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Arme Leute, die Verleger!

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Weigels neues Buch über Literatur und Büchermacher, aus dem dieser Text stammt, wird demnächst unter dem Titel ,,Das Schwarze sind die Buchstaben" im Verlag Styria, Graz, erschienen.

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Weigels neues Buch über Literatur und Büchermacher, aus dem dieser Text stammt, wird demnächst unter dem Titel ,,Das Schwarze sind die Buchstaben" im Verlag Styria, Graz, erschienen.

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Der Maler und Zeichner verfertigt das, was der Beschauer sehen wird. Der Autor aber schreibt nicht Bücher, sondern Manuskripte. Das Tempo, in dem er schreibt, ist nicht identisch mit dem Tempo, in dem der Leser lesen wird. Wenn man sich auf das Schreiben versteht, muß man immer das Lese-Tempo mit im Bewußtsein haben. Wenn man an einem Satz sehr lange herummurxt, muß man schließlich versuchen, mit gelockerter Distanziertheit die Zeile entlangzugleiten. Dann erst weiß man, vielleicht, ob er stimmt.

Dieses In-Ubereinstimmung-Bringen zwischen Schreibendem und Lesendem ist nicht das einzige In-Ubereinstimmung-Brin-

gen, das der Schreibende leisten muß. Es ist nämlich ein Vorurteil branchenfremder Laien, daß der Autor für die Leser schreibt. Das ist ungefähr so weltfremd wie die Vorstellung: Wenn ich für die Erdbebenopfer in Süditalien hundert Schilling stifte, kommen den Erdbebenopfern in Süditalien hundert Schilling zugute.

Der Leser ist nur unbewußt, halbbewußt gelegentlich, dabei.

Der Autor schreibt ein Buch, welches" von einem Verleger akzeptiert wird oder nicht. Also muß das Manuskript dem Verleger gefallen? Falsch! Es muß der Frau oder der Freundin oder dem Freund des Verlegers gefallen. Oder der Sekretärin.

Peter Altenberg wurde bei S. Fischer verlegt, weil sein erstes Manuskript der Frau Hedwig Fischer gut gefallen hatte.

Der Verleger mischt sich freilich da und dort ein, wenn ernste Fachleute ihre Arbeit tun. Er stört diese Arbeit, wie der Minister die Arbeit seiner Sektionschefs, der Bankdirektor die Arbeit seiner Abteilungsleiter, der Chefredakteur die Arbeit seiner Redakteure stört. Er gibt unüberlegte Direktiven. Er gestattet seinen Mitarbeitern Einwände, aber er hört nicht hin, wenn sie geäußert werden. Er verspricht Autoren, Presseleuten, Kunden, Angestellten, was nicht eingehalten

werden kann. Auch vergißt er, was er versprochen hat.

Die meisten Verleger … nein, sie können ja auch gar nicht umhin, so zu sein wie die meisten Verleger. Sie haben es schwerer als die Theaterdirektoren, denn die haben meist mit der Gewerkschaft Arger, dann kommt lang nichts und dann kommt das Künstlerische; sie müssen mit Schauspielern auskommen, und das ist arg genug, aber es ist noch gar nichts gegen das Gelichter, mit dem der Verleger auskommen muß: gegen die Autoren.

Ja, wir sind dac Ärgste.

Meine Kollegin Hilde Spiel gab eine Anthologie heraus. Kein bestellter und zugesicherter Beitrag wurde zeitgerecht fertig. „Sind wir nicht eine Bagage?" fragte ich sie. „Ja. Bisher habe ich geglaubt, die Verleger sind das Ärgste. Aber ich weiß jetzf: die Autoren sind noch ärger."

Die Verleger sind das Zweitärgste. Müssen sie so sein? Vermutlich. Sie müssen für Bücher eintreten, an die sie nicht glauben, sie müssen denjenigen, mit deren Geld sie arbeiten, einreden, daß sie Kultur verbreiten, sie müssen Subventionsgebern zu Willen sein und dann ihre Mitarbeiter zwingen, rühmende Texte für so was zu entwerfen. Sie müssen sich in der Öffentlichkeit über ihre Bücher äußern, die sie nicht gelesen haben.

