Aktuelle Medien liefern Einheitsbrei

Werbung
Werbung
Werbung

Sie war Redakteurin (AZ, News, Standard …) sowie Vorsitzende der Journalistengewerkschaft. Sie ist Mitgründerin des Frauennetzwerks Medien, Gesellschafterin des Medienhauses Wien und Generalsekretärin des Presseclubs Concordia. Im März 2014 wurde Astrid Zimmermann auch zur Präsidentin des Österreichischen Presserats gewählt.

Die Furche: Was macht Qualitätsjournalismus heute aus?

Astrid Zimmermann: Heute ist es wichtiger denn je, dass unabhängig in einer kritischen Distanz, umfassend, also von allen Seiten betrachtend informiert wird. Dazu gehört, die Quellen offenzulegen und die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Und man sollte recherchieren, wer von dem, was berichtet wird, profitiert. Die Frage - Cui bono, wem nützt das? - wird heute überhaupt nicht mehr gestellt.

Die Furche: War das in den alten Zeiten besser?

Zimmermann: In den alten Zeiten war es viel langweiliger. Was sich sehr verändert hat, ist, dass heute wesentlich mehr Wert auf farbige Sprache, auf anschauliches Schreiben gelegt wird, dass es leicht lesbar ist. Was wir als Infotainment bezeichnen, gibt es deutlich mehr.

Die Furche: Die reine Journalismuslehre lautet, man muss Meinung und Bericht voneinander trennen: man findet das kaum noch.

Zimmermann: Das, was wir theoretisch möchten, und das, was realisierbar ist, sind zwei Paar Schuhe. Ich hoffe sehr, dass die Krise der Medien, das gilt für Print ebenso wie für Radio und Fernsehen, zu einer Ausdifferenzierung führt. Dass wir neben der reinen Unterhaltung oder den Trash-Gratismedien wieder seriösere Medien bekommen. Im Ansatz gibt es das ja. So war für niemanden erklärbar, dass ausgerechnet in Deutschland das Magazin Brand Eins ein Magazin mit anspruchsvoller Wirtschaftsberichterstattung ein relativer Erfolg wurde. Oder auch die Wochenzeitung Die Zeit steht gut da - aber das verstehe ich schon, denn die Zeit ist zum reinen Feuilleton geworden: Genau das will man ja, diese Einschätzung der Ereignisse von klugen Leuten. Da schreibt jemand sehr subjektiv, wie er oder sie über Ereignisse denkt.

Die Furche: Ein Argument für Infotainment lautet, dies sei die einzige Schiene, mit der man bestimmte Schichten überhaupt noch an Information heranführen kann.

Zimmermann: Der Beweis dafür steht immer noch aus. Außerdem zeigt der Vergleich mit anderen Ländern, dass viel mehr an Meinungsvielfalt, an Vielfalt auch der Art der Berichterstattung Platz hätte, als wir liefern. Wir haben einen Einheitsbrei an tagesaktuellen Medien - alle schreiben das Gleiche.

Die Furche: Aber in der globalen Informationslage sind die Quellen sehr beschränkt …

Zimmermann: Früher war es schwieriger, an Informationen heranzukommen, vor allem in der Auslandsberichterstattung. Das ist heute durchs Internet wesentlich leichter geworden. Nicht einfacher geworden ist, die Quellen einzuschätzen. Die Internetgeneration scheint es überhaupt nicht für notwendig zu halten, Quellen zu überprüfen. In der Euphorie, alle Informationen zur Verfügung zu haben, erhalten alle die gleiche Qualität, was sie natürlich nicht haben. Einmal nachzuschauen, wer etwa die Webseite, von der eine Information stammt, betreibt, ist längst nicht selbstverständlich. Diese Schwierigkeiten hatten wir vor 30 Jahren nicht, weil die Informationsquellen Personen waren, denen wir vertraut haben. Oder Medien, die wir selber gelesen haben, weil es Qualitätsblätter waren, auf deren Recherche man sich verlassen konnte. Heute schreiben auch die voneinander ab, weil ein Journalist vom anderen glaubt, er habe das schon überprüft. Es werden ja nicht einmal Presseaussendungen gegengecheckt.

Die Furche: Schaut man in die Online-Seiten österreichischer Medien, fällt auf, dass es oft egal ist, ob etwas auf derstandard.at, diepresse. com oder orf.at steht, man findet oft wortgleich dieselbe Geschichte.

Zimmermann: Die Online-Medien sind zunächst der Euphorie der Geschwindigkeit verfallen, das führt zu Copy-and-Paste-Journalismus von Agentur-Meldungen - es geht ja ausschließlich darum, schnell zu sein. Das war die neue Qualität von Online-Medien. Selbst das Radio, das davor das schnellste Medium war, hat nur stündlich Nachrichten geliefert. Dieser Speed war total verführerisch. Alles andere war vollkommen egal. Das prägt. Gleichzeitig haben die gedruckten Tageszeitungen enorm an Einnahmen verloren. Und die einzige Lösung, die deren Inhaber bis jetzt hatten, war Personalabbau. Aber der führt nicht dazu, dass man mehr Zeit für Recherche hat. Also hebt man auch dort die Agenturmeldung hinein.

Die Furche: Welche Strategien gibt es, um der Oberflächlichkeit entgegenzutreten?

