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Die Marktlücke

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Vor wenigen Jahren hat der britische Fernsehjournalist Robert Mac Neil ein Buch über die Macht der Massenmedien mit dem (ins Deutsche eigentlich unübersetzbaren) Titel geschrieben: „The People Machine“.

Massenmedien als technologisches Vehikel: zur Nutzung menschlicher Hirne und menschlichen Bewußtseins? Ist es das? Tatsächlich sind Massenmedien längst jedenfalls das Vehikel zum Kennenlernen von Abstrusitäten, Perversitäten und — ganz einfach — von Verbrechen geworden.

Und das führt mitten hinein in den Zeitungsalltag, wofür man keine These mehr braucht: die Geiseltragö-dien an allen Ecken und Enden der Welt mit ihrer außerordentlichen Publizität haben ihre Ursachen eben dn dieser Art von Publizität. Denn Terroristen brauchen das Echo in der Weltöffentlichkeit — es ist ihr eigentliches Ziel. Kein Mensch würde sich für die PLO oder die Südmoluk-ker interessieren, würde über ihre Morde nicht geschrieben werden. Es ist wahrscheinlich nicht zu ändern, aber zu registrieren: nicht die Tot ist das Um und Auf — das Medium ist das Wichtigste.

Wir haben es in diesem Zusammenhang mit mehreren klaren Trends zu tun:

• Immer stärker greift Manipulierung durch eine sogenannte Objektivierung in der Schreib- und Berichtweise um sich; „Fakten“ werden so dargeboten, daß man vorerst an der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung nicht zu zweifeln wagt. Und doch ist auch der verantwortungsbewußte Journalist ja längst nur mehr der „Schleusenwärter“ für die Flut des täglichen Faktenausstoßes, der über Fernschreiber und Pressedienste rinnt; er ist zur Meisterschaft der Weglassung gezwungen — ein Zauberlehrling der Unterlassung. Und er ist auch ständiges Relais für tendenzielle Beeinflussung, indirekte Manipulation, zeitgemäßen „Schmäh“ geworden.

• Da ist aber auch der Trend zum Voyeurismus im Journalismus. Der Hamburger „Spiegel“ hat im deutschsprachigen Raum die Masche erfunden, wie man an den Schlüssellöchern (auch den politischen) zu lauschen hat, wenn man gut berichten will. Nicht mehr das „Was“ der Berichterstattung ist wichtig — sondern das „Wer“, das „Wann“, das „Wie“

Die Staatspolizei agiert im luftleeren Raum. Vor sechs Jahren empfahl ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß einstimmig, die Tätigkeit der Stapo parlamentarisch zu prüfen und ihr eine gesetzliche Basis zu geben. Geschehen ist seither nichts.

Das Desinteresse des Innenministers ist begreiflich. Aber warum hat die Opposition die Gefahren eines staatlichen Geheimapparates ohne wirksame Kontrolle, der Bevölkerung nie bewußt gemacht? Erst die Frage, wer die Staatspolizei leiten soll, erst die Personalfrage, hat die Opposition jetzt aufgescheucht. Gewiß, die Stapo ist keine CIA. Aber leider sind unsere Abgeordneten auch keine amerikanischen Parlamentarier, die immer wieder einmal vehement in die dunklen Ecken des Staatsapparates hineinleuchten. Bei uns bleibt es finster, solange man sich nicht an einer — Postenbesetzung erhitzt... und „Wo“. Tatsachen im Vexierspiegel — auch bei uns in Österreich. Das „Image“ eines Menschen wird dann viel wichtiger als das, was er tut, sagt oder meint. • Und da fanden wir auch noch den Trend zur Boulevardisierung. Die Pressekonzentration läßt Zeitungsriesen entstehen. Bald wird die Schreibweise für eine „Zielgruppe“ wichtiger als jene für die eigentliche Leserschaft. Und weil wir in Österreich jahrzehntelang ein mediales Notstandgebiet waren, in dem (etwa noch zur Mitte der 60er Jahre) 40 Prozent der Erwachsenen gar keine Tageszeitung gelesen haben, ist klar, was man den „Nichtlesern“ oder „Kaumlesern“ vorsetzen muß, um sie zu gewinnen. So wird die Sensation zum Stimulans. Und Zeitungen brauchen Sensationen. Eigentlich müßten sie diese erfinden, würden diese eines Tages im Geschehenen der Welt rund um die Uhr ausfallen und überdies stimmt ein nackter Busen allemal fröhlicher als die Hungersnot in Bangla-Desh.

Österreich als mediales Notstandsgebiet. Was tun? Der Gesetzgeber kann nur Auswüchse beschneiden; der Mediengesetzentwurf — derzeit im Nationalrat — versucht es jedenfalls. Das ORF-Gesetz hat sich als nur halb-taugliches Mittel erwiesen. Bald wird man die Reform neuerlich reformieren müssen.

Aber es ginge im österreichischen Journalismus um einfache Dinge: etwa darum, daß es endlich zu einer vernünftigen Ausbildung des Journalistennach wuches kommt; daß öffentliche Hilfe nicht die hohe Auflage zur Grundlage der Förderung nimmt, sondern die Qualität einer Zeitung; daß die Politiker zwischen den anständigen Journalisten und jenen gewissen Außenseitern einer Branche zu unterscheiden lernen; daß die Leser dem ernsthafteren Produkt den Vorzug geben.

Die FURCHE hat dieser Tage ihr 30jähriges Bestehen gefeiert. Von einem der bedeutendsten Publizisten dieses Landes, Friedrich Funder, gegründet, hat sie ihren Weg als Zeitung der wachen Intellektuellen dieses Landes unbeirrt genommen. Der sozialistische Publizist Fritz Klenner schrieb in der Jubiläuimsnummer der FURCHE: „Den mündigen Staatsbürger heranbilden zu helfen, der in breiter Front in Staat, Gemeinde, Betrieb und Organisationen sachbezogen und tolerant selbst seine Interessen, einer .Vermachtung' entgegenwirkend, mitvertritt — das ist die große, noch unvollkommen aufgegriffene Aufgabe der Presse.“

Ja, das ist auch die „Marktlücke“ im Pressemarkt! Eine Zeitung, die sich der Hintergründe und Zusammenhänge annimmt, die nicht manipuliert, sondern kritisch aufzeigt — und eine Zeitung, die sich dem Dialog als Medium der Toleranz der Demokraten verpflichtet fühlt — das will die FURCHE sein.

Ein kürzlich erfolgter Wechsel in der Leitung der Redaktion wird an dieser Grundeinstellung der FURCHE nichts ändern. Wenngleich es Zeit ist, sich dort der Zeit anzupassen, wo es nicht auf Kosten von Substanz und Niveau geht.

Ein umfassendes verlegerisches Konzept und Schritte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Basis wurden schon getroffen. Jedenfalls ist die FURCHE auch mit gesteuerten Tatarenmeldungen nicht mundtot zu machen.

In diesem Sinne hoffen wir mit unseren Freunden und Lesern noch auf viele Jubiläen. Und daß wir auch viele neue Freunde gewinnen können.

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