Mein Verleger Henry Goverts hatte von einem meiner Bücher nur zwei Sätze gelesen,, aber sehr gründlich. Immer wieder erzählte er mir, er fände es so großartig, daß ich geschrieben hatte … und dann zitierte er diese beiden Sätze. Noch nach vielen Jahren, alt geworden und längst nicht mehr Verleger, zitiert er diese beiden Sätze.

Er war eine leuchtende Ausnahme. Er kannte immerhin zwei Sätze aus dem Gesamtwerk eines seiner Autoren. Wo sind die Zeiten?!

Glanz und Elend des Verlegens erfüllen sich in den Dispositionen, die den Dispositionen jener Chefs gleichen, welche es mit Leichtverderblichem zu tun haben.

Der Wirt des Restaurants in einer landschaftlich schönen Gegend muß für das Wochenende bestellen (oder aus der Vorratstruhe herausnehmen lassen): soundso viele Portionen Rind-, Kalb-, Schweinefleisch, soundso viel Gemüse, soundso viele Süßspeisen, und er muß sich auf seine Inspiration verlassen, was den voraussichtlichen Zustrom an (jästen betrifft — eine Gleichung mit etlichen Unbekannten. Richtig bestellen, das macht den genialen Wirt aus und sichert seinen Erfolg.

Der Verleger muß die Höhe der Erstauflage bestimmen und muß aus den Absatzzahlen der ersten Wochen die nächste Auflage und ihreHöheherauslesen. DasÄrgste: fünftausend Exemplare verkauft, noch einmal fünftausend gedruckt, und davon bleiben viertausend liegen.

Aber sind denn Bücher leichtverderblich? Mein Gott - und wie! Am 25. Dezember sind die Neuerscheinungen zu Alterscheinungen geworden, die Bücher beginnen, sacht zu verschimmeln, wie Apfel oder Birnen faulen sie, wie schlecht verwahrtes Fleisch gehen sie in Verwesung über. Der Verlag und seine langen Arme, die bis zum 23. Dezember alles für sie getan haben, wie die Politiker für die Bürger bis zum Wahltag, mögen sie nun nicht mehr, sie stoßen sie ab, „verramschen" ist der Fachausdruck.

Weihnachten ist der Schlüssel zum Umsatz von Tannenbäumen, Schinken, Truthähnen, Spielwaren und Büchern. Auf Weihnachten hin orientiert sich das Jahr des Buchhandels und Verlagsbuchhandels. Alljährlich im Herbst wird die Frankfurter Buchmesse zelebriert, eine höchst unheilige Börse, eine Parade der Ellenbogen, eine ungute Fülle von Anlässen, Parties, Präsentationen, Cocktails, Pressekonferenzen; Literatur, Zurschaustellungen, gelegentlichen Abschlüssen. Das Ganze hat nur einen Fehler, daß dabei nicht Kosmetika, Textilien, Haushaltgeräte, sondern Bücher gehandelt werden.

Ich war zweimal dort, nur je ein paar Stunden, Prankfurt zum Wegschauen sozusagen. Ich war nie aktiv oder passiv in die Messe zu Frankfurt einbezogen, und ich hab’ doch ganz schön Karriere als Autor von Büchern gemacht. Eine Karriere, die ich durch aktive oder passive persönliche Teilnahme in Frankfurt gemacht hätte, wäre, vielleicht, vielleicht, spektakulärer ausgefallen, aber die hätte ich nicht gewollt. Ich brauch’ Frankfurt nicht, außer zum Umsteigen beim Fliegen, und das ist schon arg genug.

Mein Freund Daniel Keel hat vor kurzer Zeit beschlossen, der Frankfurter Messe fernzubleiben. Sein Verlag lebt noch und gar nicht schlecht. •

Das Buch, das zur Herbstproduktion dasein soll, wird, wie schon der Name „Herbstproduktion" sagt, im Sommer produziert, also vom Autor dem Verleger am Ende des Winters abgeliefert.

Die Intervalle werden immer länger. Das bringt der technische Fortschritt mit sich. Mein Manuskript „O du mein Österreich" mußte Mitte Januar beim Verlag sein, um zur Reisesaison als Buch vorzuliegen. Mein Manuskript „Große Mücken, kleine Elefanten" mußte, fünfundzwanzig Jahre später, Ende August beim Verlag sein, um ein Jahr später erscheinen zu können.

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