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Frankfurter Moden

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Viele fassen es als abwertend auf, wenn der Heimkehrer aus Frankfurt, gefragt, wie die Buchmesse denn wieder gewesen sei, antwortet: „Wie immer!“, denn wir stellen bekanntlich den Neuigkeitswert über fast alle anderen Werte. Aber kann man über einen so großen Marktplatz des Geistes Freundlicheres sagen, als eben, es sei wie immer gewesen, funktioniere also noch, zeige auch an der Schwelle des vierzigsten Jahres keine ernsthaften Verfallserscheinungen, immer wieder und noch immer mache es Freude, von Stand zu Stand zu wandern, die Augen offen für das besondere Buch, dem man anderswo nicht begegnet wäre?

Die Buchmesse war also einerseits wie immer, andererseits doch etwas anders.

Der unsichtbare Selektionsmechanismus, der bestimmte Bücher ins Schaufenster des deutschen Großfeuilletons stellt und andere links liegen läßt, funktionierte reibungslos wie immer. Doch einmal mehr braucht Osterreich über die dabei waltenden Kriterien nicht traurig ;zu sein.

Zwar stand die Messe unter dem Motto Italien. Umberto Eco war — neben dem Träger des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Siegfried Lenz—ihr Star. Auf der Buchmesse kann man die polarisierende Kraft geistiger Moden erleben: Alles oder nichts. Schon wo „nur“ der zweit- oder drittwichtigste Italiener auftrat, blieb das Publikum weg. Die Italien-Sonderausstellung war als putziges Renais-sance-Minimundus aufgezogen: Lauter Palazzo-Fassaden und Pa-lazzo-Portale in einer wüsten Mischung verschiedenster Maßstäbe, täuschend nachgemacht aus Kunststoff, dahinter — Bücher.

In der großen Ebbe der Romanliteratur — auch das zweite Buch von Umberto Eco entfesselte keine Begeisterungsstürme mehr — wird der Österreicher Christoph Ransmayr keineswegs als blinder König unter Einäugigen, sondern, vier Jahre nach seinem Erstling „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, als Autor eines „der schönsten Romane unserer Gegenwartsliteratur“ („Die Zeit“) gefeiert. Sein neuer „Roman mit einem Ovidischen Repertoire“

„Die Entdeckung eines echten Dichters bleibt dem Messerummel fremd“ und dem Titel „Die letzte Welt“ könne es mit Umberto Ecos „Namen der Rose“ wie mit Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ aufnehmen.

Gerade Höhepunkte eines Verlegerdaseins wie die Entdeckung eines echten Dichters — also etwas, dem die Buchmesse ursprünglich doch eigentlich dienen sollte - bleiben dem großen Messerummel fremd. Selbstverständlich war die 40. Frankfurter Buchmesse auch insofern „wie immer“, als sich auch diesmal Verleger, für die sich ihr Beruf nicht im Verdienen erschöpft, für Bücher abstrampelten, von deren Wichtigkeit sie überzeugt sind, als in all dem Gerangel um Rechte und Lizenzen stets etwas mehr Engagement im Spiel ist als bei Auto-oder Textilmessen. Die spontane und ganz ungeschäftliche Freude, mit der Lektoren und Verleger (natürlich nur kleine) reagieren, wenn Besuchern ihrer Stände ein Buch besonders gefällt, an dem ihr Herz hängt, gehört zu den erfreulichen Erlebnissen, die man in Frankfurt Jahr für Jahr haben kann, wenn man diese kleinen Verlage nicht links liegen läßt.

Doch nun zum Punkt, in dem die Buchmesse '88 etwas anders war als sonst. Er steht für eine negative Erscheinung, die sich von Jahr zu Jahr stärker bemerkbar macht. Absurd oder auch nicht: Gerade hier, wo sich alles trifft, was in deutschsprechenden Landen in Anspruch nimmt, auch für die geistigen Werte und nicht nur von ihnen zu leben, ist der Niedergang dessen, was man öffentliche Gesprächskultur nennen könnte, mit erschütternder Deutlichkeit zu beobachten.

Es ist noch nicht lang her, da nahmen Pressekonferenzen, öffentliche Gespräche mit Autoren, Lesungen, einen sehr viel breiteren Raum ein als heute. Es gibt das alles noch, aber es schmilzt ab wie die Gletscher. Eine Verlegerin zum Beispiel, die Jahr für Jahr Gäste in den „Frankfurter Hof“ lädt, hat voriges Jahr noch ein paar Sätze gesprochen, bevor die Kellner an den Büffets die Deckel von den Warmhaltepfannen hoben — heuer beugte sie sich dem Anpassungsdruck und blieb stumm. Massenauftriebe sind die Frankfurter Empfänge seit je, und seit langem gehört es zu den Spezialitäten dieser Buchmessen, bei der p. r., „Öffentlichkeitsarbeit“, das Gespräch und die echte

Kommunikation ersetzt, daß man zwar erfährt, welche Größen in dem von vielstimmigem Geschnatter erfüllten Saal anwesend sind, aber keine davon den Anwesenden vorgestellt wird.

Wissenschaftler, die etwas zu sagen hätten, bringe sie seit Jahren nicht mehr nach Frankfurt, erklärte die Pressebetreuerin eines der auf diesem Gebiet wichtigsten deutschen Verlage.

Offen bleibt, ob die vielen Menschen, die von Empfang zu Emp-

,,Büffets kosten nur Geld, anspruchsvolle Programme aber Gehirnschmalz“ fang schwappen, wirklich nur abgefüttert werden und nichts hören wollen, oder ob die Veranstalter ihre Gäste gröblich unterschätzen, oder ob es einfach so ist, daß Büffets nur Geld, anspruchsvolle Programme aber das ungleich kostspieligere Gehirnschmalz und vor allem teure Arbeitszeit kosten. Wo Lesungen stattfinden, geht das Publikum begeistert mit. Bei mehreren Gelegenheiten, etwa beim Buchhändler-Abend des Kreuz-Verlages, wo Elke Liebs und György Sebestyen („Das Leben als schöne Kunst“) aus neuen Büchern lasen, bekam man es überzeugend demonstriert.

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