„Wir greifen ja alle nach den Sternen“

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Immer schlechter geht’s der Buchbranche, heißt es. an der Aufgabe ändert das nichts, meint Alexander Potyka, und spricht sogar von Glück.

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Immer schlechter geht’s der Buchbranche, heißt es. an der Aufgabe ändert das nichts, meint Alexander Potyka, und spricht sogar von Glück.

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Im Frühjahr dieses Jahres hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine Studie veröffentlicht, die besagte, dass sich seit 2013 die Zahl der Käufer auf dem Publikumsmarkt um 17,8 Prozent verringert hat. Ein Aufschrei ging durch die Medien, die Krise des Buches wurde ausgerufen, wieder einmal.

DIE FURCHE: Ist der Buchmarkt wirklich alarmierend gefährdet, obwohl die Umsätze in etwa gleich geblieben sind und weiterhin jährlich über 70.000 deutsche Neuerscheinungen das Licht der Welt erblicken?
Alexander Potyka:
Die Neuerscheinungen sagen nichts über die Gesundheit des Marktes aus, sondern über die Bestrebungen der Verlage. Insofern sind sie kein Kriterium. Ja, emotional ist die Zahl schockierend. Sie deutet auf ein möglicherweise langfristiges Problem hin. Wenn die Zahl der potenziellen Kunden sinkt, ist das irritierend. Die österreichischen Zahlen erzählen diese Geschichte allerdings so nicht. Insofern bin ich nicht ganz sicher, wie valid das ist. Mir kommt das etwas eigenartig vor. Es würde bedeuten, dass die verbleibenden Buchkäufer alle mehr gekauft hätten als vorher.

DIE FURCHE: Oder die Bücher teurer geworden wären ...
Potyka: Die Bücher sind nicht soviel teurer geworden, insofern ist da eine Unschärfe. Aber als Tendenz muss man schon zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der potenzellen Käufer/Leser geringer wird.

DIE FURCHE: Von österreichischen Literaturverlagen höre ich schon die große Sorge, ob sie für das, was wir als anspruchsvollere Literatur bezeichnen, noch Leserinnen und Leser finden. Ist das nur ein Gefühl, das man vor dreißig Jahren womöglich schon hatte, oder ist es mit Zahlen belegbar, dass es auch da einen Einschnitt gibt?
Potyka:
Jeder von uns hat ein Gefühl. Wir machen unsere Programme, wir schicken unsere Vertreter in den Buchhandel, wir haben Erwartungen - und dann kommt etwas anderes heraus. Prinzipiell. Das hat immer etwas Enttäuschendes, denn wir greifen ja alle nach den Sternen. Ich bin seit 1978 in der Branche und muss sagen, dass wir jedes Jahr das Gefühl haben, dass es schwieriger und schlechter wird. Dieses Gefühl können wir immer mit Zahlen belegen. Aber wenn ich das retrospektiv ansehe und die Summe all dieser Verschlechterungen addiere, dann weiß ich: Es ist falsch. Es war vor 35 Jahren nicht tausendmal besser als jetzt. Insofern ist dieses subjektive Gefühl offensichtlich nicht ganz richtig. Dass es ein schwieriger Markt ist, ein schwieriges Gewerbe, dass es nicht leicht ist, die Aufmerksamkeit von Menschen zu gewinnen für etwas, das mehr als drei Zeilen lang ist, das ist allerdings als gesellschaftlicher Befund eindeutig. Ob das für die Qualitätsbelletristik schwieriger ist als für die Boulevardbelletristik, weiß ich nicht. Meine Erfahrung ist: Das, was man selbst versucht, ist immer am schwersten. Man hat immer das Gefühl, die anderen haben es leichter, aber wenn man sich in einen anderen Bereich begibt, zum Beispiel zum politischen Sachbuch, dann hört man dort auch, dass es schwerer geworden ist. Es ist schwerer, profunde Texte, Inhalte zu verbreiten. Das betrifft alle, die guten Filme, die guten Zeitungen, die guten Bücher. Aber dann ist es halt schwerer. Das ändert an der Aufgabe ja nichts. Ganz offensichtlich funktioniert das System als ganzes. Es gibt immer noch Verlage, Bücher, die sich durchsetzen, sehr viel sehr gute Literatur, die erscheint.

DIE FURCHE: 1995 hat man auf der Frankfurter Buchmesse befürchtet, dass die Scheibe, damals CD, das Buch ersetzt. Dieses Medium ist fast weg, das Buch immer noch da.
Potyka:
Damals war die Angst, dass ein Medium ein anderes ersetzt. Das war eine falsche Angst, weil wir heute, da es einen entwickelten E-Book-Markt gibt, wissen, dass nicht die Frage des Trägers das Problem ist. Es ist gleichgültig, ob ich ein Buch drucke oder digital bringe, unsere Aufgabe ist es, Content zu verbreiten, um es hässlich zu sagen. Aber wir sehen, dass wir heute - unabhängig davon in welcher physikalischen Form ein Buch verbreitet wird - in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit sind. Das haben wir in den 1990er-Jahren nicht gewusst, dass das auf uns zukommen wird. Es geht heute darum, ob die Leute dem Zeit widmen und ob ihre Erwartung ist, dass sie mit etwas, für das sie ein bisschen mehr Zeit brauchen, ihren Genuss bekommen oder ob sie im Stakkatotempo diese kleinteilige Fetzeninformation brauchen.

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