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Von der Liebe zu Büchern

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Es gibtiheute sehr viele Bücher und sie sind jedem zugänglich; selbst jemand, der rund vierzig Schilling für ein Taschenbuch nicht entbehren kann, kann sich Lektüre aus einer Bücherei holen. Dennoch werden Bücher zu wenig gekauft und noch weniger gelesen -das wird jeder Autor, jeder Verleger und jeder Buchhändler bestätigen.

Dabei sind sie selbst daran schuld -warum bieten sie so viele Bücher an? Wenn man will, daß ein Buch gesucht und wirklich gelesen wird, muß man es ver- und nicht anbieten. Totalitäre Regime haben da ihre Erfahrungen, obwohl sie daraus nicht lernen wollen.

Das Fernsehen, dem man immer wieder vorwirft, daß es Menschen vom Lesen abhält, ist dagegen absolut unschuldig. Im Gegenteil, die Programmacher tun alles, was in ihren Kräften ist, um die Leute von dem Bildschirm zu vertreiben. Wem das Fernsehen allein reicht, wird sowieso keine Bücher lesen, auch wenn es kein Fernsehen gäbe. Jeder Leser kennt den Unterschied zwischen der Lektüre eines guten Buches und dem Fernsehen - es ist etwa derselbe, wie zwischen einem Abend zu zweit mit einer lieben und klugen Frau und einem Striptease. Insofern arbeitet das Fernsehen sogar für die Bücher: Indem es durch Verfilmung eines Buches seine oberflächlichen Reize zeigt, weckt es den Wunsch, sich das Mädchen, zwecks intimerer Bekanntschaft, nach Hause zu bringen.

Es gibt so viele Bücher, daß niemand den Uberblick behalten kann, selbst die Buchhändler nicht. Nur die Literaturkritiker wissen immer genau, welches Buch bedeutend ist: Das, welches sie für bedeutend erklärten.

Die Büchermassen erschrecken den Nichtleser und frustrieren den süchtigen Leser: Diese Mengen schafft man nie!

Es wäre vielleicht günstig, zumindest die ganz überflüssigen Bücher auszuschalten, die wiederholen, was schon tausend Mal besser gesagt wurde. Nur, wer soll das entscheiden? Man weiß ja, wohin es führt, wenn jemand solche Macht hat. Man könnte natürlich alle Manuskripte zuerst in einen Riesencomputer schieben, der sie mit allem, was schon geschrieben wurde, vergleichen könnte. Dies könnte vielleicht bei exakt wissenschaftlichen Texten funktionieren - das Elektronenhirn könnte sagen, aus welchem schon vorhandenen Buch sie abgeschrieben wurden. Bei Li-'

teratur geht das nicht - der Computer würde sogar Shakespeare ausschalten, der seine Stoffe von früheren Autoren übernommen hat. Und wir kennen nur Shakespeare, nicht seine Vorgänger, obwohl er ja keinen größeren Werbetext hatte als sie. Ein Computer ist eine blöde Maschine, er versteht von Literatur noch weniger als die Germanisten, Romanisten, Slawisten usw., die genau wissen, wieviel Mal ein Klassiker das Wort „und" benutzte.

Der Uberfluß mindert die Leselust, nicht nur der Bücher-Überfluß, sondern auch der an Konsummöglichkeiten. Dasselbe betrifft den Theaterbesuch und andere Kulturgüter. Ich habe über die Probleme gelesen, die deutsche Theater nach der Währungsreform hatten und habe ähnliches in der Tschechoslowakei erlebt, als man um 1968 zum Beispiel mehr reisen konnte. Je mehr man für das Geld bekommen kann, umso geringer wird der Anteil der Ausgaben für Kultur. Beim einzelnen wie beim Staat. Man hat auch keine Zeit, weil man das gute Geld für die anderen Sachen verdienen muß, Bücher muß man ja nicht haben.

Was hat man denn von Büchern? Ein bißchen Einblick ins Leben, ein bißchen Wahrheit! (die verbreiten unwollend auch lügende Autoren), ein bißchen Anregung zum Denken - lauter abstrakte und dazu noch gefährliche Dinge.

Die berühmte Frage „Welches Buch würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?" ist Blödsinn. Wenn man wüßte, daß man auf einer einsamen Insel landet, müßte man lieber ein Beil, einen Hammer, ein paar Nägel und ein Pfund Teer mitnehmen. Selbst ein Sachbuch mit dem Titel „Wie überlebe ich auf einer einsamen Insel?" werde ich nicht empfehlen - auf Ihrer Insel wird sowieso alles anders sein als im Buch.

Wer von einem Buch direkte und sein eigenes Denken und Schöpfen ersetzende Anweisungen erwartet, wird enttäuscht sein, egal, ob er sie in einem Lehrbuch, in einer Sexfibel oder bei den weisesten Autoren der Welt sucht. Wenn man aber Anstöße fürs Denken sucht, findet man sie, trotz der Flut der Titel und Dank ihrer.

Durch den Uberfluß wird das Buch weniger romantisch. Man muß eben die Angst aufgeben, das einzige, wichtigste Buch zu verpassen, wie man mit zunehmendem Alter die Angst aufgegeben hat, den einzigen Lebenspartner zu verpassen, und sich mit anderen arrangierte.

Jeder kann seine Buchpartner finden, die ihm Vergnügen, manchmal ein wenig Hilfe und sogar ein wenig Glück bereiten würden. Die Menge macht es möglich.

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