Zimmermann: Es ginge um einen Paradigmenwechsel. Bisher war mein Eindruck, dass es von Verlegerseite vor allem um ein journalistisches Umfeld geht, mit dem Reichweite zu erzielen ist, um Einnahmen zu lukrieren. Man erzielt aber keine so großen Reichweiten mehr und nicht so viele Werbeeinnahmen. Jetzt müsste man umdenken. Das traut man sich aber nicht. Natürlich wird es Medien geben, die mit einer schnellen unterhaltsamen, leicht formulierten, oberflächlichen Information Gewinne einfahren - Stichwort Gratiszeitung. Aber ich verstehe nicht, warum so genannte Qualitätsmedien wie Presse, Standard oder Kurier sich nicht überlegen, wo sie ihren je eignenen Markt hätten. Aber alle machen das Gleiche. Vom Wirtschaftsblatt bis zur Wiener Zeitung setzen alle auf das gleiche Lesersegment.

Die Furche: Kann ein Medienunternehmen aber den ökonomischen Zwängen entkommen?

Zimmermann: Irgendjemand muss das Medium finanzieren. Die Presseförderung wird es nicht tun. Wir wären ja schon froh, würde die Presseförderung Qualitätsmaßnahmen unterstützen. Natürlich muss man ein ökonomisches Modell suchen. Es gibt ja schon Modelle - etwa in den USA, wo Stiftungen qualitätsvolle Recherchen finanzieren und sich dann jeweils Medienpartner suchen oder die Ergebnisse verkaufen. Man könnte auch Mischformen entwickeln von Tageszeitungsredaktionen, die überlegen, welche Informationen sie zum Einordnen und zum Nachlesen aufbereiten neben dem, was die Menschen ohnehin schon aus Radio, Fernsehen und Internet wissen. Die Chefredakteure sagen seit Jahren, mehr auf Hintergrund setzen. Wenn man die Tageszeitungen aufschlägt, bleibt aber der Eindruck, dass alle dieselbe APA-Meldung hineinhängen. Und jeden Tag fragen die Chefredakteure in der Blattkritik: Warum haben wir diese Geschichte nicht im Blatt? Das ist schizophren.

Die Furche: Immer wieder wird der Tod der Zeitung herbeigeschrieben.

Zimmermann: Ich glaube nicht, dass die Tageszeitung so schnell stirbt - wir reden davon seit 1980 und jetzt haben wir 2014! Die Tageszeitung wird nicht sterben, aber sie ist nicht mehr die, die mir die Erstinformation liefert. Diejenigen Medien, die zurzeit an Auflage und Reichweite zunehmen, sind die Special Interest-Medien. Hier sind wir wieder bei der Frage: Was ist meine Zielgruppe? Das Nachdenken darüber schaffen die österreichischen Medien nicht.

Die Furche: Ist Österreich ein zu kleines Land dafür?

Zimmermann: Nein, zu klein ist es nicht. Nehmen Sie die Schweiz, die ist kleiner als wir und hat eine ganz andere Geschichte. Wenn Sie dort Wirtschaftsberichterstattung wollen, nehmen Sie sich die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), während der Tagesanzeiger, die andere Zürcher Qualitätszeitung, eher konsumentenorientiert ist und auch Auswirkungen für "normale“ Bürger berichtet. Diese Tradition haben wir in Österreich leider nicht. Hier ist man stärker aneinander orientiert als an den Leserinnen und Lesern, Hörerinnen und Hörern etc.

Die Furche: Nun streckt aber gerade die NZZ die Fühler auch nach Österreich aus.

Zimmermann: Wenn es eine Qualitätszeitung mit so einem klaren Profil gibt wie die NZZ - Hintergrundinformationen für unternehmerische Entscheidungen -, wieso soll das nur auf die kleine Schweiz beschränkt sein? Es gibt natürlichviele Entwicklungen in Ländern, in denen österreichische Unternehmen investieren, wo man hier nicht eine Zeile darüber liest.

Die Furche: Die NZZ macht auch mit Themen auf, die in Österreich eine Zeitung niemals wagen würde. Ich erinnere mich an eine Titelseite mit "Umsturz in Lesotho“ …

Zimmermann: … das hat mit "wagen“ nichts zu tun, sondern mit der Zielgruppe: Wenn in Lesotho oder in Südafrika Schweizer Unternehmen keine Interessen haben, dann wird das auch kein Aufmacher, sondern höchstens ein Einspalter. Wenn also österreichische Versicherungen und Banken oder die OMV in osteuropäischen Ländern engagiert sind, heißt das, dass wir in Österreich eine stärkere Berichterstattung über die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Osteuropa haben? Nein. Jetzt sind wir durch die Ukraine-Krise draufgekommen, dass dort Österreicher involviert sind. Vorher haben wir kein Wort darüber gelesen. Das macht die NZZ anders.

Die Furche: Gäbe es hierzulande eine Osteuropaberichterstattung, die diesen Namen verdient, hätte man dann nicht schon viel länger wissen können, was die Hypo Alpe Adria in dieser Region tut oder was andere Banken da machen? Es sind dort ja auch Unternehmen wie Baumax in die Krise geschlittert.

Zimmermann: Österreichischer Journalismus hat viel zu wenig kritische Distanz. Damit meine ich nicht nur, dass ich mir genau anschaue, was wir in Osteuropa machen. Michael Nikbakhsh, der Wirtschaftsressortleiter des Profil, hat in einem Beitrag für die Zeitschrift Datum zugegeben, dass ein Gutteil der heimischen Wirtschaftsjournalisten selber dem Hype verfallen war - obwohl jeder, der auch nur rudimentär etwas von Volkswirtschaft versteht, wissen musste: derartige Renditen, derartiges Wachstum kann es auf Dauer nicht geben. Analoges gilt für den Journalismus in Österreich überhaupt: Von kritischer Distanz ist weder im Lokaljournalismus, noch im politischen Journalismus, noch im Kulturjournalismus etwas zu sehen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung