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Buchmesse - wie gehabt

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„Unheilbar gesund“, sang einst der Schlagerstar der Intellektuellen, Georg Kreisler. Er könnte es auf die Frankfurter Buchmesse gemünzt haben, die nach den Erschütterungen von 1968 prächtig floriert. Zwar wackeln Verlage, hängen die Damoklesschwerter Ausgleich und Konkurs über manchem Haus, und auch das Fusionsgespenst geht weiter um, aber die Zahl der Neuerscheinungen steigt. Die Verlage sparen neuerdings in Frankfurt an den öffentlichen Massenausspeisungen, genannt Empfänge, dafür gibt es wieder Veranstaltungen, bei denen die Autoren nicht nur da sind, sondern auch reden und mitunter sogar etwas sagen.

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„Unheilbar gesund“, sang einst der Schlagerstar der Intellektuellen, Georg Kreisler. Er könnte es auf die Frankfurter Buchmesse gemünzt haben, die nach den Erschütterungen von 1968 prächtig floriert. Zwar wackeln Verlage, hängen die Damoklesschwerter Ausgleich und Konkurs über manchem Haus, und auch das Fusionsgespenst geht weiter um, aber die Zahl der Neuerscheinungen steigt. Die Verlage sparen neuerdings in Frankfurt an den öffentlichen Massenausspeisungen, genannt Empfänge, dafür gibt es wieder Veranstaltungen, bei denen die Autoren nicht nur da sind, sondern auch reden und mitunter sogar etwas sagen.

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Österreichische Autoren haben es bei deutschen Verlagen weiterhin leicht, österreichische Verlage in deutschen Buchhandlungen schwer: Ein österreichischer Verlagschef zählte in den Auslagen von 48 Buchhandlungen in Frankfurt nur acht österreichische Bücher, davon sieben von Molden.

Auch die deutsche Verlagsbranche’ ist total zersplittert, selbst Bertelsmann kommt nur auf ganz wenige Prozente Marktanteil, das Budi ist wohl nicht zuletzt deshalb das einzige Industrieprodukt, das heute in gleichen Stückzahlen hergestellt wird wie vor 150 Jahren — in Auflagen von 3000 oder 4000 Stück. Das bedeutet einerseits Auswahl und Vielfalt, anderseits ein immer knapperes Auskommen für immer mehr Autoren. Mehr schreiben, schneller schreiben.

Zeitgeschichte

Die kleinen Auflagen setzen dem Aufwand an Zeit, Reisen und: so fort, der für ein Buch getrieben werden kann, enge Grenzen. Nicht die schlechtesten Bücher dieses Herbstes beruhen daher, als Zusatznutzen akademischer Forschung, auf Dissertationen. So kommt mancher Verlag zu wichtigen Manuskripten, die er, als Auftragsarbeit, nie und nimmer finanzieren könnte.

Das gilt etwa für das Werk „Deutsche Gemeinschaft — Seyß-Inquart und der Anschluß“ von Wolfgang Rosar, der bei Professor Jedlicka über Seyß-Inquart dissertierte. Oder für „Die Vaterländische Front — Geschichte und Organisation“ von Irmgard Bärnthaler, die die positiven Leistungen der VF keineswegs zu kurz kommen läßt (beide Bücher im Europa-Verlag).

Oder man übernimmt aus Fremdsprachen, auch dies eine beliebte Rationalisierungsmaßnahme auf dem geistigen Produktionssektor. Aus dem Englischen stammt der blutigste Kriminalroman der > neueren Geschichte, „Am Anfang starb Genosse Kirow“, von Robert Conquest bei Droste. Ein exzellentes Buch — das zögernde Anlaufen der Bestellungen bestätigt, daß linke Selbstkritik nicht mehr so gefragt ist wie früher. Was andere Verlage ebenfalls spüren.

Auch der bitterböse Bericht von Emilio Lussu, „Marsch auf Rom und Umgebung“, Europa-Verlag, in dem Mussolinis Machtergreifung von der Hinterseite der Tribüne gezeigt wird, mußte (von Claus Gatterer) nur noch übersetzt und klug eingeleitet werden. Das schmale Buch ist eine brillante Geschichtsrelativierung.

Markenartikel

Auch auf dem Buchmarkt verkaufen sich Markenartikel am besten. Seine komplette Produkion zum Markenartikel zu profilieren, gelang am besten dem Österreicher von Wehrenalp mit seinem Econ-Verlag, ein charakteristischer Farbstreifen auf jedem Schutzumschlag verbürgt immer gleiche Lesbarkeit. Eine Spitzenmarke innerhalb der Econ- Palette ist Rudolf Pörtner, der diesmal eine gründlich recherchierte und wie immer flüssig geschriebene „Wikinger-Saga“ beisteuerte.

Was nicht in diese Palette paßt, verlegt Wehrenalp bei Claassen oder Marion von Schröder — auch diese Verlage gehören ihm. Glücklicher Griff: Peter Haage, „Der Partylöwe, der nur Bücher fraß“, bei Claassen, ein Buch über Egon Friedeil und seine Freunde, voll von unbekanntem Material (mit dem der Dresdner in Wien dissertierte!), feuilleto- nistisch im besten Sinn geschrieben.

