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Ist Frankfurt eine Messe wert?

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Es war eine sehr ruhige Messe. Fast hatte man den Eindrude einer allgemeinen Müdigkeit, die über den großen Hallen lagerte. Polizisten, hoch zu Roß, waren nur auf den Parkplätzen vor der Messe zu sehen, wo sie mit gelassenen Gebärden die einlangenden Autos auf die Parkplätze wiesen. (Eine Nebenfrage: Fast überall in der Welt gibt es Polizisten zu Pferd, nicht nur in Frankfurt, sondern auch in New York, in Rom, in London, warum in Wien nicht? Polizisten zu Pferd haben etwas sehr Beruhigendes an sich, etwas sehr Nobles, sie verbreiten keinen Schrecken, sondern wirken als echte Hüter der Ordnung). Auf der Messe selbst waren keine Polizisten zu bemerken. Dies trug vielleicht mit zur Ruhe bei. Aber auch die sogenannte APO (da die wenigsten wissen,, was dieses Wort bedeutet, sei diese Abkürzung auf geschlüsselt: APO bedeutet Außerparlamentarische Opposition) war sehr ruhig und trat nur wenig in Erscheinung. Sie hielt einige kümmerliche Versammlungen ab, die von einigen Jünglingen, denen man ansah, daß sie oft die Mädchen, aber fast nie die Hemden wechselten, besucht wurden und die mit mäßigem Stimmaufwand ihre Wünsche darbrachten. Erst gegen Ende der Messe, sozusagen um die Ehre zu retten, wurden kleine Wirbel inszeniert. Der südafrikanische Stand wurde „zerlegt“, womit diese Jünglinge zeigten, daß sie über die Zustände in den übrigen afrikanischen Staaten, zum Beispiel Ghana, wenig wußten, die Bücher des Goldmann-Verlages wurden versteigert, womit nur neuerlich bewiesen wurde, daß diese Jünglinge keinen starken Respekt vor Eigentum besitzen, und bei einer Dichtervorlesung wurde die Absicht laut, Affen aus- und an der Versammlung teilnehimen zu lassen. Ob diese Tiere in Freiheit besonders bemerkt worden wären, wurde nicht bekanntgegeben.

Über der ganzen Messe lagerte eine Wolke der Unsicherheit, die sich teilweise aus der politischen Neuorientierung, der sich die Bundesrepublik gegenübersieht, ergibt. Diese Wolke der Unsicherheit ergab sich aber auch aus der Tatsache des Zusammenschlusses vieler deutscher Verleger zu einem gigantischen Blöde der Vertriebsgemeinschaft. Rund zwanzig große deutsche Verlage, zu deren Bereich auch Zeitungen, Druk- kereien und vor allen Dingen Buchgemeinschaften gehören, hatten sich kurz vor der Messe zu einem Unternehmerverband zusammengeschlossen. Es handelt sich durchwegs um Verlage, die wirtschaftlich sehr gut situiert sind und die diesen Zusam menschluß in erster Linie tätigten, um ihre Bücher noch besser vertreiben zu können. Die Profile der einzelnen Verlage sollten dabei durchaus gewahrt werden. Aber die Frage lag doch in der Luft, ob dieser Zusammenschluß nicht eine Nivellierung mit sich bringen werde? Und die andere Frage lag ebenfalls in der Luft, ob dieser Zusammenschluß die kleinen und mittleren Verlage nicht endgültig abwürgen werde? Neben der politischen Unsicherheit, die über der Messe lag, war die Unsicherheit, der sich nun plötzlich viele kleine und mittlere Verlage gegenübersehen, mit ein Faktor, der diese seltsame Stimmung der Müdigkeit und Resignation über die Messe breitete. Zwei Fakten fielen auf der Messe besonders auf: Das Sinken des Publikumsinteresses an der religiösen Literatur. Eine Erscheinung, die die ganze freie Welt ergriffen hat. Scheinbar ist der Wohlstand dem religiösen Denken nicht sehr hold. Dadurch kam so mancher religiöse Verlag in Schwierigkeiten, die noch durch weitere Ereignisse verstärkt wurden:. Die neue liturgische Bewegung brachte so manche absolut sicher fließende Quelle eines Verlages zum plötzlichen Versiegen. Die Schott- Meßbücher und die Bomm-Meßbü- cher werden kaum noch gefragt, denn in den Kirchen lesen die Gläubigen nicht mehr die Messe mit, sondern hören sie an. Sie benötigen keine Missale mehr. Und die Bewilligung, das Brevier in der Muttersprache lesen zu dürfen, brachte die Quelle der lateinischen Breviere zum Versiegen.

Neben dem Sinken des Interesses an religiöser Literatur ist aber offensichtlich ein Ansteigen des Interesses an pornographischer Literatur zu bemerken. Diese Sorte von Schrifttum hat es ja immer gegben, aber sie war sehr teuer und dadurch nur „lüsternen“ Reichen zugänglich. Jetzt wird sie so billig, daß ihrer Massenverbreitung nichts mehr im Wege steht. Aber neben dieser ehrlich pornographischen Literatur gibt es eine noch viel größere versteckt pornographische, die sich in pseudowissenschaftlichen Werken, in Pseudo-Romanen und ähnlichen Fabrikaten kundtut. Da Verleger immer riechen, was das Publikum gerne liest, ist diese Sorte pornographischer Literatur nur zu sehr ein Zeichen dafür, wie der Geschmack des Publikums absinkt.

Wozu eigentlich noch eine Buchmesse?, wird so mancher sich fragen. Durch ihren Termin im Oktober ist sie für Sortimenter uninteressant, denn diese haben längst ihre Bestellungen getätigt. Der große Umschlagplatz für Lizenzvergebungen, für Vergabe von Übersetzungsrechten ist die Buchmesse ebenfalls nicht mehr. Verleger und Interessenten gehen hier bereits direkte Wege. Was geblieben ist, ist die Möglichkeit, die gesamte Produktion nicht nur des deutschen Sprachraums, sondern fast der ganzen Welt in natura zu sehen. Neben 40.000 Neuerscheinungen werden rund 200.000 Bücher im Gesamt ausgestellt. Und diese auf einmal zu sehen, ist wirklich ein Erlebnis und gibt außerdem die Möglichkeit zu erkennen, in welcher Richtung der Geschmack des Publikums innerhalb der nächsten Zeit laufen wird.

Vorbei ist anderseits die Zeit, da man sich gegenseitig Autoren, Lektoren, Hersteller oder Übersetzer abjagte. Auch hier gehen die Verlage bereits direkte Wege.

Geblieben ist die Tatsache, daß sich Verleger, Sortimenter, Autoren, Journalisten, Bücherfreunde einmal im Jahr treffen können, um bei einem Glas Wein alte Freundschaften neu erstehen zu lassen. Das ist sehr viel, denn gute Freundschaften sind immer noch ein großes Kapital in dieser Welt. Und so wird man denn trotz aller negativen Tatsachen behaupten können, daß vorderhand die Buchmesse noch immer einen Sinn hat. Wenn auch die Beteiligung an der Messe für viele Verleger eine schwere finanzielle Belastung ist.

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