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Buchmesse — politisch

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MAN HAT IN DEN LETZTEN MONATEN eher einen Rückgang als eine Zunahme der deutschen Buchproduktion erwartet. Doch auf der Buchmesse des Jahres 1967 war keine Rede mehr von Rezession oder gar Krise. Die Autoren schreiben, die Verlage drucken und die Leute kaufen wie eh und je. Dieses Jahr, das als ein Jahr der Ernüchterung begann, wird mit neuen Produktionsrekorden (voraussichtlich fünf Prozent Zunahme) enden. Was dazu geführt hat, daß gerade diese Branche, die sich 'für besonders konjunktur-arifällig hält, von der Flaute verschont blieb, weiß niemand genau. Es genügt den Verlegern ebenso wie Autoren und Sortimentern, daß es so ist. Und alle hoffen, daß es so bleibt.

Man könnte also den bekannten Buchmesseneinheitsbericht schreiben, der jedes Jahr um diese Zeit fällig ist. Man könnte allenfalls feststellen, daß heuer der große Romanbestseller, über den alle reden, wieder einmal ausgeblieben ist, daß es auch sonst keine Buchmesse der wenigen großen, sondern eine der vielen kleinen Erfolge, somit eine demokratische Buchmesse war.

Auch das große Gefecht um die Lizenz des Jahres, das vielen das Salz der Messe bedeutet, fand nicht statt, oder besser, war längst vorbei, bereits im Frühjahr entschieden: Swetlana bei Molden. Für 800.000 Mark, die bereits durch den bisherigen Verkauf hereingebracht sind. „Swetlana bei Molden“. Spruchbänder, quer über die Straße gespannt, machten es dem Besucher schon bei der Auffahrt klar.

*

UND DOCH — ES WAR KEINE MESSE WIE GEHABT. Im Vorjahr hat es bei Rowohlt ein Happening für geladene Gäste gegeben. Heuer gab es ein Happening, dem kein Verlegerhappening das Wasser reichen konnte. Alle anwesenden Verleger, Autoren, Sortimenter und Messebesucher waren zum größten Happening in der Geschichte der Buchmesse geladen, ob sie wollten oder nicht, und sie mußten nicht erst hingehen, es fand gleich in den Messehallen statt. Unüberhörbar, unübersehbar, und vielen ein Dorn im Auge beziehungsweise im Ohr.

Die wichtigsten Brennpunkte des Geschehens waren weder der Rowohlt-Stand, wo die bis zur Berliner Premiere wie ein militärisches Geheimnis gehüteten Exemplare von Hochhuths „Soldaten“ zeitweise schneller gestohlen wurden als neue ausgepackt werden konnten, noch der Kindler-Stand, wo Professor Grzimek, der Brehm-Entthroner und neue „Tierleben“-Autor, persönlich die Honneurs machte, obwohl es auch dort überall genug chaotisch zuging. Die Studenten stahlen ihnen allen einen Teil der Schau.

Sie erschienen zu Hunderten vor dem Stand der „Welt der Literatur“, wo Freiexemplare der Axel Springer gehörenden Zeitung verteilt wurden, nahmen die Freiexemplare, zerfetzten sie und warfen sie in die Luft. Sie hielten Reden, . verteilten Flugblätter und diskutierten sogar, nicht nur zahlenmäßig überlegen, mit Springers Mannen, die auf verlorenem Posten wacker immer wieder wiederholten: Bei Springer darf jeder Journalist seine Meinung schreiben! Springer hat und will kein Meinungsmonopol! Springer ist keine Gefahr!

Der griechische Stand in der riesigen, neuen Messehalle (nur die schöngeistigen Verlage hatten heuer ihr Domizil nicht gewechselt) wurde Schauplatz dessen, was einst als Sitzstreik bezeichnet wurde und heute „Sit-in“ heißt. Tafeln mit den

Namen der in Griechenland verbotenen Autoren. Tafeln: „Wo ist der Themelion-Verlag?“ (Antwort: Die Bücher sind beschlagnahmt, die Mitarbeiter im KZ, die Büros sind zertrümmert!) Tafeln: „Griechenland — Wiege und Grab der Demokratie.“ Die Polizisten machten ihre versteinerten Gesichter.

