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Wilbur Storey ist in die amerikanische Pressegeschichte als jener Mann eingegangen, der die trefflichsten Storys über die Hinrichtungen am Galgen im amerikanischen Mittelwesten schrieb. Von ihm, dem Star der „Chicago Times" zu Ende des vorigen Jahrhunderts, stammt der treffsichere Satz über den Sinn der Zeitung: „Neuigkeiten drucken und Krach machen." Storey ist lange tot und doch haben wir Zeitgenossen neuer Dimensionen seinem überlieferten Bonmot nichts hinzuzufügen. Nur die Tatsache, daß in Österreich Anno 1971 die Zeitungen über sich selbst den meisten Krach machen.

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Wilbur Storey ist in die amerikanische Pressegeschichte als jener Mann eingegangen, der die trefflichsten Storys über die Hinrichtungen am Galgen im amerikanischen Mittelwesten schrieb. Von ihm, dem Star der „Chicago Times" zu Ende des vorigen Jahrhunderts, stammt der treffsichere Satz über den Sinn der Zeitung: „Neuigkeiten drucken und Krach machen." Storey ist lange tot und doch haben wir Zeitgenossen neuer Dimensionen seinem überlieferten Bonmot nichts hinzuzufügen. Nur die Tatsache, daß in Österreich Anno 1971 die Zeitungen über sich selbst den meisten Krach machen.

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Die laufenden Veränderunigen am h€imi:schen Boulevard signalisieren eine internationale Tendenz. Zuletzt fiel der „Express" expreß einem Markt zum Opfer, dessen Gesetze er kennen mußte und dessen Gesetze seine Herren seihst mnitgefoimt haben. Allerdings: Hinter dem Zei-tungssterben, dessen jiMUgstes österreichisches Opfer nicht eben das Beklagenswerteste ist, steht ja viel mehr als nur ein Marktproeeß des Spätkapitalismus. Und wir alle, Leser, Hörer und Seher, sind davon betroffen.

Dabei ist der technische Kommerz in die Substanz des Werkes, geschrieben, gesprochen, gefilmt, längst eingedrungen. Die Albsatastrategie beherrscht die KonsumentenkuMur der Massenmedien — und wird zur Massenteultur, jenem Undefinierbaren, das Jürgen Habermas als die Anpassung an die exklusiven Ent-spannungs- und Unterhaltuntgs-bedürfnisse eines breiten Puihlikums versteht. Das Publikum wird nicht geführt, gebildet — es führt und bildet selbst die Produzenten in den Redaktionen und Studios.

„Presselrechheit"?

Und deshalb sind die schwarzen Legenden von der Manipulation geheimer Führer und Verführer in eben diesen Redaktionen und Studios längst überholt. Nicht mehr das kiüturelle und politische Räsonne-ment einer bürgerlichen Öffentlichkeit formt sich in der Zeitung aus, sondern die Lust eines vorwiegenden Schauipublikums am Adabei-Sein, das sich kommerziell höchst einfach umsetzen läßt. Trotzdem halten sich die Manipulationslegenden noch da und dort: Dank jenes unzerstörbaren Mißtrauens gegen den Intellektuellen etwa, den zu repräsentieren ein wenig zum Berufs-ethos jedes journalistisch Tätigen gehört. Und mitunter werden die schwarzen Lagenden auch hinter ministeriellen Fassaden gepfiegt, wo man dem Journalisten seit jeher mißtraut, wo die Pressefreiheit allzu-geme als Pressefrechheit ausgelegt wird.

Bs gibt nicht mehr maskierte Verführer in den Redaktionen: Zu transparent ist sowieso der Marict, den die Konkurrenten um Leser und Inserenten bis zur letzten Ecke des Gegners ausleuchten.

Was es aber giibt, das ist die Eäkalation nach unten — die Boule-vardisierung der gesamten Presse. Österreich ist an jenem Punkt angelangt, wo die Frage erlaubt ist: Kann nur noch jene Zeitung bestehen, die sich am Geschmack ihrer dümmsten Leser orientiert? Und sind all jene, die noch Niveau und Meinung vermitteln, noch Standort und Stan’dpunkt haben, zum Defizit auf ewig verurteilt?

Zuerst ‘blieben die Zeitungen der Parteien auf der Strecke. Sie reproduzierten nur das stereotype Klischee vom braven Genossen und bösen politischen Feind. Eitelkeit und Ehrgeiz der eigenen Funktionäre ließen keinen Spielraum: Der ParteijoumalLst wurde in die Frustration getrieben — seine eigene Meinung war nicht gefragt, seine

Information mußte durch ein rotes oder schwarzes Sieb wandern.

Die Scharrl von Lesern, denen ein solches Sieb eben nicht paßte, strömten dem attraktiven Zeitungstyp zu: der unabhängigen Zeitung. Unabhängig — von wem?

Die Frage wurde oft gestellt. Unabhängig zumeist von den politischen Parteien; unabhängig wohl kaum von Kräften und Mächten, die Interessen in Lettern gegossen wollten. Meinung in Anführungszeichen: das wurde zum Stl ausgewählter Information. Man reproduzierte Meinung — und gab vor, damit der Objektijvität ganz nahe zu sein.

Objektivität wurde geradezu manisch fixiert, in Gesetzesentiwürfe gegossen, als Handelsware verkauft. Der Informationsemipfäniger wurde zum Tabu — er soUte sich ja „selbst eine Meinung machen". Aber konnte er das auch — und wollte er das?

So wurde die Einbahn perfekt: der Journalist sendet, informiert. Aber er kennt ihn nicht mehr, den Empfänger der Nachricht, er weiß nicht, wo der Empfänger geistig oder politisch steht. Und der Leser? Er redet nicht mehr zurück, er ist ganz und gar geduldiger Konsument, er überläßt die Leserbriefspalten den Berufsqueruianten und Berichtigem.

Wer ist der kleine Mann?

Doch der Marikt bleibt in Bewegung, österreiciis Infonmations-presse erhielt als jüngeren Bruder die reine Untenhaltungspresse. Sie Wickt hinein in die Schlaifcammer de» Königinnen und Stars, greift hinein ins voMe Leben der Halb- und Unterwelt^ reportiert.dem.-G’sRaß im Gerichtssaal — wo der Spaß ja an sich nur «elten zu ‘Hauffle ist —, sie macht aus Angeklagten schon Verurteilte, aus dem Privatleben eines Menschen ein öffentliches Spefetakel im Namen eines moralischen Prangers des legendären VoJksempfln-dens.

Das Geschäft ist bei alldem die erste, die oberste Maxime. Und der Kampf um jeden neuen Leser ist ein Spaeiengang entlang der Grenzlinie zum sinkenden Niveau. AU das aber spielt sich auf dem Markt der Tageszeitungen ebenso ab wie unter den Wochenendblättem und Illustrierten. Die Zentimeter nacäcter Haut sind die Koordinaticxn des klingenden Erfolges.

Da bleibt kein Platz mehr für Meinung, Standpunkt und Widerspruch; es sei denn jene Unverbind-lichkeit der Vox popuU, einer Stimme des kleinen Mannes, den allerdings niemand wirklich kennt. Und so verzichtet man in den Zeitimgen neuen erfolgreichen Stils auf Politik schlechthin — selbst im Tagesbericht bleibt kein Platz für die Information — jenes Salz, aus der die Demokratie ihr Wachstum bezieht. Dabei sind erst informierte Bürger auch gute Bürger — und der Boden der Diktatur igt die Nicixt- und Fehlinformation.

Doch es wäre ein Mangel, nicht jene Produkte zni streifen, die sehr wohl politisch sind: Sie „spiegeln" Ckder „profilieren", freie Meinung vortäuschend, in Wirklichkeit absichtsvoll Geschäft mit Politik vermischend: Zerrspiegel der Zeit. Aber sie prägen gewisse politische Journalisten der Gegenwart: schnoddrig und selektiv, mehr fragend als schreibend, progressiv und stets wertend mit kleingescihrie’be-nem Adjektiv. Sie stehen hinter den Türen der Ministeiizimmer, forschen bei den Ohauffeuren der Kanzler-fraiuen, lauem in Beiseln, wo Parla-mcntarier speisen’: Im Dienste der Leser betreibt man Voyem:ismus, eihen igehobeiien, stilisierten; jawohl — doch wohl nicht weniger unsympathischen, weil absichtsvoll auf den Effekt bedachten.

