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Wozu brauchen wir noch Bücher?

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Auf der heurigen Frankfurter Buchmesse, die turbulent genug war, rief ein junger Mann von kindlichem und etwas närrischem Aussehen: „Wozu brauchen wir noch Bücher?“ Und da Kinder und Narren angeblich die Wahrheit sprechen, wird ein breites Publikum ohne weiteres diese Worts auch ernst nehmen. Und dabei diese Worte bei sich bestätigt finden. Denn sie selbst lesen kaum noch ein Buch. Ihre Bibliothek ist erschreckend klein. Die Bücher sind ihnen außerdem zu teuer. Außerdem haben sie keinen Platz in ihrer Wohnung. Und sie alle fragen sich, wozu denn diese Massen von Büchern erscheinen und wer sie dennoch kauft, denn ansonsten würden die Verleger sie doch nicht heraus- bringm.

„Wozu brauchen wir noch Bücher?“ Jeder, der diese skeptische Frage aufwirft und sie bejaht, könnte sie gleichzeitig durch sein Leben widerlegen. Denn jeder Angehörige unserer Zeit benötigt pausenlos Bücher. In den Volksschulen, in den Mittelschulen benötigen die Kinder und Schüler und Studenten immer mehr Bücher. Die Wissenschaft auf den Hochschulen, in den Forschungsstätten kann ohne Bücher nicht auskommen. Denn nur über Bücher wird das Wissen für die Zukunft weitervermittelt. Wer sich bilden und weiterbilden will, sei es in Sprachen, in vielen praktischen Fächern des täglichen Lebens, und sei es „nur“ im Kochen, benötigt Bücher. „Wozu brauchen wir noch Bücher?“ Wer auf Reisen geht, braucht Bücher in Form von Führern. Wer eine Freizeitbeschäftigung sucht, sucht und findet diese in Büchern. Arzte lesen uriunterbrochen Bücher, natürlich nur medizinische. Rechtsanwälte und Juristen lesen ununterbrochen Bücher, aber natürlich juristische. Chemiker und Physiker lesen ununterbrochen Bücher,

natürlich nur chemische und physikalische. Jeder, der sich habilitieren will, braucht viele Bücher, denn er muß sie in den Anmerkungen zitieren. Und je. mehr er zitiert, desto wertvoller ist seine Arbeit und desto besser wird sie beurteilt. Jeder Hochschulprofessor, der ein Buch herausgeben will, braucht ebenfalls Bücher, um sie zu zitieren. Aber auch schon jeder Dissertant benötigt Bücher, um sie in seiner Dissertation zu vermerken.

Jeder von heute liest ununterbrochen Bücher, nur weiß er es nicht. Er liest, weil er lesen muß. Er liest nicht mehr, um das Leben schöner zu machen, sondern um es erfolgreich bestehen zu können. Nur Kinder und Jugendliche lesen noch aus Lust am Lesen, ein paar Besessene dazu, die ohne Lesen nicht leben können.

„Wozu brauchen wir noch Bücher?" Wir brauchen sie täglich, aber nicht mehr als Bestandteil unseres kulturellen Lebens, sondern als Werkzeug für unser Managerleben. Das ist der Unterschied zu früheren Zeiten. Und die Verleger, die ja etwas von Hasardeuren in sich haben und wie alle Hasardeure immer ein todsicheres System suchen, mit dem sie gewinnen könnten, haben dies rechtzeitig erkannt und produzieren eben nicht mehr (und nur sehr wenige) Romane und Gedichte, sondern Sachbücher, Reiseführer, Sprachbücher, wissenschaftliche Bücher usw. „Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist“, sagt ein altes Sprichwort. Man müßte es für heute variieren: „Sage mir, was gelesen wird, und ich sage dir, in welcher Zeit du lebst.“ Und wer dann die Bücher, die unsere Zeit liest und braucht, übersieht, Wird ~ Mr; " traurigen Erkenntnis kommen, daß das Interesse ‘tm’ religiösen Buch ständig sinkt. Und hier stößt er auf die eigentliche Tragödie unserer Zeit.

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