Sie kamen nicht nur, um Stände vor Demonstranten zu schützen. Zum Stand des Berliner Voltaire-Verlages, wo die weitverbreiteten „Enteignet-Springer“-Plaketten verkauft wurden, kamen sie mit Räumungsbefehl und Hallenverweis, denn in den Ausstellungskojen darf nur bestellt, aber nichts verkauft und keine Ware abgegeben werden. „Zufällig“ war gerade der bekannte italienische Verleger Feltrinelli in der Nähe. Feltrinelli rettete den Voltaire-Stand, indem er drohte, als Protest gegen die Räumung die Buchmesse selbst zu verlassen. Die Messeleitung tat, was sie besser von sich aus sofort getan hätte — sie begnügte sich mit einer Verwarnung wegen des Plakettenverkaufs.

DIE BUCHMESSE FÜHLTE SICH DURCH DIE DEMONSTRATIONEN GEGEN SPRINGER und gegen Griechenlands Diktatoren in ihren Grundfesten erschüttert, aber warum eigentlich? Es wurde von „unpassenden Methoden“ geredet, von „Störung“ und „Hausfriedensbruch“, es wurde die Würde der Veranstaltung beschworen. Auch von Leuten, denen das, was geschah, im Sinne des Sprichwortes „tua res agitur“ eigentlich hätte sympathisch sein müssen. Aber Geschrei, so konnte man hören, paßt eben nicht zur hehren Welt des Buches.

Immer wieder konnte man hören: „W a s sie sagen, ist ja ganz vernünftig, aber wie sie es tun, das ist skandalös!“ Und nicht immer standen dabei antilinksintellektuelle Ressentiments im Hintergrund.

Und doch — der Effekt war eine politische Aktivierung der Buchmesse, der sie diesmal durchaus auch in positivem Sinn von ihren ruhigeren (und langweiligeren) Vorgängerinnen unterschied. Auch wenn manche Parole und manches Flugblatt über das Ziel hinausschössen.

Ein kleines Detail am Rande: Ein Messegast aus Südamerika, einst aus Deutschland emigriert, nun zu Geschäftsabschlüssen nach Frankfurt gekommen, meinte empört: „Dieses Geschrei ist entsetzlich. Was wollen

diese Leute eigentlich?“ Antwort seines Geschäftspartners: „Sie sind gegen Axel Springer!“ Darauf der Gast aus Südamerika: „Wer ist Springer?“

Immerhin, er weiß es nun, und vielleicht haben durch das Geschrei in der Halle ein paar Leute, die sonst nur Springer-Zeitungen und Bücher aus Springers Ullstein-Verlag lesen, erfahren, was in Griechenland und Südafrika wirklich los ist.

VERSTÄRKTE POLITISCHE AKZENTE konnte man auch in der Buchproduktion zahlreicher deutscher Verlage registrieren. Allerdings gilt auch auf diesem Gebiet, was man als Berichterstatter in Frankfurt immer wieder feststellen konnte und von Kollegen bestätigt bekam: Es wird immer schwieriger, einen einigermaßen umfassenden Uberblick zu bekommen. An außerordentlichen Neuerscheinungen ist man — wie man Wochen später feststellt — ahnungslos vorbeigelaufen. Gesehen

hat man, wofür am lautesten geworben wurde.

Ein Buch, zu dessen „Premiere“ sogar Bundeskanzler a. D. Erhard ausrückte und das Sympathie auf Vorschuß verdient, weil es sich mit den Verdiensten dieses Mannes beschäftigt, der noch immer als Sündenbock herhalten muß: „Attentat auf Deutschlands Talisman — Ludwig Erhards Sturz“ von Karl-Georg von Stackenberg (aus dem Kahlhammer-Verlag).

Eine ganz außerordentliche Neuerscheinung, keineswegs hochgespielt, sondern im Gegenteil eher urtterbetont, kommt aus dem Verlag

C. H. Beck in München. Wieder einmal mußte ein Amerikaner kommen, um einen Abschnitt deutscher Geschichte zu erhellen: In diesem Fall die einzige Revolution, die in Deutschland jemals geglückt ist, wenn wir vom kurzen Zwischenspiel der bäuerlichen Utopia absehen. Allan Mitchell gewann der „Revolution in Bayern 1918/1919“ neue, senr oft, und nicht immer aus Vergeßlichkeit, vernachlässigte Aspekte ab, sein

fundierter, detailreicher und dabei flüssig geschriebener Bericht zählt zu den Büchern, denen man ein anderes Schicksal vergönnt als das der meisten Messenovitäten, die ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen rettungslos passe sind.