Im Privatgarten der Narrenfreiheit

„Wer informiert, herrscht", meint Deutschlands linker Literat Hans Magnus Enzeniberger. Aber ist das alles nur ein Problem der herrschenden und beherrschten Klasse? Ist es gar nur durch Revolution lösbar? Oder zumindest in Lociepungs-üfoungen der Journalisten gegen die Herausgeber?

Innere Pressefreiheit also, nachdem die äußere vom Gesetzgeber längst garantiert, vom Markt aber tatsächlich ad absurduim geführt worden ist? Freiheit für jeden, der schreiben will — eine Art Volldemokratisierung der Medien?

Der freie Schreiber: seit Rousseau das Ideal eines gehobenen Journalisten, der zum Literaten wird. Kann es ihn heute noch geben? Wo die Zeitung voUteehnisiert die Rotationsmaschinen durchrast, Verlage bis Mitternacht beschäftigt, tausende Verteiler dn Marsch setzt? Technik,

Geschäft und geistige Leistung bestimmen in einem magischen Dreieck die Massenmedien — ihre Gesetze sind grausam und Utopien haben darin keinen Platz.

Und doch hleiibt die Hoffnung: aiul einen Typ von Jcyumalismus, der sich noch wagt, die Meinung zu sagen, der noch mit Namen signiert. Der sich nicht hinter anonymen Verlegern verbiflgt, nicht hinter dem Grauschleier von Kommerz und Voyeüriamus, nicht hinter den sorgsam ausgewählten Zitaten anderer: ein Journalismus auf geraden Beinen ohne die Krücken einer „Objektivität" oder „Unabhängigkeit", die es nicht geben kann, solange es Menschen gilbt. Ein Joumalismuis, der der Macht mit Macht begegnet, der sich nicht vom Bezirk des öffentlichen in den unverbindlichen Priivatgarten der Narrenfreiheit abdrängen läßt, wie es Renė Marcac in der „Furciie" formulierte.

Ist das alles in Österreich aber nicht doch letztlich eine banale Utopie? Hier, wo das Zeitungssterben auch in Zukimft unaufhaltsam weitergehen wird — die leitzten Parteileitungen vernichtend und bald auf die Bundesländerpresse übergreifend? Wo schon heute ein journalistisches Proletariat unversorgt und unzufrieden von Redaktioin zu Redaktion wandert?

Tatsächlich: es steht miserabel um Österreichs Presse. Die Konzentration läßt den Titanenkampf ganz weniger Auflagenriesen in den nächsten Monaten erwarten. Wo aber die publizistische Vielfalt zerstört wird, dort muß auch die Grundordniung einer freiheitlichen Gesellschaft tödlich getroffen werden, wie Deutschlands Verleger angesicäits ähnlicher EntwickliMig selbstkritisch bekannten.

Kulturräsoimement

Die puiblizistische Vielfalt: sie ist derzeit ebenso in Gefahr wie das Niveau der Sprache und die Ehrlichkeit der offenen Meinung. Karl Kraus war einst ein einsamer Höhepunkt der journalistischen Sprache in einer österreichischen Zeitung: seither geht es behende bergab. Das allgemeine DUemma offenbart auch das Dilemma des publizierenden Intellektuellen außerhalb etablierter Redaktionen: wo ist die Presse, die ihm noch Platz einräumen kann?

Was bleibt, ist Kulturräsonne-ment. Oder hat jedes Land die Presse, die es vendient?

Theodor Adomo zieiht ein sehr zynisches Resümee: „Das bis zum äußersten präparierte Publikum wollte, wenn man es seinem Willen überließe, verblendet das Schlechte. Mehr SchmeicSieflei für sich selber und die eigene Nation, mehr Schwachsinn über Kaiserinnen, die sich als Filmschauspielerinnen verdingen, mehr von jenem Humor, bei dem einen das Weinen überfallen kann … über Beckett triumphiert die Christel von der Post."

Fürwahr, kein Lichtblick. Leider. Auch für Österreichs Presse: leider.

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