Biographien

Klassische Profilierung als Markenartikel auf dem Buchmarkt ist nach wie vor der Erfolg einer Person. Bei S. Fischer erschien „Wallenstein — Sein Leben erzählt von Golo Mann“, und alles überschlug sich, Augstein schrieb auf neun „Spiegel“- Seiten einen verkaufsfördernden Verriß, „Die Zeit“ widmete dem Buh nicht nur eine lange Besprechung, sondern auh gleih ihre halbe Farbbeilage, ein Sohn Thomas Manns verkauft sih sozusagen von selbst.

Dabei kann man die von dem jungen Schweizer Historiker Christian Müller verfaßte, bisher umfangreichste und fundierteste Biographie des Hitler-Attentäters, „Oberst i. G. Stauffenberg“ (Droste), mit guten Gründen für aufregender, wichtiger und auch lesbarer halten. Und nur wenige Menschen werden aus dem Buch „Sir William Hamilton“ von Brian Fothergill (Biederstein) erfahren, daß der Mann, dessen Frau die Geliebte Nelsons war, auch aus anderen Gründen, als Diplomat, Naturforscher, Kunstsammler, Beachtung verdient. Es mag genug potentielle Leser geben — aber sie können nur durch Information, sprich Werbung, in wirkliche Leser verwandelt werden, und Werbung ist teuer. Nur für große Auflagen kann man werben, nur Werbung macht große Auflagen, die Schlange beißt sich da ganz fest in den Schwanz. Ein bekannter Name aber i s t Werbung.

Frauen

Stilisierung zum Markenartikel ist mitunter sogar durch intellektuelle Leistung zu erreichen. Germaine Greer konnte mit ihrem äußerst scharfsinnigen, stellenweise schockierend formulierten Buch „Der weibliche Eunuch“ (ein „Aufruf zur Befreiung der Frau“ bei S. Fischer) zweifellos zur Bewußtseinsbildung unterdrückter Frauen beitragen, ebenso zweifellos aber noch viel mehr für sich selbst erreichen.

Sachbücher

Eine schockierende intellektuelle Glanzleistung ist auch das Werk „Zufallstreffer Mensch“ von Jacques Monod (Piper), der die Konsequenzen aus Darwins Ideen am extremsten vertritt: Die Entstehung des Lebens aus der „präbiotischen Suppe“ und alles, was weiter geschah, als Zufall, der Mensch ein „Fremder im Universum“.

Kein Erfolgsbuch wollte, ursprünglich, Jane van Lawick-Good- all schreiben, sie interessierte sich nur für afrikanische Tiere und fand einen Förderer, der ihr Gelegenheit verschaffte, für Jahre im Urwald zu verschwinden, wo die Frau, die nicht studiert hatte, die ersten umfangreichen Beobachtungen freilebender Schimpansen anstellen konnte. Natürlich schrieb sie dann ein prächtiges Buch. Ledig — Rowohlt ließ bei der Präsentation an die anwesenden Primaten Bananen verteilen.

Als ein ebenso faszinierendes wie shwergewihtiges Mittelding zwischen Sahbuh und Historiographie wäre die erste ernst zu nehmende Weltgeshihte der Zeit nah dem zweiten Weltkrieg anzusprehen („Mähte und Männer unserer Zeit“ bei Piper). Raymond Cartier sieht die Dinge freilih aus einer sehr französischen Siht — was heißt: Durhdrungen von Europas Bedeutung.

Romane

Wahrscheinlich kommen nirgends auf der Welt so viele Millionäre in so hautnahe Berührung mit einem Massenpublikum wie während der Buchmesse in Frankfurt. Es wimmelt nur so von bereitwillig Autogramme austeilenden Millionären. Der jüngste Millionär des Buchgeschäftes (er ist es erst seit kurzem): Frederick Forsyth, 1969 noch ein zwar nicht unbekannter, aber arbeitsloser Reporter in London, der sich, um „schnell etwas Geld zu verdienen“, damals hinsetzte und in 35 Tagen einen Roman zu Papier brachte, genau zehn Seiten pro Tag. Der „Tag des Schakals“ ist die Story eines mißglückten Mordattentats auf de Gaulle und hält genau die Mitte zwischen Historizität und Phantasie. Forsyth brauchte ein halbes Jahr, um einen Verleger zu finden — bei Hutchinson wurde das Buch in wenigen Monaten ein Bestseller. Forsyth hat damit ^bisher 13 Millionen Schilling verdient und wird wohl nun immer weiter produzieren. Das Buch erscheint im Februar bei Piper.

Ein etablierter, verläßlicher Markenartikel: Johannes Mario Simmel. Er schreibt immer dasselbe, diesmal heißt es „Der Stoff, aus dem die Träume sind“, bei ihm sind alle Träume Schaum. Startauflage bei Droemer: 200.000.