Völlig anspruchslos, dünn, in weißem Glanzkarton, verbergen sich zwei Bücher, denen wir Wichtigkeit attestieren wollen: „Das NS-Ge-schichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft“ von Karl Ferdinand Werner (bei Kohlhammer) — der Verfasser hat da ein paar nette Zeitzünder eingebaut! Aus dem kleinen, aber tapferen und anspruchsvollen Middelhauve-Verlag kamen die „Briefe aus Litzmannstadt“, von einem Unbekannten an einen Unbe-

kannten geschrieben, im Kochgeschirr eines deutschen Soldaten versteckt, spät erst zutage gefördert aus den Abfällen des Krematoriums von Auschwitz-Birkenau. Ein erschütternder Bericht — um so erschütternder durch die Ahnungslosigkeit des Schreibers, was sein künftiges Schicksal betraf.

Der Rütten u. Loening-Verlag hat eine neue, schwarz kaschierte Serie gestartet, die es fertigbringt, nicht durch schreiende Aufmachung, sondern durch sparsame, aber eminent geschickte Farbwahl (für die Schrift auf dem Einband) schon äußerlich positiv aufzufallen. Das Buch „Die

Macht in der katholischen Kirche“ von Dr. Matthias Becker ist die bittere, in ihrer Klarheit manchen schockierende Abrechnung eines Christen mit der Hierarchie. Kurt Hirsch, Herausgeber der „Deutschlandpläne“, konfrontiert alles, was in puncto deutsche Zukunft heute in den Köpfen gärt, mit Zukunftsvorstellungen des deutschen Widerstandes, aber vor allem auch der NS-Herrscher — ein Blickwinkel, der zu

schockierenden Perspektiven führt.

Weltgeschichte, und dazu noch Revolutionsgeschichte aus der Perspektive der Straße und dessen, was dort gesungen wurde: „Chansons de la Canaille“, Bauernlieder, revolutionäre Lieder aus Frankreich, gesammelt und im Insel-Verla? herausgebracht von Jean Daniel. Wer das gelesen hat, findet die Sprechchöre der gegen Springer demonstrierenden Studenten mit allen Begleiterscheinungen recht zahm und gesittet.

Mitunter sind Bücher, die niemand geschrieben und niemand verlegt hat, aufschlußreicher als das Gedruckte und Gekaufte. Das Jahr 1967 brachte Europa und dem Nahen Osten zwei einschneidende Ereignisse. Der Israel-Krieg wurde denn auch eilig

in Geschriebenes umgesetzt. Die in ihren Konsequenzen möglicherweise folgenschwere griechische Militärdiktatur hat, falls wir uns nicht irren, noch keine Autor auf den Plan gerufen. Allerdings muß sich, leider, ein präsumptiver Griechenlands Autor weniger beeilen. Dieses Regime wird auch 1968 kaum zusammenbrechen. Wer wissen möchte, wie es in solchen Fällen weitergeht, wird vielleicht in Benjamin Welles' Buch „Spanien — Ende einer Diktatur?“ mögliche Parallelen finden. Der Verfasser des bei Piper erschienenen Werkes ist Amerikaner, aber er kennt das Land. Und er ist objektiv.

ES WÄRE NICHT IM SINNE DER BERICHTERSTATTUNG, wenn nun der Eindruck entstünde, es wären diesmal in Frankfurt nur politische Bücher erschienen. Aber die Randerscheinungen, die demonstrierenden Studenten, die Flugblätter, die allenthalben verteilt.wurden, die von der Europäischen Verlagsanstalt veranstaltete Soriderschau in Griechenland verbotener Werke — dies alles führte dazu, daß Politik diesmal im Mittelpunkt stand. Daß so manche politische Bücher besonders beachtet wurden.

Überdies verstärkt sich, und das hört man von allen Seiten, der Trend zum Sachbuch. Ob es sich nun mit Politik, mit fremden Ländern oder irgendeinem anderen Gegenstand beschäftigt. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, daß es neue Romane anscheinend immer schwerer haben, Bestseller zu werden — heuer könnte man der neuen Spionagegeschichte von Leon Uris (bei Kindler), aber auch unserem Johannes Mario Stemel („Alle Menschen werden Brüder“, bei Droemer) Chancen auf einen größeren Verkaufserfolg geben. Sie enthalten alles, was man in Romane, die ihren Autor reich machen sollen, hineinzumischen pflegt.

Und doch — auch das, was verbohrt altmodische Leute unter Qualität verstehen, hat noch Chancen. Von der neuen, bei Droemer erschienenen, zweibändigen Ausgabe der Werke von Peter Bamm, der zu den liebenswertesten Menschen und Autoren zählt, wurden innerhalb kürzester Zeit 100.000 Exemplare verkauft.

Allerdings — Peter Bamm ist über dem Schreiben dieser (freilich längst einem großen Leserkreis bekanntgewordenen) Dinge siebzig Jahre alt geworden.

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