutsche Verlagsanstalt), die erste umfassende

Darstellung der Ära des Marschalls Badoglio nach der Absetzung Mussolinis. In einem gewissen Sinn schrieb Davis ein zeitgeschichtliches „Floß der Medusa“, die Geschichte menschlichen Handelns in Extremsituationen. Die konkrete Facette eines zeitlosen, im Umbruch, in der Stunde Null jeder Großmacht immer wieder gespielten Dramas: Jeder gegen Jeden. Ein Buch, welches man äußerst ungern an-, aber ungelesen weglegt.

Deutschland hingegen setzt, nachdem es die Wikinger, die Hethiter und noch so manches andere Volk konsumiert hat, zum Sprung in das eigene Plusquamperfektum an — S. Fischer-Fabian schrieb für Droemer „Die ersten Deutschen — Der Bericht über das rätselhafte Volk der Germanen“ und damit (neben Speer) den Bestseller der Saison. Sachbuch Geschichte mit reichlichem Sicherheitsabstand gegenüber der Zeitgeschichte...

Natürlich kommt auch das Phantastische noch immer auf seine Rechnung. Nach dem Abflauen der Däni-kitis schließt Charles Berlitz, dessen Vorfahr die Berlitz-school begründete, vom geheimnisvollen Verschwinden von Schiffen und Flugzeugen im sogenannten Bermuda-Dreieck messerscharf, daß er das Jagdgebiet von Wesen vpn anderen Sternen entdeckt hat, die genau hier ganze Schiffe und Flugzeuge entführen, um ihre Menschen-Zoos auf anderen Planeten aufzufüllen. „Das Bermuda-Dreieck. Fenster zum Kosmos?“ bei Zsolnay — ein durchaus bestsellerverdächtiges Buch. Und sogar eines, das nicht nur gekauft, sondern gelesen wird.

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Schon die Alten wußten: Munrius vult decipi. Was heute bekanntlich heißt: Die Welt will informiert werden.

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