Auch C. F. Bergius, der in seiner Neuerscheinung „Das Medaillon“ laut Bertelsmann-Klappentext „über die Epochen hinweg fünf Liebespaare schicksalhaft miteinander verbindet“ (es handelt sich natürlich um ein ägyptisches Medaillon), stellt einkommensmäßig mit seiner bisherigen Gesamtauflage von 4,5 Millionen Exemplaren (einiger Romane) seine einstigen Kollegen, die Flugkapitäne, in den Schatten. Maria Fagyas, für deren Monarchie-Krimi „Der Leutnant und sein Richter“ (Rowohlt) sich auch bereits die große Filmflrma gefunden hat, die das Lesefutter zu Augenfutter verarbeiten wird, ist ein weiteres Beispiel für finanziellen Autorenerfolg ohne literarischen Autorenruhm.

Auch Remarque ist wieder im Rennen — sein postum gedruckter „Schatten im Paradies“ (Droemer) gab anderen, früheren Romanen, nicht zuletzt dem fast vergessenen Nachkriegsbuch „Der Weg zurück“ (Kiepenheuer & Witsch) neuen Auftrieb.

Literatur

Die ganze Spannweite zwischen den großen Erzählern von gestern und den großen Antierzählern von heute klafft zwischen dem letzten großen Hemingway-Roman „Inseln im Strom“ (Rowohlt) und „a“ von

Andy Warhol (ebenso wie der Text zu Warhols „blue movie“ bei Kiepenheuer & Witsh). Dort Hemingways Erzählweise auf einem Höhepunkt ihrer Nuancierung und Selbstdarstellung, hier das vom Tonband übertragene Protokoll dessen, was Warhol und seine Freunde im Lauf von 24 Stunden so sprahen. Unverarbeitete, ungestaltete, totale Authentizität.

Alain Robbe-Grillet gab mit dem „Projekt einer Revolution in New York“ (Hanser) wieder ein Lebenszeihen. Sein New York ist das New York der Klischeevorstellungen, nicht nur von New York, ein Versuch, „kollektives Unterbewußtsein

unserer Gesellschaft“ bewußt zu machen. Es steht so dort, gemeint war wohl das Unbewußte. Ist Robbe- Grillet ein sprachpuristischer Erzähler, so ist Ludwig Harig ein ins Erzählen gekommener Sprachpurist. In den „Sprechstunden für die deutschfranzösische Verständigung und die Mitglieder des Gemeinsamen Marktes, ein Familienroman“ (Hanser) überwuchert Sprache alles, was sie transportiert.

Amerika

Viele Bücher dieses Herbstes beschäftigen sich mit Amerika, skeptisch bis feindlich, Amerika erscheint verdüstert. Maßvoller, überzeugender, dabei in der Sache härter als etwa die Kritik von außen, die Reinhard Lettau in seinem Buch „Täglicher Faschismus — Amerikanische Evidenz aus sechs Monaten“ (Hanser) übt, ist die kompetente amerikanische Selbstkritik. Etwa des Nürnberg-Anklägers Telford Taylor in seinem vieldiskutierten „Nürnberg und Vietnam“ (Edition Praeger) oder der Exgeneräle Donovan und Shoup in „Militarismus in den USA“ (Droste). Sie enthüllen die tiefe Verflechtung zwischen Kriegsindustrie und Gesellschaft, die Rivalitäten zwischen den Streitkräften, die Macht der militärischen Propagandaapparate und die Verlogenheit einer Diktion, für die die Äußerung des Vietnamgenerals Bolling, „keiner der Soldaten der 82. Division sei im Kampf .unglücklich gestorben1“, nur ein — allerdings furchtbares — Beispiel ist.

Warren Hinckle schrieb einen „Tatsachenbericht“ über den „Guerillakrieg in USA“ (Deutsche Verlagsanstalt) und sammelte mit Akribie alle Gewalttaten der Regierungsund Gesellschaftsfeinde; welche Gewalt zu solcher, teilweise doch sicher diese Bezeichnung verdienender Gegengewalt führen konnte, klammert er aus. Das Buch ist einseitig und stellenweise primitiv.

Anderes Kaliber: „Die Pentagon- Papiere.“ Deutlicher kann die einen Staat in den Krieg und in die politische Sackgasse treibende tödliche Verbindung von Wirklichkeits- und Humanitätsverlust nur . noch dann herausgearbeitet werden, wenn sich nach einem verlorenen Krieg die Archive eines Staates öffnen. Aber auch die vorliegenden Pentagon-Papiere hätten nach Nürnberger Beweisanforderungen für einen Schuldspruch wegen Verbrechens gegen den Frieden genügt. Glanzleistung des

Verlages Knaur: Die Papiere wurden in nur sechs Wohen übersetzt und gedruckt — niht weniger als 684 Seiten, zu einem Preis von weniger als zehn Mark.

Ein Buh über den neuen Nixon hat noh niemand veröffentlicht — vielleiht ist der neue Nixon noh zu jung. Mögliherweise haben wir nähsten Herbst einen umgepolten Amerika-Boom. Denn sowohl die Dihtung als auh die Sachliteratur haben vor allem immer wieder Neues zu bieten. Neues, anderes, freilich unter bewährter Marke. Zwei mitunter schwer zu vereinigende Forderungen. Der Kompromiß geht häufig auf Kosten der Qualität.

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